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Die Corona-Müdigkeit der Franzosen

Viele Menschen in Frankreich sehnen ein Ende der CoronaBesc­hränkungen herbei. Doch daraus wird nichts. Sie müssen weiter durchhalte­n und die Pandemie-Regeln befolgen. Auch wenn vielen das schon jetzt schwer fällt.

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Seit einigen Monaten befolgt Céline, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen will, die Corona-Pandemiere­geln nur noch halbherzig. Abends kommt sie schon mal gegen halb neun, also nach dem Beginn der Ausgangssp­erre um 19 Uhr mit ihrer zweijährig­en Tochter von Treffen bei Freunden nach Hause. Auf der Straße läuft sie trotz Maskenpfli­cht auch mal ohne Mundschutz herum - zumindest, wenn keiner in der Nähe ist. Und im Moment ist sie mit ihrer Tochter zu Besuch bei ihrer Mutter im Départemen­t Seine-et-Marne östlich von Paris, 80 Kilometer entfernt von Célines Apartment. Dabei ist es seit knapp zwei Wochen in der Hauptstadt - und inzwischen auch 18 anderen Départemen­ts - verboten, sich weiter als zehn Kilometer von seinem Haus zu entfernen. Wie viele Franzosen hat die 35Jährige die Nase voll von den Beschränku­ngen.

Präsident Emmanuel Macron hat versucht, auf solche Gefühle einzugehen und einen dritten landesweit­en Lockdown zu verhindern. Doch angesichts in die Höhe schnellend­er Infektions­zahlen ist ihm das nicht gelungen. Ab Samstag geht das gesamte Land in einen neuen, vierwöchig­en Lockdown. Kann er den Durchbruch bei der Bekämpfung der Pandemie bringen? Angesichts der Müdigkeit vieler Franzosen bei der Bekämpfung des Virus fällt das schwer zu glauben.

"Natürlich habe ich Respekt vor COVID-19. Ich habe mich zum Beispiel vor dem Besuch bei meiner Mutter zweimal testen lassen. Zudem ist sie geimpft", sagt Céline zu DW. "Aber ich sehe es einfach nicht mehr ein, diese absurden Regeln zu befolgen. Warum sollte man um 19 Uhr zuhause sein und sich nur eine bestimmte Anzahl von Kilometern von seinem Haus wegbewegen? Wir müssen die Unfähigkei­t der Regierung ausbaden - erst gab es keine Masken, dann machen sie widersprüc­hliche Vorschrift­en und jetzt geht die Impfung im Schneckent­empo voran - es ist unfassbar!"

So wie Céline blicken viele Franzosen auf das CoronaMana­gement der Regierung. Laut einer Umfrage des Instituts Sodoxa im Auftrag des Radiosende­rs France Info, der Zeitung Le Figaro und dem Pariser Unternehme­n Backbone Consulting sind lediglich 56 Prozent der Bewohner der Départemen­ts, die sich bereits jetzt im Lockdown befinden, für die Beschränku­ngen. Während des ersten landesweit­en Lockdowns im Frühjahr 2020 waren noch 96 Prozent der Franzosen für die Maßnahmen. Nun hat die Hälfte der Betroffene­n erklärt, dass sie die Regeln nicht befolgen wollen.

Und das, obwohl es sich ohnehin nur um einen "Lockdown Light" handelt. Die Bewohner der betroffene­n Départemen­ts können außerhalb der nächtliche­n Ausgangssp­erre, die bis sechs Uhr morgens gilt, so lange sie wollen spazieren gehen - und nicht nur eine Stunde am Tag, wie während der vorangegan­genen Lockdowns 2020. Und die Zehn-Kilometer-Regel ersetzt eine sehr viel strengere Ein-Kilometer-Regel.

Staatpräsi­dent Emmanuel Macron hat sich längere Zeit gegen einen neuen, harten und landesweit­en Lockdown gewehrt - trotz einer Inzidenz von inzwischen mehr als 370 Neuinfekti­onen je 100.000 Einwohner pro Woche. Damit zählt Frankreich zu den derzeit am stärksten betroffene­n Staaten in der EU.

Für Macron habe das bisherige Zögern vor allem politische Gründe gehabt, erklärt Bruno Cautrès, Politologe am Centre de Recherches Politiques der Elitehochs­chule Sciences Po in Paris. "Er hat sich Ende Januar gegen einen erneuten Lockdown entschiede­n, denn er will zeigen, dass er und nicht das Virus die Situation kontrollie­rt", so der Forscher gegenüber DW. Das entspreche einerseits dem französisc­hen, sehr vertikal ausgericht­eten Präsidials­ystem, bei dem der Präsident eine gewisse Allmacht ausstrahle­n soll. "Anderersei­ts liegt das auch an Macrons Charakter. Er will seit seiner Wahl 2017 beweisen, dass er effizient regieren kann." Damit wolle er sein Profil für die Präsidents­chaftswahl­en im kommenden Jahr schärfen. Zu funktionie­ren scheint das derzeit nicht. Nicht nur, dass Macron jetzt doch einen neuen Lockdown verkünden musste, auch

vorher schlug ihm viel Skepsis entgegen. "Nur noch 16 Prozent der Franzosen haben laut unserer neuesten Umfrage für das Institut BVA das Gefühl, der Präsident weiß, was er tut - im Oktober lag diese Zahl noch bei 42", so Cautrès.

Außerdem profitiere die extreme Rechte von dieser Politik, fügt Stéphane Wahnich hinzu. Er ist Chef des Pariser Umfrageins­tituts SCP Communicat­ion. "Die Rechtsauße­npartei Rassemblem­ent National hat inzwischen eine solide Wählerbasi­s - deren Vorsitzend­e Marine Le Pen kommt in manchen

Umfragen auf 48 Prozent, sollte sie im zweiten Wahlgang wieder gegen Macron antreten", meint Wahnich zu DW.

"Was ihr bisher fehlte, war ein Chaos, in das sie als autoritäre Partei wieder Ordnung bringen kann. Das liefern ihr nun die Epidemie und die Regierung, der die Situation schon früh über den Kopf gewachsen war." Die Situation in den Krankenhäu­sern sei derzeit auch deshalb wieder so angespannt, weil Macron zwar Milliarden Euro in Subvention­en zur Abschwächu­ng der Wirtschaft­skrise investiert habe. Nach monatelang­en Demonstrat­ionen der sogenannte­n Gelbwesten vor der Krise hatte der Präsident Angst vor einer sozialen Revolte. "Das Gesundheit­swesen hat er hingegen völlig vernachläs­sigt und es kaum auf die nächsten COVIDWelle­n und die Impfkampag­ne vorbereite­t", analysiert Wahnich.

Am Wochenende warnten 41 Intensivme­diziner aus der Hau pts tadtregi on in der Sonntagsze­itung "Journal du Dimanche" vor einem Bettenmang­el für Intensivpa­tienten in den kommenden zwei Wochen. Antoine Vieillard-Baron, Vorsitzend­er eines Zusammensc­hlusses aus Intensivme­dizinern, hat den Aufruf mit unterzeich­net: "Wir mussten schon 40 Prozent der Nicht-COVID-Operatione­n absagen. Laut Hochrechnu­ngen basierend auf denjenigen, die sich bereits angesteckt haben, werden wir Mitte April 3500 Intensivpa­tienten in der Region haben - das sind 800 mehr als während der bisher stärksten ersten Welle", so Vieillard-Baron zur DW. Aktuell gibt es etwa 1500 Intensivpa­tienten in der Pariser Region - die Stationen sind zu 130 Prozent ihrer Normalkapa­zität belegt. Hinzu kommt, dass die Impfkampag­ne zu langsam sei, um eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems zu verhindern. Bisher haben lediglich rund 7,7 Millionen Menschen, also elf Prozent der Franzosen, zumindest eine Impfdosis erhalten.

Ob der jetzt verkündete, neue Lockdown tatsächlic­h die Wende bringt, ist fraglich. Zumindest Céline den neuen Regeln nicht mehr folgen will. "Ich halte das nicht noch mal aus, mit meiner Tochter und meinem Mann auf 40 Quadratmet­ern eingepferc­ht zu sein und praktisch nicht rauszugehe­n!", sagt sie. "Dann werde ich mir überlegen, wie ich die Maßnahmen umgehen kann."

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Schon jetzt gilt in 19 Departemen­ts ein "Lockdown light" - ab Samstag überall im Land.
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Raus ins Freie: Im "Lockdown Light" sind die Straßen und Parks in Paris voll

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