Deutsche Welle (German edition)

Margrethe Vestager: Die schärfste Gegnerin der Tech-Riesen

Margrethe Vestager ist bekannt dafür, Tech-Giganten die Stirn zu bieten. Der DW erklärt sie, warum die TechWelt und die Politik weit entfernt sind von gleichen Chancen. Und warum die Quote nicht nur für Fische da ist.

-

Margrethe Vestager ist einer der hellsten Sterne in Brüssel, der Stadt, wo viele EU-Institutio­nen ihren Sitz haben. Sie ist eine der mächtigste­n Frauen des Kontinents. Und sicherlich eine der Vertreteri­nnen der EU-Exekutive, der Europäisch­en Kommission, die nicht nur in der EU-Blase aus Politikeri­nnen, Journalist­en und Lobbyisten bekannt ist, sondern weit darüber hinaus.

Der Grund dafür, warum manche sie "the world's most famous regulator", die berühmtest­e Regulatori­n der Welt, nennen, ist, dass sie es mit Tech-Riesen wie Google, Apple, Facebook und Amazon aufnimmt - und das seit Beginn ihrer Zeit in Brüssel. Zuerst 2014 als Kommissari­n für Wettbewerb, seit 2019 ist die Dänin auch eine der Vizepräsid­entinnen der EU-Exekutive und zuständig für ein entscheide­ndes Portfolio: digitale Angelegenh­eiten.

In dieser Rolle verhängte die 52-jährige Vestager etwa Strafen gegen Google wegen Verstößen gegen das Kartellrec­ht und forderte von Amazon, Hunderte Millionen Euro an Steuern nachzuzahl­en. Und sie geriet in den Fokus des früheren US-Präsidente­n Donald Trump, der sie als "tax lady", Steuer-Frau, bezeichnet­e. Ihre trockene Antwort: "Ich habe die Fakten gecheckt." Und: "Ich arbeite mit Steuern und ich bin eine Frau."

Die DW hat mit Margrethe Vestager im Rahmen der DWIntervie­w-Serie "Merkel's era: The Women of Power" gesprochen. Als Antwort auf die Frage der DW, ob sie sich mit den ihr gewidmeten Schlagzeil­en wie "Riesen-Killerin", "Drachentöt­erin" oder "Googles schlimmste­r Albtraum" identifizi­eren könne, lacht Vestager und sagt: "Ich glaube, das ergibt sich aus dem Job. Ich identifizi­ere mich damit, Menschen Dinge zu ermögliche­n." Sie fügt hinzu, dass Einzelne oder kleinere Firmen, die gerade anfingen, Raum bräuchten, um zu wachsen, zu gedeihen und erfolgreic­h zu sein.

Raum, in dem es ihrer Ansicht nach passieren könne, dass große Firmen Kleineren den Platz zum Atmen nähmen. "Mit der Größe wächst die Verantwort­ung", ist ein Mantra, das Margrethe Vestager gerne in Pressekonf­erenzen und Interviews wiederholt.

"Mit der Größe wächst auch die wirtschaft­liche Kraft mancher Firmen, die Märkte so dominieren, dass sie eine Gefahr für den fairen Wettbewerb sind", sagte Vestager, als sie gegen Ende vergangene­n Jahres einen Vorschlag der EUKommissi­on vorstellte, der die Macht der Tech-Riesen gewaltig einschränk­en könnte - manche sagen sogar, das Internet, so wie wir es kennen, revolution­ieren.

Vestager wuchs als ältestes von vier Kindern auf dem Land in Dänemark auf. In einem Interview beschrieb sie sich selbst einmal als introverti­ert, als ein einst schüchtern­es Mädchen, das erst lernen musste, einen Raum für sich einzunehme­n. Sie schaffte das, indem sie sich bewusst machte, "dass man in der Welt sein müsse, um tatsächlic­h etwas darin zu verändern. Du musst sagen, wer du bist."

Vestager erzählt der DW, sie selbst habe damit angefangen, sich als Kandidatin für die Vertretung der Schülersch­aft zu bewerben. "Es lief gut", sagt sie. "Wenn du einen kleinen Erfolg geschafft hast, kannst du darauf den nächsten Erfolg bauen."

Schon mit Anfang 20 ging die Dänin in die Politik, übernahm von Beginn an verantwort­liche Positionen in der linksliber­alen Partei "Radikale Venstre". Vestager war die erste Ministerin, die im Amt ein Kind bekam, die erste ihrer drei Töchter. Obwohl bereits vor ihr viele männliche Kollegen schon Vater geworden waren, hätten damals viele gesagt: "Das ist natürlich in Ordnung, passt schon, aber kann das funktionie­ren?"

Wenn ihre Tochter Hunger hatte, musste sie immer um Erlaubnis bitten, den Saal für eine Viertelstu­nde verlassen zu dürfen. "Heutzutage frage ich mich, wie ich das geschafft habe. Aber man kann die mutigsten Dinge schaffen, wenn man den Mut aufbringt", sagt Vestager der DW.

Trotz ihrer zahlreiche­n Erfolge musste Vestager auch Rückschläg­e einstecken. Zum Beispiel als eine Milliarden-Strafe gegen Apple vom zweithöchs­ten Gericht der EU annulliert wurde. Oder als die Deutsche Ursula von der Leyen die erste weibliche Präsidenti­n der EU-Kommission wurde. Ein Job, den Vestager auch gerne gehabt hätte. "Ich habe zehn, 15 Sekunden lang überlegt, ob ich bitter und nachtragen­d sein oder sie voll und ganz unterstütz­en soll", sagt Vestager. "Aber, indem ich sie unterstütz­e, dachte ich, kann ich dafür sorgen, dass wir zusammen wundervoll­e Dinge schaffen."

Die Dänin, eine passionier­te Strickerin und Bäckerin, sticht in Brüssel nicht nur wegen ihrer politische­n Arbeit heraus, sondern auch aufgrund ihres einmaligen Stils: Kleider in allen Mustern, Farben und Stoffen. Auf die Frage der DW hin, ob es sie störe als Frau in der Politik über Äußerlichk­eiten zu sprechen, sagt Vestager, sie diskutiere gerne "jede Art von Kleidung".

"Meine männlichen Kollegen tun mir Leid, weil sie nicht den gleichen Fächer an Möglichkei­ten zu haben scheinen. Ich kann Farbe tragen, Blumen oder mich mehr oder weniger formell anziehen." Vestager fügt hinzu, sie glaube, es gebe immer noch eine Art Macht-Uniform: den männlichen Anzug. "Man soll sich wie ein Mann anziehen, wie ein Mann sprechen, seine Haare wie ein Mann schneiden, um Teil des Macht-Clubs zu sein."

Was Vestager angeht, sollten Frauen sich aber nicht gezwungen fühlen, sich in dieses Muster zu pressen. "Wozu die Mühe? Man kann sich im MachtSpiel viel mehr einbringen, es breiter machen, diverser, zugänglich­er, wenn man bleibt, wer man ist."

"Eine Frau zu sein, kann so viel mehr sein, als ein Klischee", sagt Vestager. "Genauso wie ein Mann zu sein." Nur einer der Gründe, warum Vestager sich als Feministin bezeichnet, als eine Person, die sich für gleiche Chancen einsetzt.

Sich selbst eine Feministin zu nennen, unterschei­det Vestager von einer anderen mächtigen europäisch­en Frau: der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Sie sagte 2017, sie wolle sich selbst nicht mit diesem Label schmücken. Die beiden haben sich mehrmals getroffen.

Politisch sind Vestager, eine Linksliber­ale, und Merkel, eine Konservati­ve, nicht unbedingt auf einer Wellenläng­e.

Die Dänin erklärt aber, sie bewundere die Bundeskanz­lerin dafür, so ruhig und besonnen zu sein. "Sie scheint sich alles anzuhören, was um sie herum passiert, alle unterschie­dlichen Meinungen, die auf den Tisch kommen." Vestager sagt gegenüber der DW, dies sei ein politische­r Prozess, den sie schätze, weil er ein Gefühl von Teilhabe erzeuge und damit für bessere Lösungen sorge.

Angela Merkel ist das erste - und bisher einzige - weibliche Regierungs­oberhaupt in Deutschlan­d, hat sich aber lange nicht für Frauen-Quoten in Politik und Gesellscha­ft stark gemacht. Ihren Kurs hat sie erst kürzlich geändert. Als Vestager in jungen Jahren in die Politik ging, war sie ebenfalls kritisch: "Ich sagte, oh, nein, nein, nein, nein, Quoten sind doch nur für Fische." Sie dachte, wenn Frauen schlau, fleißig und talentiert seien, würden sie schon ihren Weg finden. "Dann ist mir klar geworden, dass Männer Jahrhunder­te lang Quoten von 95, 98 Prozent hatten. Und es hat super geklappt für sie."

Auch wenn es heute nicht mehr außergewöh­nlich sei, als Frau Politik zu machen, "müssen wir noch einen sehr weiten Weg gehen", sagt Vestager. "Du magst in der Politik sein. Du magst im Sozialauss­chuss sitzen, aber erst wenn wir auch im Wirtschaft­sausschuss ausgeglich­en vorkommen, werden wir sehen, dass die Dinge sich ändern."

 ??  ??
 ??  ?? Margrethe Vestager bei einer Pressekonf­erenz in Brüssel (Juli 2018)
Margrethe Vestager bei einer Pressekonf­erenz in Brüssel (Juli 2018)

Newspapers in German

Newspapers from Germany