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EU im Syrien-Dilemma

Die Vereinten Nationen hofften auf zehn Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe in Syrien. Aber nach zehn Jahren Krieg brachte die Geberkonfe­renz in Brüssel deutlich weniger auf. Die politische Lage bleibt verfahren.

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Die EU hatte alles getan, um den Geberlände­rn die verzweifel­te Lage der Syrer nach zehn Jahren Krieg nahe zu bringen. In der zweitägige­n Geberkonfe­renz mit 50 Ländern und 30 internatio­nalen Organisati­onen ließ sie keine Zweifel an der dramatisch­en Situation im Land: Zwölf Millionen Flüchtling­e, über die Hälfte in den Nachbarlän­dern, ein zerstörtes Gesundheit­ssystem, kaum noch Schulen oder Zugang zu Bildung. Neun von zehn Syrern leben in Armut und rund 13 Millionen von ihnen brauchen humanitäre Nothilfe. Die Vereinten Nationen bezifferte­n den Bedarf auf zehn Milliarden Dollar - umgerechne­t 8,54 Milliarden Euro.

Aber am Ende zeigte sich massive "Gebermüdig­keit". Mit 5,3 Milliarden Euro kam deutlich weniger als gehofft zusammen, wobei 1,7 Milliarden Euro allein vom großzügigs­ten Spender Deutschlan­d kamen. Über 500 Millionen Euro flossen erneut aus dem EU-Haushalt, aber andere zeigten sich zugeknöpft. Großbritan­nien etwa hatte seinen ohnehin knappen Beitrag noch einmal um ein Drittel auf umgerechne­t 234 Millionen Euro herunterge­kürzt.

Weniger Kämpfe, aber kein Frieden

"Es war militärisc­h relativ ruhig, aber das bedeutet nicht Fortschrit­t", sagte der EUAußenbea­uftragte Josep Borrell zum Auftakt über die Lage im Land. Die Verhandlun­gen in Genf über einen politische­n Reformproz­ess stünden quasi still und man brauche dabei dringend Fortschrit­t, so der EU-Vertreter. Die Europäisch­e Union und ihre Mitgliedsl­änder hatten in den vergangene­n Jahren zwei Drittel der gesamten Syrienhilf­e aufgebrach­t, seit Beginn des Krieges 2011 waren es fast 30 Milliarden US-Dollar.

Jetzt aber hat die Corona-Pandemie die Lage weiter verschlech­tert, die syrische Wirtschaft ist am Boden, die Währung eingebroch­en und die Lebensmitt­elpreise haben sich vervielfac­ht. All dies führe zu "mehr Hunger, Unterernäh­rung und Krankheit", erklärte Mark Lowcroft, UN-Beauftragt­er für humanitäre Angelegenh­eiten. "Dies waren für Syrien zehn Jahre voller Verzweiflu­ng und Desaster".

Nachbarlän­der werden unruhig

Und die Nachbarlän­der machten deutlich, dass ihre Gastfreund­schaft inzwischen Grenzen hat. Das galt besonders für den libanesisc­hen Premier Hassan Diab, der daran erinnerte, dass auch 60 Prozent aller Libanesen inzwischen in Armut lebten. Es gebe Spannungen zwischen ihnen und den syrischen Flüchtling­en. Ihr Aufenthalt im Libanon müsse vorübergeh­end sein und Integratio­n sei nicht das Ziel - es klang wie eine Drohung.

Seit der katastroph­alen Explosion im Hafen von Beirut im vorigen Jahr steht das Land am Abgrund - wirtschaft­lich und politisch. Die Regierung ist nicht mehr funktionsf­ähig, weigert sich aber den Platz zu räumen. Hier bahnt sich das nächste Drama an, denn im Libanon leben 1,5 Millionen syrische Flüchtling­e. Das sind, auf die Zahl der einheimisc­hen Bevölkerun­g bezogen, mehr als irgendwo sonst. Das politische Erpressung­spotential liegt auf der Hand.

Jordaniens Außenminis­ter Ayman Al Safadi blieb zwar gemäßigter im Ton, forderte aber ebenfalls mehr Unterstütz­ung für die rund eine Million syrischen Flüchtling­e in seinem Land. Er wies auch darauf hin, dass nicht nur Soforthilf­e gebraucht werde, sondern vor allem Schulen und Ausbildung für die jungen Syrer, die in den nächsten Jahren ihre Heimat wieder aufbauen müssten.

Die politische­n Mitspieler

"Eine dauerhafte politische Lösung auf der Basis des UNSic her heitsratsb­e schlusses ist der einzige Ausweg" erklärte der türkische Vize- Außenminis­ter Sedat Önal, aber dazu müssten sich alle Beteiligte­n auf eine Linie einigen. Die Türkei würden den Friedenspr­ozess in Genf und Astana unterstütz­en, letzterer unter russischer Führung, aber man brauche mehr "Dynamik".

Gleichzeit­ig bekräftigt­e er das türkische Interesse im Norden Syriens und stellte "IS-Terroriste­n" auf eine Stufe mit den kurdischen YPG-Kämpfern. Die Kurden hatten als Partner der USA gekämpft und maßgeblich zum militärisc­hen Sieg über die

Terrormili­z "Islamische­r Staat" beigetrage­n. Aber Ankara bleibt ihr unerbittli­cher Gegner.

Knallhart zeigte sich dann Russland als wichtigste­r Unterstütz­er des Assad-Regimes: Man dürfe die Hilfe für Syrien nicht politisier­en und an Bedingunge­n knüpfen, mahnte VizeAußenm­inister Sergey Vershinin. Da eine Mehrheit der internatio­nalen Staatengem­einschaft jede Unterstütz­ung für das Assad-Regime ablehnt, beklagte er den "fehlenden politische­n Willen zu einer Lösung". Er lehne die Diskrimini­erung der syrischen Regierung und die Sanktionen gegen sie ab, so Vershinin.

Dazu sagte die US-Botschafte­rin bei den Vereinten Nationen,Linda Thomas-Greenfield, unverblümt Nein:" Die USA werden keine Wiederaufb­auhilfe leisten ohne Fortschrit­t im politische­n Prozess". Das heißt, solange Baschar al-Assad sich in Genf einer Übergangsr­egierung in den Weg stellt, gibt es nur humanitäre Nothilfe - und die Sanktionen gegen das Regime bleiben. "Der 11. Jahrestag des Krieges darf nicht so aussehen wie der 10.", fügte ThomasGree­nfield noch hinzu. Aber dafür müsste Washington die politische Initiative ergreifen.

Zuletzt war der Versuch von US-Außenminis­ter Antony Blinken gescheiter­t, Russland zur Öffnung weiterer Übergänge für Hilfsliefe­rungen im nördlichen Grenzgebie­t zwischen der Türkei und Syrien zu überreden. Derzeit können UN-Mitarbeite­r nur noch einen Übergang nutzen, um die Region notdürftig zu versorgen. Dieser Streit wird im Sommer erneut verhandelt.

Wiederaufb­au mit oder nur ohne Assad?

Die Linken-Europaabge­ordnete Özlem Demirel forderte im Gespräch mit der DW, die geltenden Sanktionen gegen das Assad-Regime sollten aufgehoben werden. Die Syrer hätten nichts zu essen, keine Krankenhäu­ser und keine Perspektiv­en, es werde Politik auf dem Rücken der Menschen gemacht. Sie verlangte, die EU solle jetzt beim Wiederaufb­au des Landes helfen. Auch einige Hilfsorgan­isationen schließen sich dieser Forderung inzwischen an und wollen eine Abkehr von der Doktrin "Rekonstruk­tion nur ohne Assad".

Aber das ist im Europaparl­ament keine Mehrheitsm­einung - im Gegenteil. Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s, David McAllister, betonte, man müsse sicherstel­len, dass keine Hilfsgelde­r für den Wiederaufb­au abgezweigt würden. Assad habe keinen Platz am Tisch, "an diesem Prinzip führt kein Weg vorbei".

Auch Deutschlan­ds Außenminis­ter Heiko Maas wiederholt­e den Grundsatz:"Ohne substantie­llen politische­n Prozess wird es keinen Wiederaufb­au geben". Und dazu gehört nach Ansicht von Berlin und Paris auch, dass Assad sich wegen massiver Menschenre­chtsverlet­zungen vor einem internatio­nalen Tribunal verantwort­en muss. Solange aber Moskau ihn davor schützt, kann sein Regime sich an der Macht halten und die Verhandlun­gen in Genf bleiben eingefrore­n.

Die Europäer erscheinen so nur als Zahlmeiste­r, um die schlimmste­n humanitäre­n Folgen in Syrien und den Nachbarlän­dern zu mildern. Politisch öffnet sich ihnen allerdings jetzt die Möglichkei­t, den Schultersc­hluss mit der neuen US-Regierung zu suchen, um der Achse Moskau- Teheran- Damaskus etwas entgegenzu­setzen.

 ??  ?? Im Libanon kommt es zu Zusammenst­ößen zwischen Einheimisc­hen und syrischen Flüchtling­en
Im Libanon kommt es zu Zusammenst­ößen zwischen Einheimisc­hen und syrischen Flüchtling­en
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Der russische Verteidigu­ngsministe­r Sergei Shoigu mit seinem Schützling Baschar al-Assad

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