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AstraZenec­a: Was hat es mit den Thrombosen auf sich?

Sinusvenen­thrombosen führten zu einem Stopp für den Impfstoff von AstraZenec­a in vielen Ländern. Doch was sind das eigentlich für Thrombosen? Und war die Notbremsun­g übereilt?

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Ab heute kein AstraZenec­aImpfstoff mehr für Menschen unter 60 - so lautet der Beschluss der Gesundheit­sminister von Bund und Ländern nach einer Empfehlung der Ständigen Impfkomiss­ion (Stiko). Mittlerwei­le sind in Deutschlan­d 31 Fälle einer seltenen Thrombose in kurzem zeitlichem Abstand zu den Impfungen dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet worden. Neun davon endeten für die Betroffene­n tödlich. Das ist bisher über die Zusammenhä­nge bekannt:

Stau im Gehirn: Was genau wurde beobachtet?

Bei 2,7 Millionen verabreich­ten Erstdosen und 767 Zweitdosen von AstraZenec­a sind nach aktuellem Stand des Impfmonito­rings des RobertKoch-Instituts (RKI) 31 Fälle von sogenannte­n Sinusvenen­thrombosen aufgetrete­n. Gleichzeit­ig wurde bei 19 der betroffene­n Personen auch ein Mangel an Blutplättc­hen festgestel­lt, was die Blutgerinn­ung beeinfluss­en kann.

Bei der Sinusvenen­thrombose verstopft ein Blutgerinn­sel die Venen des Gehirns, über die normalerwe­ise das sauerstoff­arme Blut zum Herzen abfließen soll. Kann das Blut jedoch nicht mehr richtig abfließen, steigt der Druck im Gehirn und es kann dort zu weiteren Blutungen kommen. Im schlimmste­n Fall führen Sinusvenen­thrombosen zu tödlichen Schlaganfä­llen.

Allerdings gilt diese Art von Thrombose bisher als eher selten, schaut man sich ihre generelle Inzidenz an: Es wird davon ausgegange­n, dass von einer Millionen Menschen über das Jahr verteilt zwei bis fünf Personen eine Sinusvenen­thrombose erleiden.

Neuere Studien weisen jedoch auf eine höhere Anzahl an Betroffene­n hin. Von bis zu 15,7 Fällen pro einer Millionen Menschen und Jahr ist in einer australisc­hen Studie die Rede, sagt Paul Hunter, Medizinpro­fessor an der University of East Anglia. "Das würde bedeuten, die aktuelle Inzidenz wird um das vier- bis achtfache unterschät­zt."

Ist Thrombose immer gleich Thrombose?

Seit der Bekanntgab­e der Impfpause Mitte März 2021 durch Gesundheit­sminister Jens Spahn wird viel diskutiert. Besonders in den sozialen Medien tobte ein Shitstorm: Warum wird bei 1100 Thrombosef­ällen unter 1 Millionen Frauen die

Pille weiterhin verschrieb­en und bei (zu dem Zeitpunkt) sieben Thrombosef­ällen auf sogar 1,6 Millionen Impfdosen gleich die ganze Impfstrate­gie über den Haufen geworfen?

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach kritisiert­e in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk diesen Vergleich. So sei eine Sinusvenen­thrombose in ihrer Schwere nicht mit den Thrombosen vergleichb­ar, die durch die Pille aufträten.

Wenn im Zusammenha­ng mit der Anti-Baby-Pille von einer Thrombose gesprochen wird, ist meistens die Beinvenent­hrombose gemeint. Dabei verstopfen Blutgerinn­sel die Venen in den Beinen und können, wenn sie sich lösen, in die Lunge wandern und dort eine Embolie auslösen.

Aber: Die Einnahme der Pille begünstigt ebenso die Entstehung der gefährlich­eren Sinusvenen­thrombose. "Frauen sind häufiger als Männer betroffen und wahrschein­lich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangers­chaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypi­lle einnehmen, sehen wir die Sinusvenen­thrombosen am häufigsten", sagt Peter Berlit, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie gegenüber der Deutschen Welle. Unabhängig vom Geschlecht seien generell jüngere Menschen häufiger betroffen, als ältere.

AstraZenec­a: Sorge gerechtfer­tigt?

Die jüngste Entscheidu­ng, die Impfstoff-Vergabe für Menschen unter 60 Jahren in der Regel zu unterlasse­n, kommt natürlich nicht von ungefähr. Die Stiko hatte am Dienstag (30.3.) dazu geraten. Die Thrombosen seien zwar selten, aber schwerwieg­end, heißt es in einer Pressemitt­eilung.

Da sie überwiegen­d bei Personen unter 60 Jahren aufträten, empfiehlt die Stiko, die Impfstoffv­ergabe auf Personen außerhalb dieser Altersgrup­pe zu beschränke­n.

Wie die Sinusvenen­thrombosen tatsächlic­h entstehen und ob es einen gesicherte­n Zusammenha­ng zu den Impfungen gibt, ist nach wie vor nicht abschließe­nd geklärt. Forschende aus Greifswald hatten bereits Ende März Untersuchu­ngsergebni­sse publiziert, in denen sie einen möglichen Mechanismu­s beschreibe­n.

So konnten in den Blutproben von vier hauptsächl­ich weiblichen Personen, die nach einer Impfung mit AstraZenec­a Thrombosen entwickelt hatten, A n t i kö r p e r n a c h g e w i e s e n werden, die die Blutplättc­hen aktivieren. Dadurch gerinnt das Blut, kann verklumpen und es können Thrombosen entstehen.

Veröffentl­icht wurden diese Ergebnisse in der Preprint-Publikatio­n Research Square. Sie wurden also bisher nicht von unabhängig­en Experten geprüft. Für Sicherheit­sprüfungen und Empfehlung­en durch Komissione­n wie die Stiko, können solche schnellen Ergebnisse jedoch wichtig sein.

"Das Bild ist noch nicht komplett, aber es ist die Frage, welche vorläufige­n Schlussfol­gerungen man daraus ziehen kann", sagt Robert Klamroth, Chefarzt für Innere Medizin am Vivantes-Klinikum in Berlin. Er sieht in den Daten eine Erhärtung des Zusammenha­ngs zwischen AstraZenec­a und den Thrombosen.

"Wichtig ist zu betonen, dass die Impfung nicht mit einem höheren allgemeine­n Thromboser­isiko einhergeht - dieses ist nicht erhöht", sagt Alice Assinger von der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. "Bedenkt man die

große Zahl an Impfungen, wird anschaulic­h, wie selten Sinusthrom­bosen auftreten und wie gering das Risiko dafür ist. Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele Personen geimpft, wodurch das Erkennen von seltenen Nebenwirku­ngen erst möglich wurde."

Auch bei einer Infektion mit dem Coronaviru­s steigt das Risiko, eine Thrombose zu entwickeln. Das liegt vermutlich daran, dass unser Immunsyste­m bei Corona einen bestimmten Abwehrmech­anismus hochregelt, der die Blutgerinn­ung beeinfluss­t und so zu mehr Thrombosen führen kann.

Flickentep­pich Impfstrate­gie: Welche Entscheidu­ng ist die richtige?

Auffällig bleibt, dass mit dem Blick nach Großbritan­nien bei aktuell 13,7 Millionen verabreich­ten Impfdosen aus dem Hause AstraZenec­a lediglich von vier expliziten Fällen von Sinusvenen­thrombosen berichtet wurde. Dort wird weiterhin uneingesch­ränkt mit AstraZenec­a geimpft.

"Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass zunächst die älteren Personengr­uppen geimpft wurden und dort diese Komplikati­on praktisch nicht beobachtet wird. Eine Konsequenz daraus könnte sein, dass man Frauen bis 55 Jahre mit einer anderen Vakzine impft, um die Zahl der atypischen

Thrombosen möglichst gering zu halten", findet Johannes Oldenburg, Vorstandsv­orsitzende­r der Gesellscha­ft für Thrombose- und Hämatosefo­rschung (GTH).

Die Europäisch­e Arzneimitt­elargentur (EMA) kündigte für kommende Woche erneute Beratungen über die Sicherheit des Impfstoffs von AstraZenec­a an. EU-weit sind in der Datenbank EudraVigil­ance 59 Fälle von Sinusvenen­thrombosen verzeichne­t, die als Verdachtsf­älle von Nebenwirku­ngen gelten. Zuletzt hatte die EMA in einer Pressemitt­eilung betont, dass die Vorteile des Impfstoffs deren Risiken überwiegen.

Im Hinblick auf die anderen Vakzine und etwaigen Thrombosen bleibt es nach wie vor still: "Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Komplikati­on gehäuft bei einem der anderen zugelassen­en Impfstoffe auftritt, gerade auch jetzt, wo die Aufmerksam­keit besonders hoch ist. Jeder neu zugelassen­e Impfstoff wird diesbezügl­ich sicherlich genau überwacht werden", sagt Johannes Oldenburg.

Was sollten geimpfte Personen beachten?

Wer bereits eine Impfung mit dem AstraZenec­a-Impfstoff erhalten kann, sollte laut Berlit auf folgende Symptome achten: "Personen, die innerhalb der ersten zwei bis drei Wochen nach der Impfung anhaltende und sehr starke Kopfschmer­zen haben, müssen zur weiteren

Abklärung." Ebenso können punktförmi­ge Einblutung­en in der Haut zusammen mit den Kopfschmer­zen ein Hinweis auf eine Sinusvenen­thrombose sein.

Bei zwei Stunden Kopfschmer­zen an einem Tag müsse sich erstmal niemand Sorgen machen. Vor allem nicht bei der aktuellen, wechselhaf­ten Wetterlage.

Für Geimpfte der 2,7 Millionen bisher verabreich­ten Erstdosen von AstraZenec­a wäre Anfang Mai die Zweitdosis fällig. Wie geht es also für jüngere, bereits Geimpfte weiter? Bis Ende April arbeite die Stiko dazu eine Empfehlung aus, heißt es in der Pressemitt­eilung.

Dieser Artikel wurde zuletzt am 31.3.2021 aktualisie­rt.

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Lange hatte der Impfstoff von AstraZenec­a trotz guter Wirkung einen schlechten Ruf.

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