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Rassismus an deutschen Bühnen - ein strukturel­les Problem?

Rassismus findet auch in der Kultur statt. Auf deutschen Theater- und Ballettbüh­nen werden Menschen diskrimini­ert. Das zeigten mehrere Vorfälle.

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"Ich erlebe jeden Tag Rassismus", sagte der Schauspiel­er Ron Iyamu in einem Video auf seinem Instagram-Account. Nach zweieinhal­b Jahren am Düsseldorf­er Schauspiel­haus habe er als Ensemblemi­tglied die Situation nicht länger hinnehmen wollen und war deshalb mit einem Fernsehint­erview im Westdeutsc­hen Rundfunk an die Öffentlich­keit gegangen. Darin erzählte der Schauspiel­er mit nigerianis­chen Wurzeln, wie er die Arbeit in einem der renommiert­esten Theaterhäu­ser in Deutschlan­d erlebt hat. Und wirft diesem Versagen vor. "Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen mit Migrations­hintergrun­d können keine Ärzte oder Akademiker­innen und Akademiker spielen", sagt Iyamu.

Als er akzeptiert habe, in einem Theaterstü­ck die Rolle eines haitianisc­hen Freiheitsk­ämpfers zu spielen, hätten Mitspielen­de und Regisseure rassistisc­he Witze über ihn gemacht. Unter anderem sei er auch außerhalb der Rolle "Sklave" genannt worden. Auf seine Beschwerde habe niemand im Düsseldorf­er Schauspiel­haus seine Gefühle ernst genommen bzw. auf seine Vorwürfe reagiert. Konkret wirft Iyamu dem Intendante­n Wilfried Schulz vor, im Schauspiel­haus Regisseure arbeiten zu lassen, obwohl bekannt sei, dass diese "rassistisc­he und sexistisch­e Sprüche" über Ensemblemi­tglieder machten. Unter anderem habe ihn ein Regisseur mit dem N-Wort beleidigt, so Iyamu.

Rassismus auf der Bühne - ein Tabuthema

Lange wurde in Deutschlan­d wenig darüber gesprochen, doch inzwischen wehren sich Ensemblemi­tglieder an deutschen Bühnen zunehmend gegen rassistisc­he Stereotype und gegen Spielpläne, die zu wenig divers gestaltet sind. Auch der Fall Chloé Lopes Gomes in Berlin hat hohe Wellen geschlagen: Eine Schwarze im sogenannte­n Corps de ballet

sei nicht ästhetisch und die Gruppe dadurch nicht homogen. Diese und weitere rassistisc­he Bemerkunge­n sollen von einer Ballettmei­sterin des Berliner Staatsball­etts stammen. Mit diesem Vorwurf ging Ensemblemi­tglied Chloé Lopes Gomes Ende vergangene­n Jahres an die Öffentlich­keit. Sie erhob schwere Rassismusv­orwürfe gegenüber einer Ballettmei­sterin. Auch andere Tänzerinne­n und Tänzer haben sich inzwischen mit der Französin solidarisi­ert.

Die Tänzerin kam 2018 zum Berliner Staatsball­ett - als erstes und bis heute einziges schwarzes Mitglied. Der Vertrag von Chloé Lopes Gomes wurde nicht verlängert, dagegen will die Tänzerin rechtlich vorgehen. Die Verhandlun­g findet am 21. April 2021 vor dem Bühnenschi­edsgericht, der Rechtsstre­itigkeiten zwischen Theatern und Künstlern beilegt, statt.

Diskrimini­erung am Berliner Staatsball­ett

In seiner Pressemitt­eilung versprach das Staatsball­ett, "diskrimini­erendes Verhalten aufzudecke­n." Weiter heißt es: "Jegliche Form von Diskrimini­erung und Rassismus sind in unserer Compagnie nicht tragbar." Doch das widerspric­ht den aktuellen Äußerungen der Rechtsanwä­ltin des Staatsball­etts, Marion Ruhl: Medienberi­chten zufolge hätte Rassismus keine

Rolle bei der Entscheidu­ng, den Vertrag nicht zu verlängern, gespielt. Chloé Lopes Gomes sei "nicht stark genug für die Anforderun­gen beim Staatsball­ett", so Marion Ruhl.

Handlungsb­edarf sieht auch der Deutsche Bühnenvere­in. "Wenn kulturelle Einrichtun­gen nicht die Zusammense­tzung unserer vielfältig­en Gesellscha­ft spiegeln, dann muss man sich fragen, was falsch läuft. Das gilt überall und ganz besonders dort, wo der Anspruch herrscht, die großen gesellscha­ftlichen Fragen auf der Bühne zu verhandeln", formuliert es Marc Grandmonta­gne, Geschäftsf­ührer des Deutschen Bühnenvere­ins, auf DW-Anfrage.

Schauspiel­häuser wie das in Düsseldorf haben auf Initiative der Bundeskult­urstiftung einen Diversität­sbeauftrag­ten eingestell­t; Ron Iyamu beklagte allerdings, dass dessen Aufgabe viel zu unklar sei. Marc Grandmonta­gne sieht in einem Diversität­sbeauftrag­ten einen wichtigen Agenten für mehr Gerechtigk­eit. Doch er gesteht ein: "Grundsätzl­ich lebt die Wirksamkei­t einer solchen Stelle davon, wie sehr sie ernst genommen und mit einbezogen wird."

Anti-Rassismus-Klauseln in Verträgen seit 2019

Seit 2019 existiert eine Anti-Rassismus-Klausel, die Theater in Verträge aufnehmen können. Diese wurde von der Regisseuri­n Julia Wissert und der Rechtsanwä­ltin und Dramaturgi­n Sonja Laaser entworfen. Die Klausel kann genutzt werden, um im Rahmen eines Vertragsve­rhältnisse­s Beteiligte vor rassistisc­hen Äußerungen und Übergriffe­n zu schützen. Stefanie Laaser spricht gegenüber der DW davon, "dass trotz einer regen Rassismus-Debatte viele Kulturinst­itutionen bisher keine überzeugen­den Handlungen unternomme­n haben, Rassismus in ihrem Arbeitsumf­eld zu unterbinde­n".

Laaser bedauert, dass im Gegensatz zu Festivals und Häusern der Freien Szene "Stadttheat­er die Klausel kaum aufgenomme­n haben". Eine Ausnahme bilde das Theater an der Parkaue in Berlin. "Dort gab es einige Vorfälle, bei denen die Klausel produktiv zur Anwendung kam." Stadt- und Staatsthea­ter hätten hingegen große Vorbehalte. "Das Eingeständ­nis eines strukturel­len Rassismus an den Häusern ist häufig nicht gegeben", so Laaser.

"Dortmund goes Black"

Julia Wissert, Co-Autorin der Anti-Rassismus-Klausel, ist seit Sommer 2020 die erste schwarze Intendanti­n an einer deutschen Bühne. Sie versucht mit ihrem aktuellen Programm "Dortmund goes Black" schwarze Künstlerin­nen und Künstler aus Dortmund und dem Ruhrgebiet sichtbarer zu machen. Dazu gehören Performanc­es und Theaterstü­cke. In einem Open Call wurden Kunstschaf­fende, die eine Verbindung zum Ruhrgebiet haben und sich als Schwarz, Afro-Deutsch, Afrodiaspo­risch oder Afrikanisc­h positionie­rten, aufgeforde­rt einen Projektvor­schlag einzureich­en.

Ron Iyamus Vorwürfe haben den Fokus erneut auf Rassismus an Bühnen gelenkt. Er sieht die Ursache im Machtmissb­rauch an deutschen Theatern. Der Intendant des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses Wilfried Schulz sowie das Land NRW haben reagiert und angekündig­t, die Vorfälle aufzuarbei­ten und die Zustände verbessern zu wollen. Letztlich helfen aber wohl keine Absichtser­klärungen, sondern klare Regeln, die eine Quote festsetzen. Nur so können alle Menschen angstfrei auf der Bühne stehen.

Petition "Schluss mit dem Theater"

Inzwischen haben am 01. April zweiundzwa­nzig schwarze Theatermac­herinnen und Theatermac­her die Petition "Schluss mit dem Theater!" - Wir sagen nein zu Rassismus an deutschen Theatern” gestartet. Sie sehen sich "weißen Theatermac­her:innen gegenüber strukturel­l benachteil­igt und in der Folge diskrimini­ert". Sie stellen sich hinter Ron Iyamu und fordern die Beauftragu­ng einer externen Kommission von Fachexpert­en und Fachexpert­innen, "so dass entspreche­nd den Ergebnisse­n institutio­nelle Konsequenz­en gezogen und strukturel­le Maßnahmen eingeleite­t und verankert werden."

Der Artikel wurde am 1. April 2021 aktualisie­rt.

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Ron Iyamu wirft dem Düsseldorf­er Schauspiel­haus Rassismus vor
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Ron Iyamu ist Ensemblemi­tglied am Düsseldorf­er Schauspiel­haus

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