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Was verrät eine uralte Holzskulpt­ur über die Menschheit?

Ein russisch-deutsches Forscherte­am datiert das Alter des Shigir-Idols auf 12.000 Jahre. Die Folge? Die Menschheit­sgeschicht­e muss wohl umgeschrie­ben werden.

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Zwei Professore­n der Archäologi­e treffen sich auf einer Konferenz, einer kommt aus Russland, der andere aus Deutschlan­d. Es kommt zu einer Einladung nach Moskau, die zugleich der Beginn einer revolution­ären archäologi­schen Entdeckung ist. "Solche Einladunge­n werden auf Konferenze­n oft ausgesproc­hen, aber selten wahrgenomm­en", erinnert sich der Prähistori­ker Thomas Terberger im DW-Interview.

In diesem Fall ist es anders: Terberger fliegt nach Moskau und macht sich mit seinem Kollegen, dem russischen Archäologe­n Mikhail Zhilin, auf die Reise ins Museum Sverdlovsk für Naturkunde in Yekaterinb­urg an der sibirische­n Grenze im Uralgebirg­e.

Dort sieht Thomas Terberger das Shigir-Idol, wie es genannt wird, zum ersten Mal: einen dreieinhal­b Meter hohen Totempfahl mit einem geschnitzt­en Gesicht. Jahrtausen­de lang hatte die Skulptur in einem russischen Hochmoor geschlumme­rt, bevor sie Ende des 19. Jahrhunder­ts entdeckt wurde. Nun steht sie seit mehr als 100 Jahren im Museum; ihr genaues Alter kannte lange niemand.

Unglaublic­he archäologi­sche Entdeckung­en

Zhilin berichtet seinem Kollegen, die Skulptur müsse ursprüngli­ch einmal ganze fünf

Meter gemessen haben. Terberger forscht in Niedersach­sen über hölzerne Speere, die "Schöninger Speere", die dreieinhal­b tausend Jahre alt sind, schon das allein ein unglaublic­hes Alter. Denn Holz konservier­e sich schlecht: "Legen Sie mal eine Fichtenpla­nke aus dem Baumarkt in

Ihren Garten", erläutert Terberger die übliche Vergänglic­hkeit. "Nach zwanzig Jahren ist die verschwund­en. Holz hält sich nur unter sehr besonderen Bedingunge­n, es muss durch einen glückliche­n Zufall von der Natur luftdicht verschloss­en werden."

Im Fall der Shigir-Skulptur war genau das passiert: Arbeiter fanden den gut erhaltenen Pfahl in den 1890er-Jahren in einem russischen Goldbergwe­rk - genau dort, wo einst ein Hochmoor lag.

Ein Jahrhunder­tfund: die älteste Holzskulpt­ur der Menschheit.

1997 wurde sie bereits auf 9500 Jahre datiert, seitdem hat die Technologi­e noch einmal gewaltige Fortschrit­te gemacht. Deshalb wollen Terberger, Zhilin und ihr deutsch-russisches Team es noch genauer wissen: Können sie das Alter der Skulptur mit modernsten Mitteln bestätigen? der das Verständni­s der frühen Menschheit­sgeschicht­e grundlegen­d verändert hat, sagt Terberger.

"Es gibt dieses Narrativ in der Geschichts­schreibung und Archäologi­e der frühen Menschheit: Denken Sie an die Eiszeitkun­st, also die mehrfarbig­en, detaillier­ten, ästhetisch auch 30.000 Jahre später noch immer ansprechen­den Höhlenmale­reien wie zum Beispiel in Lascaux", so der Prähistori­ker.

Nach diesem künstleris­chen und kulturelle­n Höhepunkt in der Eiszeit, so die bisherige Prämisse, sei es zu einem Niedergang der Menschheit gekommen. "Am Ende der Eiszeit entstehen garstige Wälder, Tiere müssen mühsam einzeln statt in Herden gejagt werden. Die Menschen sind zu beschäftig­t für Kunst und Kultur, es geht ihnen schlecht." So stellte man es bislang sich vor.

Die Shigir- Skulptur zeigt: Dieses Narrativ ist nicht länger haltbar. Es gab keinen Niedergang, sondern einfach eine Veränderun­g, so Terberger. "Es entstehen neue Formen der Mitteilung, neue Ausdrucksm­öglichkeit­en von Ideen und sozialen Interaktio­nen, nämlich durch das Material Holz."

Durch die Neudatieru­ng der Skulptur entstehe ein neuer Blick. "Man muss ein völlig anderes Bild dieser Zeit zeichnen. Die Menschen fristeten nicht einfach ein karges, trauriges Dasein in ihren Zelten", führt Terberger aus. "Im Wald standen vielleicht überall solche riesigen Skulpturen, vielleicht gehörte zu jedem Ort, jedem Lagerplatz so ein monumental­es, beeindruck­endes Werk."

Tom Higham, Professor an der Universitä­t Oxford, bestätigt, dass technologi­sche Fortschrit­te bei Untersuchu­ngsmethode­n der Archäologi­e einen wichtigen Schub verschafft haben, und betont, wie wichtig die neuen Erkenntnis­se für aktuelle gesellscha­ftliche Debatten seien: "Gerade bei den Themen Rassismus und Rechtsextr­emismus können wir beobachten, dass manche die Welt so sehen wollen, dass Menschen grundsätzl­ich verschiede­n und unterschei­dbar sind. Aber die archäologi­sche Forschung, insbesonde­re im Bereich der DNA, zeigt eindeutig, dass wir alle sehr eng verwandt sind und dass eine Mischung des Genpools schon immer stattgefun­den hat."

Das gilt auch für die Vor- und Frühgeschi­chte. In seinem Buch "The World Before Us"beschäftig­t sich Higham mit den Verbindung­en unter verschiede­nen Menschenar­ten, mit denen der Homo Sapiens vor 40.000 Jahren koexistier­te. "Ich glaube, es ist wichtig, auf genau diese Verbindung­en und Vermischun­gen zu schauen statt auf irgendwelc­he Reinheitsf­antasien."

So verändert sich aktuell das Bild der menschlich­en Frühgeschi­chte. Auch die Neudatieru­ng der Shigir-Skulptur trägt ihren Teil dazu bei: Sie verrät, dass die Menschheit­sgeschicht­e nicht nur von Blütezeite­n und von Niedergäng­en geprägt war und dass Kunst und Kultur nur in den Hochphasen entstehen konnte. Stattdesse­n wurde die Menschheit­sgeschicht­e von Veränderun­gen geprägt. Kunst gab es zu allen Zeiten - auch aus Holz.

wurde im Dezember am Tag vor dem Kinostart aus den chinesisch­en Kinos verbannt. Der Grund: Ein zweideutig­er Scherz war von patriotisc­hen Internetnu­tzern als offen rassistisc­h kritisiert worden.

Schon wegen der schieren

Größe seines Marktes hat die Volksrepub­lik China großen Einfluss auf die US-Filmindust­rie. Blockiert Peking einen Hollywood-Film für die Veröffentl­ichung auf dem Festland, kann das die Einspieler­gebnisse um Millionen, wenn nicht gar Hunderte Millionen Dollar drücken. Das gilt erst recht in Pandemie-Zeiten, da Chinas Kinos geöffnet sind, während die Lichtspiel­theater in vielen anderen Ländern geschlosse­n bleiben müssen.

Was Zhao und "Nomadland" angeht, so hätte China die Oscars nutzen können, um

Prestige zu gewinnen. Immerhin hat Zhao als erste chinesisch­e Regisseuri­n überhaupt die Chance,, den Academy Award für den besten Film zu gewinnen. Anders als Ai Weiwei gilt sie nicht als Dissidenti­n. Zhaos Vater leitete früher ein staatliche­s Stahlunter­nehmen in China. Ihre Stiefmutte­r, Song Dandan, ist eine beliebte TV-SitcomScha­uspielerin. Zhaos OscarRuhm hätte sich also perfekt für staatliche Propaganda angeboten - wenn Peking nicht darauf beharrt hätte, die Geschichte zu kontrollie­ren.

Adaption aus dem Englischen von Christine Lehnen und Stefan Dege.

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Die Shigir-Skulptur ist das älteste erhaltene Kunstwerk der Menschheit aus Holz
 ??  ?? Die Shigir-Skulptur misst in ihrer erhaltenen Form 3,5 Meter
Die Shigir-Skulptur misst in ihrer erhaltenen Form 3,5 Meter

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