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Meinung: Löw kann die Wende kaum noch schaffen

Nach der blamablen Niederlage gegen Nordmazedo­nien sind die Zweifel an Bundestrai­ner Joachim Löw wieder gewachsen. Einen noch früheren Abschied als ungekündig­t würde ihm wohl niemand übel nehmen, meint Jörg Strohschei­n.

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Manchmal ist der Blick von außen hilfreich. Xavi Hernandez geriet kürzlich in einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung ins Schwärmen. "Er war ein Luxus-Trainer. Er wollte Spektakel, Angriffsfu­ßball, und dann wurde er damit auch noch Weltmeiste­r", sagte der ehemalige spanische Weltklasse­Fußballer voller Bewunderun­g über Joachim Löws 15 Jahre andauernde Karriere beim Deutschen Fußball-Bund. "Aber bei so einem Zeitraum kommt es zwangsläuf­ig zu Abnutzungs­erscheinun­gen." Zu diesem Zeitpunkt ahnte Xavi allerdings noch nichts von der desillusio­nierenden Pleite gegen Nordmazedo­nien.

Wie tiefgreife­nd der Verschleiß zwischen Bundestrai­ner und Nationalte­am mittlerwei­le vorangesch­ritten ist, bestätigte sich einmal mehr am Mittwochab­end in Duisburg. Die 1:2Niederlag­e gegen den 65. der Welt war ein weiterer, kaum zu erklärende­r Tiefpunkt des DFBTeams - nach dem blamablen WM-Aus in der Vorrunde in Russland sowie dem desaströse­n 0:6 gegen Spanien Mitte November 2020. Entspreche­nd ratlos wirkte Löw nach dem neuerliche­n blamablen Auftritt.

Dabei hatte der 61-Jährige nach seinem angekündig­ten Rücktritt nach der EM im Sommer nochmals hoch motiviert gewirkt. Löw wollte unnachgieb­ig im Umgang mit den Spielern sein, wollte keine unangebrac­hte Rücksicht mehr walten lassen - wie etwa mit der Nicht-Nominierun­g Julian Draxlers exemplaris­ch bewiesen. Er schien zu hoffen, dass er damit die Verschleiß­teile im Nationalte­am erneuern könnte. Alles sollte dem Erfolg untergeord­net werden. Er wollte nachweisen, dass der von ihm beschritte­ne Weg des Umbruchs der richtige ist. Ohne Top-Spieler wie Mats Hummels, Thomas Müller oder Jerome Boateng. Mittlerwei­le lässt sich sagen: Löw hat sich geirrt.

Der Weltmeiste­r-Trainer hat nicht die (Führungs-) Spieler im Team, auf die er bei einem

Umbruch zählen kann. Seine Einschätzu­ng, dass er ohne diese erfahrenen Akteure (auch wenn diese in Russland auf dem Platz standen) auskommen kann, lässt sich nicht mehr aufrechter­halten. Im Mai will Löw den Kader für das EM-Turnier nominieren. Dass zumindest Müller und Hummels weiter außen vor bleiben, ist nicht mehr anzunehmen. Für Löw wäre das ein schmerzhaf­tes Eingeständ­nis - weil er weniger Pragmatike­r als vielmehr Überzeugun­gstäter und Freigeist ist.

Jüngst war Löw für seine Entscheidu­ng, im Sommer seine Tätigkeit für den DFB zu beenden, noch geradezu überschwän­glich von der Öffentlich­keit und vielen Weggefährt­en gelobt worden. Ungeachtet seiner beträchtli­chen Erfolge wohl auch, weil dabei Erleichter­ung mitschwang, dass der Bundestrai­ner den Weg für einen Nachfolger freimacht. Die damit eigentlich hergestell­te Ruhe rund um die Personalie Löw wird nach dem Nordmazedo­nien-Spiel nun mindestens bis EM- Beginn wieder von

Getöse abgelöst. Dies dürfte ein zäher, nervtötend­er Prozess für alle Beteiligte­n werden - der wohl nur mit dem EMTitel endgültig beendet werden könnte.

Irgendwann gehe die Flamme mal aus, sagte der Spanier Xavi noch in seinem Interview. "Es war möglicherw­eise jetzt auch der Fall, nach einem Zyklus, der gemessen an der Spielkultu­r und nach Resultaten gigantisch war." Die Frage wird sein, ob Löw seine persönlich­e Glut noch bis zur EM am Glimmen halten und die richtigen Schlüsse ziehen kann. Das ist nur noch sehr schwer vorstellba­r. Auch einen noch früheren Abschied würde Löw jetzt wohl niemand mehr übel nehmen.

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DW-Redakteur Jörg Strohschei­n kann sich einen anderen Bundestrai­ner als Löw bei der EM vorstellen

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