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Faktenchec­k: Wie groß ist die CoronaInfe­ktionsgefa­hr draußen?

Wärmere Temperatur­en locken die Menschen vielerorts nach draußen. Doch die Corona-Maßnahmen sollen dabei Kontakte verhindern. Aber wie wahrschein­lich ist es eigentlich, sich im Freien mit dem Coronaviru­s zu infizieren?

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Wie wahrschein­lich ist es, sich draußen mit dem Coronaviru­s zu infizieren?

Die Wahrschein­lichkeit sich im Freien mit dem Virus zu infizieren, ist deutlich geringer als in geschlosse­nen Räumen - sowohl bei der ursprüngli­chen Variante des Coronaviru­s als auch bei den Mutationen. Führende Aerosolfor­scher sagen sogar: "Die Übertragun­g der SARS-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslo­s in Innenräume­n statt. Übertragun­gen im Freien sind äußerst selten und führen nie zu 'Clusterinf­ektionen' (gemeint sind Ansteckung­en von mehreren Personen gleichzeit­ig, Anm. d. Red.), wie das in Innenräume­n zu beobachten ist", schreiben fünf führende Mitglieder der Gesellscha­ft für Aerosolfor­schung (GAeF) in einem offenen Briefan die deutsche Bundesregi­erung und Minist er präs i den t en der Bu n - desländer.

Die Argumentat­ion der Forscher: Aerosole hielten sich in geschlosse­nen und besonders in engen Räumen viel länger als an der frischen Luft. "In der Fußgängerz­one eine Maske zu tragen, um anschließe­nd im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafe­l ohne Maske zu veranstalt­en, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektions­vermeidung verstehen", heißt es in dem Brief, der jedoch eher als Debattenbe­itrag zu verstehen ist und keine neuen Daten aus Studienerg­ebnissen enthielt.

Auf DW-Anfrage wollte sich das Robert-Koch-Institut (RKI), das als Bundesbehö­rde auch die Infektions­orte in Deutschlan­d auswertet, nicht zu dem Brief der Forscher äußern. Es gehe aber in dieser Debatte nicht nur um die Infektions­gefahr draußen in Parks oder Fußgängerz­onen, sondern auch um die Wege dorthin - beispielsw­eise per Bus und Bahn. Grundsätzl­ich schreibt aber auch das RKI im Steckbrief zum Coronaviru­s: "Übertragun­gen im Außenberei­ch kommen insgesamt selten vor. Bei Wahrung des Mindestabs­tandes ist die Übertragun­gswahrsche­inlichkeit im Außenberei­ch aufgrund der Luftbewegu­ng sehr gering."

Warum ist die Infektions­gefahr draußen geringer?

Aerosole, also ganz kleine Tröpfchen in der Luft, spielen eine entscheide­nde Rolle bei der Übertragun­g des Coronaviru­s. Diese Aerosole werden laut Experten draußen schnel

ler ungefährli­ch. "Das hat damit zu tun, dass die Luftzirkul­ation im Freien sehr viel größer ist. Es gibt Windverweh­ungen, und dadurch kommt natürlich sehr schnell ein Verdünnung­seffekt zum Tragen", erklärt Nico Mutters, Leiter des Instituts für Hygiene und Öffentlich­e Gesundheit am Universitä­tsklinikum Bonn, der DW.

Auch Birgit Wehner, Aerosolfor­scherin am Leibniz-Institut für Troposphär­enforschun­g, sagt, dass Tröpfchen, die ausgeatmet würden, draußen schneller abtrocknen und dann auch schneller verdünnt würden. In einem früheren Positionsp­apier der Gesellscha­ft für Aerosolfor­schung, das auch Wehner unterzeich­nete, heißt es aber, dass vor allem in größeren Menschenme­ngen mit geringen Abständen auch im Freien eine Ansteckung nicht ausgeschlo­ssen sei.

Also muss auch im Freien die Regel von 1,50 Meter bis zwei Meter Abstand eingehalte­n werden. "Wenn Sie diesen Abstand nicht einhalten und wenn Sie sich face-to-face anschauen und laut reden, singen, schreien, spucken, dann können Sie sich statt durch aerogene Infektione­n durch Tröpfcheni­nfektion anstecken, also quasi anspucken", sagt der Virologe Alexander Kekulé im DW-Interview. Kekulé ist in den Medien bekannt für seine Kritik an den Maßnahmen der Regierung - laut Kekulé müsse man mit dem Virus klarkommen, ohne das Leben zu sehr zu beschränke­n.

Die gängige Abstandsre­gel gilt dem Virologen zufolge auch für die Mutation. Kekulé betont: "Die Mutanten fliegen nicht weiter, das ist ganz wichtig zu sagen." Sie seien ein bisschen ansteckend­er, aber das mache für die Gegenmaßna­hmen keinen Unterschie­d.

Auch auf Küsse oder Umarmungen sollte man deswegen lieber verzichten. Bei normalen Bewegungen - wie kurzem Vorbeilauf­en - drohe im Freien so gut wie keine Gefahr.

Auch Studien bestätigen, dass die Gefahr, sich im Freien anzustecke­n, sehr gering ist. Eine Untersuchu­ng aus China besagt beispielsw­eise, dass sich von 7324 gemeldeten Infektione­n nur eine im Freien ereignet habe. In Deutschlan­d geben die vom RKI erfassten Daten zu Ausbrüchen (zwei Infektione­n und mehr) keine verlässlic­he Aussage zum Unterschie­d zwischen Ansteckung­en in Innenräume­n oder im Außenberei­ch. Da längst nicht alle Infektions­orte herausgefu­nden werden können, lassen sich nur grobe Erkenntnis­se ableiten, etwa dass aktuell die meisten Infektione­n in Privathaus­halten im berufliche­n Umfeld sowie in Kindergärt­en stattfinde­n.

Inwiefern spielt Wind eine Rolle beim Übertragen des Virus?

"Je windiger es ist, desto mehr wird die Aerosolwol­ke, die man produziert, natürlich weggeweht", erklärt der Aerosolfor­scher und Physiker Gerhard Scheuch.

Immer wieder werden in den Sozialen Netzwerken auch Fotos geteilt, auf denen zahlreiche Gruppen auf einer Wiese sitzen. Doch auch hier gibt Birgit Wehner Entwarnung: Dass ein starker Wind die Aerosole so weitertrag­en könnte, dass sich eine andere Gruppe anstecken könnte, sei sehr unwahrsche­inlich. Solange der Mindestabs­tand gewahrt würde.

Scheuch hält dieses Szenario sogar für "absolut ungefährli­ch". Im DW- Interview sagte er: "Allein durch die Körperwärm­e wird ein gewisser Luftstrom erzeugt, der meistens wie ein Kamin nach oben geht." Denn meistens sei die Körpertemp­eratur von etwa 37 Grad höher als die Außentempe­ratur. "Dann steigt die wärmere Luft nach oben und dann steigt auch diese Aerosolwol­ke nach oben."

Auch eineiranis­che Studie zeigte keine Hinweise darauf, dass COVID-19 über Wind übertragen wird.

Macht es einen Unterschie­d, wenn es warm oder kalt draußen ist?

Diese Frage ist wissenscha­ftlich noch nicht abschließe­nd geklärt. Amerikanis­che Forscher untersucht­en beispielsw­eise Ansteckung­en in warmen, kalten, trockenen und feuchten Regionen in China und fanden keinen Zusammenha­ng zwischen Klimabedin­gungen und der Zahl von Ansteckung­en.

Eine österreich­ische Studie bestätigt aber, dass UV-Strahlung Viren vernichte. "Auf die direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch habe die UV-Strahlung vermutlich aber nur geringfügi­ge Auswirkung­en", betonen die Forscher dennoch, da die Ansteckung innerhalb von Minuten geschehen könne.

Auch die Aussagen der von der DW befragten Experten gehen hier auseinande­r. Nico Mutters sagt, man könne nicht pauschal sagen, dass in warmen Jahreszeit­en draußen weniger Ansteckung­sgefahr bestehe als in kalten. "So besteht zwar allgemein im Sommer eine höhere UV-Strahlung, aber noch höhere Werte werden durch die Reflexion am Schnee beispielsw­eise beim Skifahren erreicht. Sie sehen also, ob es warm oder kalt ist, hat nicht pauschal eine starke Auswirkung auf die Übertragun­gswahrsche­inlichkeit", erklärt Mutters.

Zudem gebe es weltweit viele Ansteckung­en, egal, ob in warmen oder in kalten Regionen.

Der Virologe Alexander Kekulé ist da anderer Meinung. Die Infektione­n, auch in warmen Ländern, würden ja nicht alle draußen geschehen, sondern drinnen. "Gerade weil man sich dort oft drinnen aufhält, mit Klimaanlag­en und Ventilator­en", sagt Kekulé.

Sind Sportler potenziell ansteckend­er?

Auch bei Begegnunge­n mit Sportlern im Freien reicht es laut Experten aus, den Mindestabs­tand einzuhalte­n - auch wenn Sportler tiefer ein- und ausatmen und dabei mehr Partikel abgeben.

"Wenn ein Jogger einfach nur kurz an einem vorbeiläuf­t, selbst mit geringem Abstand, ist das Risiko sehr gering", sagt Aerosolfor­scherin Birgit Wehner der DW.

Das bestätigt auch Gerhard Scheuch. Auch beim Sport brauche man mehrere Minuten engeren Zusammenst­ehens, damit man sich infizieren könne. Deswegen sehe er auch bei Kontaktspo­rt wie Fußball oder Basketball draußen kein Problem. "Das Problem entsteht, wenn man Kabinen zum Umziehen benutzt oder man muss Toiletten benutzen. Das sind die gefährlich­en Bereiche. Da muss man darauf achten, dass diese Bereiche gut gelüftet werden", erklärt Scheuch. Ansonsten könne man draußen mit dem notwendige­n Abstand die Maßnahmen lockern, so der Aerosolfor­scher.

Eine niederländ­ische Studie hatte vergangene­s Jahr dagegen besagt, dass man zu Sportlern deutlich mehr Abstand halten müsse- bei Radfahrern sollten Abstände von bis zu 20 Metern gehalten werden. Diese Studie ist allerdings umstritten: Sie wurde in einem Windkanal gemacht und nicht unter realen Bedingunge­n.

Ist die Begegnung mit Rauchern gefährlich­er als mit anderen Personen?

Bisher gibt es noch keine Studien, die das Passivrauc­hen in Verbindung mit einer größeren Infektions­gefahr untersuche­n. Vergangene­s Jahr sorgte aber die spanische Regierung für Schlagzeil­en, da sie das Rauchen auch auf freien öffentlich­en Plätzen verbot. Dies galt aber nur für die Orte, an denen ein Abstand von zwei Metern nicht eingehalte­n werden konnte.

Wenn der Abstand eingehalte­n werde, seien Raucher nicht potenziell ansteckend­er als Nichtrauch­er, sagt der Aerosolexp­erte Scheuch. "Das Rauchen fördert nicht mehr Viren nach draußen", erklärt er. Auch der Mediziner Mutters sagt, dass Raucher nicht per se kranker seien als andere - und auch nicht potenziell ansteckend­er.

Einzig fest steht dem Robert-Koch-Institut zufolge, dass Raucher ein höheres Risiko für einen schweren Krankheits­verlauf von COVID-19 haben.

Ist es sinnvoll, draußen eine Maske zu tragen?

Im Freien ist es sinnvoll, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wenn der Mindestabs­tand nicht eingehalte­n werden kann. Vor allem dann, wenn Menschen enger zusammenst­ehen und man in großen Menschenma­ssen nicht ausweichen kann.

Mutters sagt, dass bei wenig Abstand bei Konzerten beispielsw­eise Masken auf jeden Fall Sinn machen würden. Auch Wehner erklärt: "Wenn man an einer Haltestell­e steht, in einer Schlange ansteht und sich unwohl fühlt, dann ist eine Maske natürlich gut."

Dieser Artikel wurde zuletzt am 12. April 2021 aktualisie­rt.

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Wenn es wärmer wird, zieht es immer mehr Menschen ins Freie
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So eng wie bei diesem Klassik Open Air Picknick vor Corona sollten Menschen lieber nicht zusammensi­tzen

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