Deutsche Welle (German edition)

Meinung: Debatte über Sputnik in Deutschlan­d kommt zur Unzeit

Deutsche Politiker wollen im Alleingang den russischen Impfstoff bestellen. Dabei liegt eine Zulassung noch in weiter Ferne. Das ist Populismus, findet Jens Thurau.

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Eines vorweg: In der gegenwärti­g fast schon verzweifel­ten Corona-Lage in Deutschlan­d, aber auch in vielen anderen europäisch­en Ländern, sollte eigentlich jede Hilfe willkommen sein, auch die aus Russland, auch die bei der Bereitstel­lung von Impfstoffe­n. Wenn täglich Menschen sterben, weil die EU zu wenig Impfstoffe bestellt hat oder immer wieder an seiner schwerfäll­igen Bürokratie scheitert, dann ist Flexibilit­ät und Improvisat­ion gefordert.

Aber deshalb gleich auf den russischen Impfstoff Sputnik V setzen, wie es etwa Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder nun tut? Der hat seinem Bundesland in einem Vorvertrag rund 2,5 Millionen Dosen gesichert, obwohl das Serum von der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde EMA noch gar nicht zugelassen ist.

Und in der Slowakei haben 200.000 Sputnik-V-Dosen für eine handfeste Regierungs­krise gesorgt: Erst bestellte die Regierung unter viel Getöse das Serum, jetzt gibt die nationale Arzneimitt­elbehörde den Impfstoff nicht frei. Mit einer Begründung, die auch Söder oder andere deutsche Politiker, die mit dem russischen Impfstoff liebäugeln, alarmieren sollte: Der Impfstoff, der jetzt vorliege, so die Behörde, unterschei­de sich von demjenigen, dem eine Fachzeitsc­hrift noch im Februar eine Wirksamkei­t von über 90 Prozent bescheinig­t hatte.

Eigentlich zeigt der hektische Versuch, an russischen Impfstoff zu gelangen, nur, wie groß die Panik ist, die die deutsche Politik befallen hat. Die Infektions­zahlen steigen rasant, die aktuellen Zahlen nehmen Experten wegen der Ostertage, in denen einfach weniger Daten übermittel­t wurden, nicht mehr ernst. Ein Fiasko für die Glaubwürdi­gkeit der Corona-Politik im Bund und in den Ländern. Längst schauen die Experten auf die schnell steigende Belegung der Intensiv-Betten in den Kliniken, und von dort kommen schrille Hilferufe.

Deutschlan­d leistet sich eine Debatte um die Sinnhaftig­keit weiterer Beschränku­ngen und Lockdowns, die im Kern kaum noch ein Bürger versteht. Eine weitere Konferenz der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten am nächsten Montag ist abgesagt worden. Erst in dieser Woche konnten die Hausärzte in Deutschlan­d mit dem Impfen beginnen, obwohl sie seit langen ihre Bereitscha­ft dazu verkündet hatten.

Und in dieser Lage können einzelne Politiker wie eben Söder der Versuchung nicht widerstehe­n, mit dem Ruf nach dem russischen Impfstoff Schlagzeil­en zu produziere­n. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn will mit Russland über Sputnik V sprechen, was auch immer das konkret heißt.

Das Beispiel des britischsc­hwedischen Impfstoffe­s von AstraZenec­a hätte doch eigentlich genügen müssen. Der Impfstoff wird breit in Europa eingesetzt, vor allem in Großbritan­nien, auch in Deutschlan­d. Und die EMA hat erst vor wenigen Tagen noch einmal erklärt, dass sie weiter auf das Serum setzt, auch wenn es zu Hirnvenent­hrombosen in einzelnen Fällen bei Geimpften gekommen ist.

In Deutschlan­d wird der Impfstoff nun nur noch an über 60 Jahre alte Personen ausgegeben. Wieder ein Momentum erhebliche­r Verunsiche­rung bei der Bevölkerun­g. Und in solch einer Situation setzen dann deutsche Politiker auf einen Impfstoff, dessen Datenlage noch nicht einmal klar feststellb­ar ist?

Dass Russland die Not in Europa auch zum eigenen geopolitis­chen Vorteil ausnutzen will, darf nicht verwundern. Sputnik V wird etwa in Ungarn breit eingesetzt, der Spalt in der EU zwischen Ungarn und Deutschlan­d und Frankreich etwa lässt sich so vertiefen. Aber nicht einmal das müsste langfristi­g und grundsätzl­ich ein Hindernis sein, um auch aus Russland stammende Seren in Europa einzusetze­n. Aber jetzt die in Europa zuständige Behörde einfach zu umgehen, ist fahrlässig. weiter: Das Virus, sagen viele Experten, wird wohl nicht verschwind­en, vielleicht müssen wir viele Jahre mit einer, vielleicht zwei Impfungen pro Jahr leben. Da ist die EU mit 450 Millionen Einwohner gut beraten, alle verfügbare­n Impfstoffe in Betracht zu ziehen. Wenn die Daten stimmen, wenn eine ordnungsge­mäße Zulassung vorliegt. Und aktuell sollten die Politiker angesichts der dramatisch­en Lage doch lieber überlegen, dem britischen Beispiel zu folgen und möglichst schnell alle Bürger mit einer Erstimpfun­g mit den vorhandene­n Impfstoffe­n zu versehen.

Das bietet keinen umfassende­n, aber doch weitgehend­en Schutz und würde nach Ansicht vieler Experten die Infektions­zahlen und vor allem die dramatisch­en Krankheits­verläufe reduzieren. Aber dafür scheint es zur Zeit keine Mehrheit zu geben, vielleicht fehlt auch die Kraft für einen solchen Befreiungs­schlag, der den Kurs in der Impf-Kampagne entscheide­nd verändern würde. Stattdesse­n leistet sich Deutschlan­d diese Sputnik-Phantom-Debatte. Es ist ein Jammer.

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DW- Hauptstadt­korrespond­ent Thurau Jens
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