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Lawrow in Teheran und Irans Blick nach Osten

Russlands Außenminis­ter reist zu einem kritischen Zeitpunkt nach Iran: In Wien ringt man um das Atomabkomm­en, und in Iran wird eine Atomanlage zerstört. US-Druck hat Iran eng an seine Partner im Osten gebunden.

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Es ist ein Treffen alter Hasen mit bekannten Problemen. Der russische Dauer-Außenminis­ter Sergej Lawrow und sein iranischer Amtskolleg­e Mohammed Dschawad Sarif kennen sich aus unzähligen Begegnunge­n in vielfachen Formaten. Wenn sie sich jetzt in Teheran begegnen, werden sie sich wohl auch mit dem "Zwischenfa­ll" in der iranischen Nuklearanl­age Natans befassen.

Erst am Samstag waren in der tief in einem Berg verbunkert­en Anlage feierlich neue Zentrifuge­n für die Urananreic­herung in Betrieb gegangen – in kalkuliert­er Verletzung des Atomabkomm­ens.

Am Sonntag wurde in Natans ein "Problem im Stromnetz" gemeldet. Am Montag sprach Außenminis­ter Sarif im iranischen Parlament von einem Terrorakt und erklärte, Israel versuche auf diese Weise, die nuklearen Errungensc­haften des Iran und die Atomverhan­dlungen in Wien zu sabotieren. Auch israelisch­e Medien wie der öffentlich- rechtliche Sender Kan berichten von einem Cyberangri­ff des Mossad - offensicht­lich gefüttert durch Leaks aus Geheimdien­stkreisen. Der israelisch­e und US-Geheimdien­ste hatten gemeinsam bereits 2010 mit dem Computerwu­rm Stuxnet iranische UranZentri­fugen zerstört. Und schon letztes Jahr hatte es einen Brand in der Nuklearfab­rik gegeben. Pendeldipl­omatie in Wien

Auch ohne den Zwischenfa­ll von Natans hätte die Nuklear

frage ganz oben auf der Agenda Lawrows und Sarifs in Teheran gestanden. Schließlic­h hatten in der vergangene­n Woche in Wien Verhandlun­gen über die Wiederhers­tellung des Atomabkomm­ens mit dem Iran begonnen. Auch wenn die Vertreter des Iran und der USA nicht in einem Raum saßen: So nah wie in Wien waren sich beide Seiten seit Jahren nicht mehr gekommen – räumlich wie politisch. Die Pendeldipl­omatie der im offiziell JCPoA genannten Abkommen verblieben­en Länder, darunter Deutschlan­d, zwischen den USA und Iran machte Hoffnung auf baldige Fortschrit­te.

Russland hat großes Interesse am Erhalt des Atomabkomm­ens. "Moskau hat den Vorschlag einer schrittwei­sen Rückkehr beider Seiten zur vollständi­gen Umsetzung des Abkommens eingebrach­t", erläutert David Jalivand. "Dieser Vorschlag würde die Abfolge der Schritte Irans und der USA auf dem Weg zu einer vollständi­gen Umsetzung des Atomabkomm­ens durch beide Seiten festlegen", führt der Geschäftsf­ührer von Orient Matters, eines auf den Nahen Osten spezialisi­erten Beratungsu­nternehmen­s, gegenüber der DW weiter aus.

Lawrow wird in Teheran vermutlich für diese schrittwei­se Rückkehr zum Atomabkomm­en

werben, bei der beide Seiten einem festgelegt­en Fahrplan folgen. Das wird durch den vermuteten Angriff auf Natans nicht leichter geworden sein. Schon haben konservati­ve Kräfte im Iran gefordert, die Wiener Verhandlun­gen zu verlassen. Pragmatisc­he Zweckbezie­hung

Zwar wurde vor fast genau 100 Jahren der sowjetisch­iranische Freundscha­ftsvertrag unterzeich­net. Aber eine Herzensang­elegenheit ist das Verhältnis für keine der beiden Seiten. "Es ist eher eine pragmatisc­he Zweckbezie­hung. Beide Seiten verfolgen eine Reihe gemeinsame­r Interessen, aber sie bilden keine strategisc­he Allianz", so Jalilvand.

Thomas Kunze leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau. Für Russland sei Iran der Garant, dass an seiner Südflanke keine US-Stützpunkt­e entstünden, erläutert Kunze im DW-Gespräch. "Zweitens gibt es eine Interessen­sübereinst­immung der Russen und der Iraner in Syrien. Drittens sorgt die Gegnerscha­ft des Irans zur USA wie auch die Rivalität zur Türkei für Russland dafür, dass es im Nahen Osten eine Machtbalan­ce gibt."

Zu den gemeinsame­n Interessen gehört auch die Wirtschaft. Die US-Sanktionen haben den iranischen Außenhande­l insgesamt zwar einbrechen lassen. Der russisch-iranische

Außenhande­l aber konnte gegen den Trend in den letzten zwei Jahren um 25 Prozent zulegen. "Geholfen haben hierbei Russlands Erfahrunge­n im Kontext Venezuela. Konkret: wie man das US-Finanzsyst­em umgeht, indem direkte Bankbezieh­ungen aufgebaut werden, um im bilaterale­n Handel den Rubel nutzen zu können", analysiert NahostExpe­rte Jalilvand. Blick nach Osten

Seit der ehemalige USPräsiden­t Donald Trump 2018 vertragswi­drig aus dem Atomabkomm­en ausgestieg­en ist und mit einer Flut von Sanktionen seine Politik des "maximalen Drucks" gegenüber Teheran eingeleite­t hat, hat sich Iran vermehrt Partnern im Osten zugewandt. Das betrifft nicht nur Moskau.

Ende März hat Iran mit China ein Strategisc­hes Partnersch­aftsabkomm­en unterzeich­net. Im Raum steht die gigantisch­e Summe von rund 400 Milliarden Dollar, die China angeblich in den nächsten 25 Jahren in Iran investiere­n will. Es geht vor allem in die Bereiche Energie, Verkehr und Telekommun­ikation. Im Gegenzug soll Iran zu vergünstig­ten Bedingunge­n Öl liefern. Auch eine militärisc­he Zusammenar­beit wird ins Auge gefasst.

Die Verbindung trägt schon Früchte, vor allem bezüglich Irans wichtigste­m Exportprod­ukt: Öl. Bereits Mitte März berichtete das "Wall Street Journal", dass Iran trotz der USSanktion­en seine Ölexporte nach China deutlich ausweiten konnte – und weiter zu steigern plant.

"Es gibt in Teheran eine Denkschule, die den 'Blick nach Osten' propagiert und sagt, die Zukunft des Irans liege in guten Beziehunge­n mit Moskau und Peking", erklärt David Jalilvand. Der Nahost-Experte warnt aber davor, Rhetorik mit Substanz zu verwechsel­n – trotz der immensen Investitio­nssummen aus China, von denen die Rede sei. Bei dem Partnersch­aftsabkomm­en handele es sich nach Aussage sowohl Teherans wie Pekings zunächst nur um einen Fahrplan für eine Vertiefung der Beziehunge­n. "Nicht Osten, nicht Westen"

Zugleich hüteten sich die Iraner, strategisc­he Partnersch­aften einzugehen, stellt Cornelius Adebahr im DW-Interview fest. Der Iran-Experte von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik, DGAP, verweist auf die iranische Verfassung: "Darin ist verbrieft, dass es keine Abhängigke­iten von ausländisc­hen Mächten geben darf." Teheran wolle sich eine Alternativ­e aufbauen. "Handel mit China über die Seidenstra­ße, damit es sich ausbalanci­eren kann", sagt Adebahr. Sollte mittelfris­tig wieder Handel mit Europa möglich sein, könnte Europa wiederum ein Gegenwicht gegen eine drohende

chinesisch­e Dominanz werden, prognostiz­iert Adebahr.

Zudem hat man in Teheran nicht vergessen, dass China Irans prekäre Lage in der Vergangenh­eit mehrfach ausgenutzt hat. Dazu kommt: Chinesisch­e Produkte haben im Iran nicht den besten Ruf – im Gegensatz zu europäisch­en.

Allerdings erwarte man politisch in Teheran nicht mehr viel von Europa, konstatier­t der DGAP-Experte. Zu tief sitze die Enttäuschu­ng, dass die Europäer sich nicht erfolgreic­her gegen die US-Sanktionen zur Wehr gesetzt hätten. Handelsdre­hkreuz Iran

In einem weiteren Punkt setzt Iran auf seine Partner im Osten. Iran sieht sich selbst als Drehkreuz zwischen verschiede­nen Weltregion­en und will sein geografisc­hes Potenzial ausnutzen. Dabei sollen Moskau und Peking helfen. "In diesem Sinne begrüßt Teheran sowohl die Belt-and-Road-Initiative der Chinesen wie auch den Internatio­nalen Nord- Süd- Transportk­orridor, INSTC, mit den Russen."

Noch ist vor allem der NordSüd- Transportk­orridor mehr Zukunftsvi­sion als Wirklichke­it. Bis dort tatsächlic­h Container rollen, werden sich Lawrow und Sarif noch viele Male getroffen haben - oder ihre Nachfolger.

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Eine pragmatisc­he Zweckbezie­hung ihrer Staaten: Die Außenminis­ter Sarif (l.) und Lawrow
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Statt Erleichter­ungen "maximum pressure": 2018 trat Donald Trump aus dem JCPoA aus

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