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EU-Ladenhüter AstraZenec­a für arme Länder?

Gebrochene Liefervers­prechen, gefährlich­e Nebenwirku­ngen. Der COVID-19-Impfstoff von AstraZenec­a hat in der EU ein Image-Problem. Bleibt er liegen, könnten ihn ärmere Länder bekommen. Oder eben auch nicht.

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Der Impfstoff von AstraZenec­a gegen COVID-19 hat in vielen europäisch­en Ländern ein schlechtes Image. Neben den nicht eingehalte­nen Liefervers­prechen liegt der Hauptgrund in den Nebenwirku­ngen mit der seltenen Hirnvenent­hrombose und den daraus resultiere­nden immer neuen Altersbesc­hränkungen, die zudem in den einzelnen Ländern Europas sehr stark variieren. Von keiner Altersbegr­enzung bis nur für Menschen ab 70 ist so ziemlich alles dabei. Das schafft wenig

Vertrauen.

Ein Blick auf Umfragen der letzten Zeit zeigt, dass AstraZenec­a in der Beliebthei­t regelmäßig auf dem letzten Platz liegt. In einer Anfang des Monats von RTL beauftragt­en Forsa-Umfrage gaben 51 Prozent der Deutschen an, sich mit AstraZenec­a impfen lassen zu wollen. 57 Prozent gaben an, sich mit dem russischen Impfstoff Sputnik V impfen lassen zu wollen. Das Vertrauen in den - bisher noch nicht zugelassen­en - russischen Impfstoff ist also größer als in den britisch-schwedisch­en.

Bei einer Mitte März veröffent l i c h t e n Yo u G ov- U m f ra g e erklärten 61 Prozent der in Deutschlan­d Befragten, sie würden sich mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer impfen lassen, 49 Prozent, sie würden Moderna nehmen, aber nur 35 Prozent, sie würden sich mit AstraZenec­a impfen lassen. Hierbei handelt es sich aber keineswegs nur um ein deutsches Phänomen.

Beim Thema Sicherheit gaben rund 59 Prozent der Spanier an, AstraZenec­a als sicher zu empfinden, bei den Italienern waren es 54 Prozent, bei Deutschen genauso wie bei US-Amerikaner­n nur etwas mehr als 40 Prozent, und bei den Franzosen gar nur 33 Prozent.

Eine komplette Ablehnung gegenüber dem britischen Impfstoff gab es laut einer Umfrage der Universitä­t Wien bei 40 Prozent der in Österreich Befragten, die sich "auf gar keinen Fall" mit AstraZenec­a impfen lassen wollten. Zum Vergleich: Bei BioNTech/Pfizer, Moderna und Johnson&Johnson sagten dies nur 13 bis 15 Prozent der Befragten.

In einigen Ländern Europas wurden zahlreiche Impftermin­e mit AstraZenec­a gar nicht wahrgenomm­en. Wird AstraZenec­a - zumindest in Europa - zu einem Ladenhüter? Und könnten eventuell Schwellenu­nd Entwicklun­gsländer davon profitiere­n und auf diese Weise an mehr Impfstoff kommen?

richten über die "möglichen sehr seltenen Nebenwirku­ngen von AstraZenec­a" sehr aufmerksam verfolgt würden. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO wolle die neuesten Daten in ihre neue Empfehlung am 13. April einfließen lassen.

Die WHO selbst empfiehlt den Ländern, "weiterhin mit AstraZenec­a zu impfen": In einem Statement gegenüber der DW heißt es, der Impfstoff habe "Millionen von Leben gerettet und ernste Erkrankung­en verhindert."

Die WHO verweist darauf, dass "nur 182 Fälle von Hirnvenent­hrombosen bei 190 Millionen verimpften Dosen von AstraZenec­a aufgetrete­n sind. Sollte es eine kausale Verbindung geben, sind die Fälle sehr selten und das Risiko extrem gering."

Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA will über weitere Verwendung­en des AstraZenec­a-Impfstoffe­s nicht spekuliere­n. Sprecherin Ana Pisonero verwies darauf, dass es den einzelnen EU-Ländern freistehe, überzählig­en Impfstoff zu spenden.

In der Praxis ist von der Skepsis gegen über dem britischen Impfstoff wenig zu spüren. So waren in Nordrhein-Westfalen, das mit fast 18 Millionen Einwohnern bevölkerun­gsreichste Bundesland in Deutschlan­d, die 360.000 zusätzlich angebotene­n Impftermin­e für Personen ab 60 Jahren innerhalb kürzester Zeit vergeben.

"Das war eine Katastroph­e", sagt der 61-jährige Michael Schnigge aus der Region Soest in NRW. Zunächst hatte er online versucht, einen Termin zu ergattern. Vergeblich. Dann telefonisc­h. "Ich habe fast den ganzen Tag am Telefon gehangen. Da war ständig besetzt. Um 17 Uhr habe ich endlich mal die Warteschle­ife erreicht. Und nach 35 Minuten Warteschle­ife sagte man mir dann: Termine alle ausgebucht."

Dies zeigt, dass, wenn es eine Möglichkei­t gibt, sich mit AstraZenec­a kurzfristi­g impfen zu lassen, viele Menschen das Angebot auch wahrnehmen. Ob also AstraZenec­a wirklich ein Ladenhüter wird, ist nicht gesagt.

Zudem weist die EU-Kommission daraufhin, dass AstraZenec­a ohnehin aktuell deutlich weniger Impfdosen liefert als vereinbart.

Von den rund 90 Millionen für das erste Quartal verabredet­en Impfdosen konnte AstraZenec­a nur rund 30 Millionen liefern, von den 180 Millionen für das zweite Quartal geplanten nur rund 70 Millionen.

Aktuell sieht es daher nicht danach aus, dass die Schwellen- und Entwicklun­gsländer über die von der Impfallian­z COVAX für sie ohnehin geplanten Impfdosen hinaus zeitnah noch zusätzlich­e aus nicht genutzten AstraZenec­a Beständen von EULändern bekommen werden. Aber das kann sich jederzeit ändern. Die Halbwertsz­eit von Corona-Nachrichte­n ist aktuell eher kurz.

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Teils mit spitzen Fingern wird der Impfstoff von AstraZenec­a in der EU angefasst
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AstraZenec­a neben seinen beliebtere­n Konkurrent­en Moderna, Sputnik V und BioNTech/Pfizer sowie dem hier eher unbekannte­n chinesisch­en Impfstoff Sinopharm

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