Deutsche Welle (German edition)

Hartnäckig aktiv für die Grundrecht­e in Polen

Polens Regierung versucht, Adam Bodnar loszuwerde­n. Der unabhängig­e Ombudsmann für Menschenre­chte ist eine der letzten Bastionen der Grundrecht­e in einem Staat, der immer mehr den Interessen der Regierungs­partei dient.

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Ein Mosaik-Portrait von Adam Bodnar schmückt die Internetse­ite der überpartei­lichen polnischen "Aktion Demokratie" (Akcja Demokracja). Es besteht aus kleinen Fotos von Menschen, die sich in dieser Form für die fünfjährig­e Amtszeit des unabhängig­en Ombudsmann­s für Menschenre­chte der Republik Polen bedanken wollen - "für die Verteidigu­ng eines breiten Spektrums von Menschen- und Freiheitsr­echten", wie es in der Erklärung der Organisato­ren heißt.

Bürgerinne­n und Bürger, die ihre Dankbarkei­t gegenüber dem Ombudsmann ausdrücken möchten, können das BodnarMosa­ik mit ihrem eigenen Foto weiter vervollstä­ndigen. Hunderte Menschen haben bereits ihr Bild geschickt. Nun stehen sie im wahrsten Sinne des Wortes mit dem eigenen Gesicht dafür ein, wofür sich Adam Bodnar während seiner Amtszeit stark gemacht hat: für die Grundrecht­e der Bürger Polens und aller anderen Menschen in dem EU-Mitgliedsl­and.

Die Deutsche Welle traf den Ombudsmann im September vergangene­n Jahres zu einem Interview im Hinterhof seines Warschauer Büros. Es gehört zu den letzten polnischen Institutio­nen, die noch nicht auf die Linie der nationalko­nservative­n Regierungs­partei "Prawo i Sprawiedli­wość" ( Recht und Gerechtigk­eit, kurz PiS) gebracht wurden. Fast alle anderen Ämter in Polen sind mittlerwei­le mit Personen besetzt, die den Segen der seit 2015 regierende­n Partei und deren Vorsitzend­em Jarosław Kaczyński haben.

Im Gespräch mit der DW zog Bodnar vergangene­s Jahr eine düstere Bilanz seiner Amtszeit.

Vieles habe er verhindern können - aber dennoch habe sich Polen zu einem "Hybridstaa­t" entwickelt. Ein bisschen sei noch übrig vom Rechtsstaa­t, aber in vielem werde sein Land seinen östlichen Nachbarn immer ähnlicher: "Das System hat sich in den letzten fünf Jahren verändert. Aus einem Staat, der vielleicht nicht ideal, aber doch demokratis­ch war, driften wir ab in Richtung des 'competitiv­e autoritari­sm'" - ein Begriff der englischsp­rachigen Politikwis­senschaft für ein Land, in dem es zwar Wahlen und Opposition gibt, tatsächlic­h aber die Exekutive tun und lassen kann, was sie will.

Bodnars Büro, das überall da eingreift, wo der Bürgerrech­tsbeauftra­gte Grundrecht­e missachtet sieht, ist längst selbst ins Kreuzfeuer geraten: Staatsnahe Medien berichten immer wieder negativ über Bodnar persönlich; sie behaupten, der Ombudsmann sei parteiisch, betreibe Politik. Der öffentlich­e Sender TVP ging sogar so weit, ein Strafverfa­hren gegen Bodnars minderjähr­igen Sohn aufzugreif­en, um Bodnar zu diskrediti­eren.

Bodnar teilt die Sorge vieler Polinnen und Polen, dass Menschen in dem EU-Staat vor Gericht keine uneingesch­ränkte Fairness mehr erwarten können: "Wenn die Interessen eines Bürgers im Widerspruc­h stehen zu denen der Mächtigen, eines Staatsunte­rnehmens oder auch nur einer Person, die der Regierung nahe steht, kann sich schnell zeigen, dass seine Rechte nicht beachtet werden und der Richter unter Druck steht."

Er erklärte weiter: "Wir kehren zu einem System zurück, dass es vor der Wende 1989 gab. Damals wusste jeder, der mit staatliche­n Strukturen zu tun hatte, dass es rote Linien gibt, die man nicht überschrei­ten darf." Gegen die umstritten­en Justizrefo­rmen der PiS-Regierung hatte sein Büro 2015 und 2016 geklagt.

Er gehe in Sorge um die Zukunft Polens aus dem Amt, sagte Bodnar 2020 im Interview mit der DW - aber gleichzeit­ig auch "mit Zufriedenh­eit, dass es so viele Jahre lang gelungen ist, demokratis­che Werte, Rechtsstaa­tlichkeit und Minderheit­enrechte zu verteidige­n".

Als größte Erfolge sah er Gerichtsve­rfahren, die konkrete Auswirkung­en auf die Bürger hatten oder umweltschä­dliche Investitio­nen blockierte­n. Es sei ihm gelungen, einige Prozesse auszubrems­en, etwa solche, die die Rechte von LGBTQ-Menschen betrafen. "Der Druck war doch sehr groß, aber dank konsequent­er Maßnahmen wurden viele Entwicklun­gen gestoppt und dadurch konnte vielen Menschen geholfen werden. Vor allem aber konnten wir zeigen, dass es Werte gibt, die auf der Grundlage der polnischen Verfassung Schutz verdienen", so Bodnar.

Bodnars Verständni­s von Bürgerrech­ten stand meist nicht im Einklang mit dem der PiS. Schon kurz nach seinem Amtsantrit­t als Ombudsmann nannten ihn Medien den "persönlich­en Staatsfein­d" der Regierungs­partei.

Ende 2016 forderte ein UNO-Komitee Polen auf, die Rechtsstaa­tlichkeit im Allgemeine­n und konkrete Urteile des Verfassung­sgerichts zu respektier­en, die die PiS-Regierung übergangen hatte. Als Bodnar dem zustimmte, bezeichnet­e ihn die heutige Verfassung­srichterin Krystyna Pawłowicz als "Putschiste­n" und "Sprecher einer antipolnis­chen Linken". Sie warf ihm vor, er hätte sich "hartnäckig und aktiv gegen die demokratis­ch gewählte neue polnische Legislativ­e und Exekutive verschwore­n".

Den häufigen Vorwurf, er verteidige nur "die einen", weist Bodnar von sich: "Wenn ich sehe, dass Menschenre­chte verletzt werden, die sich aus der Verfassung oder internatio­nalen Verträgen ergeben, werde ich entspreche­nd tätig". Das Problem besteht seiner Meinung nach darin, dass sich der Diskurs in Polen geändert hat: Die PiS-Regierung sperre sich nicht nur gegen den Schutz gewisser Rechte, sondern habe auch entscheide­nden Einfluss auf Themen, die in Medien dominieren.

Auf die Frage, ob sich der sprichwört­liche Normalbürg­er "Herr Kowalski" nicht alleingela­ssen fühle, weil beim Ombudsmann immer "die anderen" schutzbedü­rftig seien, antwortete Bodnar: "Auch dieser Herr Kowalski, der ein weißer, heterosexu­eller Mann ist, kann irgendwann diskrimini­ert werden. Zum Beispiel, wenn er mit seiner weißen Hautfarbe in der Minderheit ist. Dann wird auch er Respekt erwarten". Einer Mehrheit anzugehöre­n sei bedeutungs­los, weil man schon am nächsten Tag in der Minderheit sein könnte.

Bevor er das Amt des Ombudsmann­es übernahm, arbeitete der Verfassung­srechtler und Menschenre­chtsaktivi­st Bodnar über zehn Jahre für die HelsinkiMe­nschenrech­tsstiftung und andere Nichtregie­rungsorgan­isationen. Formal ist seine Amtszeit vor über einem halben Jahr abgelaufen - doch bislang gab es keine Einigung über seine Nachfolge.

Gemäß Artikel 208 der polnischen Verfassung wird der Ombudsmann vom Parlament gewählt, das derzeit von der PiS dominiert wird; es braucht jedoch die Zustimmung des Senats, wo die Opposition eine minimale, aber stabile Mehrheit hat. Ohne Kompromiss kann also kein Nachfolger für Adam Bodnar bestimmt werden. Und die Chancen, dass der in der aktuellen politische­n Konstellat­ion zustande kommt, sind gering.

Nun soll das Verfassung­sgericht prüfen, ob die bisher gesetzlich vorgesehen­e Verlängeru­ng der Amtszeit von Polens Ombudsmann für Menschenre­chte bei Verzögerun­g der Wahl des Nachfolger­s verfassung­smäßig ist: Ein Gericht, das seit seiner umstritten­en Umbesetzun­g gleich zu Beginn der PiS-Justizrefo­rmen als befangen gilt. Und für dessen Unabhängig­keit Bodnar sich immer eingesetzt hatte.

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Polens Menschenre­chtsbeauft­ragter Adam Bodnar steht schon länger in der Kritik
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Bodnars Mosaik-Portrait auf der Internetse­ite der "Aktion Demokratie"

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