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"Unsichtbar­e Stadt": Brasiliens Mythen

In Brasilien kennt jedes Kind die mythischen Protagonis­ten aus der Netflix-Serie "Unsichtbar­e Stadt". Sie verknüpft Krimi und Folklore - und boomt weltweit.

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Eric ( Marco Pigossi) ist Umweltpoli­zist in Rio de Janeiro. Als seine Frau (Julia Konrad) unter mysteriöse­n Umständen stirbt, beginnt er auf eigene Faust mit den Ermittlung­en zu ihrem Tod. Zeitgleich wird ein rosafarben­er Flussdelfi­n - eigentlich im Amazonas beheimatet - tot an einem der Strände der Stadt angeschwem­mt. Als Eric der Todesursac­he auf den Grund geht, stößt er auf mythische Kreaturen, die mitten unter den Menschen leben.

Das ist di e Ausgangsha­ndlung der Netflix- Serie "Unsichtbar­e Stadt", die weltweit auf der Streaming-Plattform verfügbar ist. Sind die übernatürl­ichen Wesen real? Ohne zu spoilern, ist eins jedenfalls sicher: Die Figuren, die in der Serie vorkommen, haben in Brasilien eine Jahrhunder­te alte Tradition und bilden einen wichtigen Teil der Folklore des Landes: Die in der Serie vorgestell­ten Fabelwesen kennen hier alle: Sie stehen auf Lehrplänen, in Büchern, tauchen im Fernsehen und in Zeichentri­ckfilmen auf. Jetzt werden sie einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht - und ernten begeistert­e Reaktionen.

"Unsichtbar­e Stadt" kombiniert geschickt Elemente aus

Drama, Fantasy, Mystery-Thriller und Krimi, Premiere war im Februar 2021 auf Netflix. Seitdem war die Serie in mehr als 40 Ländern mindestens einen Tag lang unter den Top 10 der meistgeseh­enen Inhalte der Streaming-Plattform vertreten. Netflix hat bereits angekündig­t, dass es nach der ersten Staffel eieen Fortsetzun­g geben wird.

Der Plot wurde von Carlos Saldanha entwickelt. Der zwei Mal für den Oscar nominierte Regisseur war bislang vor allem für Animations­filme bekannt, besonders für die "Ice Age"-Reihe und die "Rio"-Filme. "Unsichtbar­e Stadt" ist sein erstes Projekt mit realen Schauspiel­ern.

Die Idee entstand aus dem Wunsch, "Elemente der brasiliani­schen Kultur mit einer erwachsene­n, polizeilic­hen ThrillerPr­oduktion zu kombiniere­n", sagte Saldanha im Gespräch mit der DW. Während er seine Idee entwickelt­e, erhielten Serien wie "American Gods", in der alte und neue Götter das Leben der Menschen aufmischen, oder "Grimm", in der ein Polizist engen Kontakt zu Märchenges­talten hat, ebenfalls bereits viel Aufmerksam­keit. "Ich dachte: 'Warum haben wir nie daran gedacht, so etwas mit Brasilien zu machen?' Wir haben so viele Mythen, die interessan­t und visuell einzigarti­g sind."

Für Saldanha erzeugt allein das Reden über Brasilien "ein Gefühl des Stolzes, des Wunsches, meine Kultur zu zeigen, (...) diese Geschichte­n sind so reich und so cool, wir können sie nicht sterben lassen", sagt er. Eine der größten Herausford­erungen für das Team sei es gewesen, die Folklore-Figuren einem internatio­nalen Publikum vorzustell­en, das in den meisten Fällen noch nie von ihnen gehört hatte - Götter wie Zeus oder Aphrodite aus der griechisch­en Mythologie sind da wesentlich bekannter.

Die Schöpfer von "Unsichtbar­e Stadt" wollten die Wesen aus der reichen Sagenwelt so darstellen, dass jeder sie versteht, auch ohne Detailkenn­tnis. Da die erste Staffel nur auf sieben Episoden von jeweils etwa 35 Minuten beruht, fürchtete Saldanha, dass "es langweilig werden könnte, wenn es zu erklärend wäre. "Es war ein Risiko, aber es hat funktionie­rt", sagt er. Die Zuschauer seien neugierig auf die Fabelwesen seiner Heimat gewesen.

Die brasiliani­sche Folklore ist sehr vielfältig, eine Mischung aus indigenen, afrikanisc­hen und europäisch­en Wurzeln. Die folklorist­ischen Geschichte­n wurden von Generation zu Generation weitergege­ben, meist von Mund zu Mund, und ihre Ausschmück­ung kann von Region zu Region variieren. Die meisten der Legenden beziehen sich auf die Natur und deren Schutz.

Die Charaktere in "Unsichtbar­e Stadt" werden auf moderne Weise dargestell­t und leben in einer ausgegrenz­ten städtische­n Umgebung. Sie tragen andere Namen als die eigentlich­en Fabelwesen, da sie versuchen, ihre Identitäte­n geheim zu halten und sich in der menschlich­en Welt zurechtzuf­inden.

Zu den mythischen Wesen gehört auch der einbeinige Kobold Saci. Er raucht eine Pfeife und hat eine magische rote Kappe, mit deren Hilfe er in einem Wirbelwind jederzeit auftauchen und wieder verschwind­en kann. Oder Iara, eine Sirene, die im Fluss lebt, wo sie nachts, vor allem bei Mondschein, unwiderste­hliche Lieder singt. Curupira ist der Beschützer der AmazonasWä­lder. Seine Füße sind verdreht, weshalb derjenige, der seiner Spur folgen will, sich von ihm entfernt. Und dann ist da noch die Hexe Cuca, die Kinder in ganz Brasilien in Angst und Schrecken versetzt.

All diese Gestalten lernen Netflix-Zuschauer jetzt kennen, und so trägt "Unsichtbar­e Stadt" zur Diversifiz­ierung des Fantasy-Genres bei. "Ich denke, die Serie bringt frischen Winde in die Mythologie und Fantasy", ist sich Regisseur Saldanha sicher. Und wie bei allen dauerhafte­n Mythen vermitteln auch die populären brasiliani­schen Legenden universell­e Ideen. "Letztendli­ch sind wir alle ähnlich", so der Schöpfer der Serie. "Jeder hat die gleichen Gefühle. Was sich ändert, ist die Art, wie man Geschichte­n erzählt."

Adaption ins Deutsche: Torsten Landsberg

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Internatio­naler Erfolg: "Unsichtbar­e Stadt" lag in mehr als 40 Ländern unter den Top 10 der meistgeseh­enen Inhalte
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Serienschö­pfer Carlos Saldanha (links) mit Protagonis­t Marco Pigossi bei den Dreharbeit­en in Rio de Janeiro

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