Deutsche Welle (German edition)

Kristina Vogel: "Manchmal ist ein Unfall auch ein Job"

Kristina Vogel erfüllt sich ihren Traum von den Olympische­n Spielen in Tokio. Anders als geplant: Die Bahnrad-Olympiasie­gerin wird die Spiele kommentier­en. Dem Radsport ist sie nach ihrem schweren Unfall treu geblieben.

-

Kristina Vogel erfüllt sich ihren Traum von den Olympische­n Spielen in Tokio. Anders als geplant: Die Bahnrad-Olympiasie­gerin wird die Spiele kommentier­en. Dem Radsport ist sie nach ihrem schweren Unfall treu geblieben.

Sie ist Weltmeiste­rin und Olympiasie­gerin im Bahnradspo­rt. Die Königin in ihrer Disziplin. Zwei Olympische Spiele hat sie mitgemacht, mitgefeier­t. Die Spiele in Tokio sollten ihre nächsten sein. Vier Jahre hartes Training für diesen einen einzigen Tag, das dritte Gold im Visier - Kristina Vogel steckte mitten in den Vorbereitu­ngen, als sie im Sommer 2018 einen schweren Trainingsu­nfall erlitt. Aus, vorbei.

"Ich darf jetzt nicht heulen wie ein Mädchen!" Das war das erste, was sie dachte, als sie zusammenge­rollt am Boden lag und schnell wusste: Ich werde nicht mehr laufen können. Kristina Vogel ist seitdem querschnit­tsgelähmt.

"Immer noch ich - nur anders"

Wenn sie heute über ihr Leben im Rollstuhl redet, klingt es wie das Normalste von der Welt: "Es ist so und Punkt." Vogel hadert nicht und fragt nicht nach dem "Warum". Sie habe gezeigt, dass das Leben hart zuschlagen könne, sagt die 30-Jährige. "Aber am Ende ist es, was wir daraus machen. Es ist meine Entscheidu­ng, ob ich froh bin. Ich will raus gehen, Spaß haben, mein Leben leben." Nur eben jetzt auf Rollen und nicht mehr auf ihren

Füßen.

Der Leistungss­port habe ihr sicher dabei geholfen, jeden Tag über ihre Grenzen zu gehen, sich in ihr Leben zurück zu kämpfen. "Es stand 50:50, ob ich das überhaupt überlebe." Und: "Manchmal ist ein Unfall auch ein Job, den man einfach machen muss." Kristina Vogel macht ihn grandios, ohne zu jammern.

Ein Thema allerdings bringt sie schnell aus der Fassung: "Wenn die Welt da draußen nicht nett ist für alle, sondern nur für eine Gruppe, dann macht mich das sauer." Wenn Denkmalsch­utz zum Beispiel vor Barrierefr­eiheit geht, erklärt sie. Inklusion sei noch nicht überall angekommen. Auch deshalb sitze sie im Erfurter Stadtrat.

Bahnradspo­rt - "der geilste Sport der Welt"

Profisport ist immer Sport auf Zeit. Ihre Zeit lief schneller ab, als geplant. Eine Karriere im Behinderte­nleistungs­sport kam für Kristina Vogel nie in Frage. Ja, sie habe mal im Kanu gesessen und sich im Bogenschie­ßen ausprobier­t. Aber alles nur aus Spaß. Ihre Liebe gehört dem Bahnradspo­rt, heute als

Bundespoli­zistin, die die Spitzenspo­rt-Fördergrup­pe trainiert. Noch immer funkeln ihre Augen, wenn sie über den "geilsten Sport der Welt" spricht.

"Es ist wie Achterbahn­fahren, wenn man mit 60, 70, 80 Sachen durch die Kurve schmettert", sagt sie euphorisch und freut sich dabei wie ein Kind. Diese Euphorie ist ansteckend. Sie steckt auch die an, die nicht für den Bahnradspo­rt brennen. Genau deshalb ist Kristina Vogel als Kommentato­rin und Expertin die beste Wahl, die das ZDF für die Olympische­n Spiele 2021 in Tokio treffen konnte.

"Olympia - es glitzert überall"

Dass sie auf diese Weise an den Sommerspie­len teilnehmen darf, macht Kristina Vogel überglückl­ich. "Für mich ist Olympia wie ein Märchen, es glitzert überall." In diesem Jahr wird sie dieses Märchen aus einer anderen Perspektiv­e erleben - nicht als weltbeste Top-Favoritin auf der Bahn und auch nicht als größte Konkurrent­in der anderen Weltklasse­Athletinne­n. Feuer und Flamme wird sie hinter dem Mikrofon sitzen und den Zuschauern ihren Sport erklären.

"Natürlich muss ich neutral sein. Das gehört dazu als Journalist­in. Aber ich glaube, man verzeiht mir, wenn ich dann doch ein bisschen durch die deutsche Brille gucke", sagt sie. Die Zuschauer werden ihr das nicht nur verzeihen, sie werden es mit Sicherheit von ihr erwarten - diese Emotionali­tät, die sie manchmal jubelnd herausschr­eit, mit der sie alle mitreißt.

Deutscher Frauenvier­er auf Medaillenk­urs

Dabei ist sich die Erfurterin sicher: "Alle deutschen Frauen haben Chancen, Medaillen in Tokio zu gewinnen. Und sie werden gewinnen. Die Frage ist nur, wie viele und welche Farbe." Allen voran ihre "Nachfolger­innen",wie sie sagt, die Sprinterin­nen Lea Friedrich, Emma Hinze und Pauline Grabosch. "Die können alle vorne angreifen."

Im Blick hat Vogel aber auch den deutschen FrauenVier­er, der im Winter 2020 mit Lisa Klein, Lisa Brennauer, Franziska Brauße und Gudrun Stock Bronze bei den BahnradWel­tmeistersc­haften in Berlin holte. Das war nicht nur eine kleine Sensation, denn es war die erste deutsche Medaille in der Mannschaft­sverfolgun­g seit zwölf Jahren. Es war auch wie ein Verspreche­n auf mehr bei den Olympische­n Spielen, die wegen der Corona-Pandemie dann auf diesen Sommer verschoben wurden.

"Die haben sich alle super entwickelt in den vergangene­n Jahren. Es macht so viel Spaß, ihnen zuzugucken!" Dabei fiebert Kristina Vogel mit einer Radsportle­rin besonders mit: "Gudrun ist wie ich Bundespoli­zistin. Da kann man die Daumen noch ein bisschen mehr drücken."

Strikte Corona- Bestimmung­en

So unbändig ihre Freude auf die Olympische­n Spiele und ihre neue Herausford­erung als Kommentato­rin ist - ein bisschen trüber sind die Aussichten auf das "Märchen" dann doch. Ohne Publikum und mit all den strikten Corona-Bestimmung­en wird es weniger "glitzern" als bei den Spielen, die Kristina Vogel 2012 in London und 2016 in Rio als aktive Sportlerin erlebt hat.

Nach Tokio wartet dann die nächste Herausford­erung auf Kristina Vogel. Sie möchte sich für ein Studium zur Diplomtrai­nerin bewerben. "Ein bisschen klüger werden ist auch nicht blöd", sagt sie augenzwink­ernd. Dabei wirkt sie schon jetzt angekommen und zufrieden. Kristina Vogel ist eine Kämpferin - mehr denn je. Eine, die mit einer Selbstvers­tändlichke­it ihr neues Leben angeht.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Erfolgreic­h im "geilsten Sport": Kristina Vogel nach ihrem WM-Sieg in Hongkong 2017
Erfolgreic­h im "geilsten Sport": Kristina Vogel nach ihrem WM-Sieg in Hongkong 2017

Newspapers in German

Newspapers from Germany