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Montenegro: Genozid-Leugnung gefährdet Reformregi­erung

Montenegro­s Justizmini­ster Vladimir Leposavić leugnet den Völkermord im bosnischen Srebrenica. Das könnte die Koalition, die vergangene­n Herbst nach einem historisch­en Machtwechs­el eine Regierung gebildet hat, spalten.

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Die Leugnung des Holocaust ist in Europa geächtet - über kaum eine andere politische Frage besteht auf dem Kontinent ein so breiter Konsens. Auf dem Westbalkan dagegen ist Leugnen oder doch Relativier­en des Massakers von Srebrenica weit verbreitet. In Serbien und in der Republika Srpska, dem serbisch dominierte­n Landesteil Bosnien und Herzegowin­as, ist die Behauptung, das schwerste Kriegsverb­rechen in Europa nach 1945 sei kein Völkermord gewesen, gar eine Art inoffiziel­le Staatsdokt­rin.

Einen Aufschrei löst das internatio­nal nur selten und regional praktisch nie aus. Dabei hat der Internatio­nale Strafgeric­htshof der UN für das ehemalige Jugoslawie­n (ICTY) Planung und Ausführung der Ermordung von über 8000 muslimisch­en Bosniaken in der Gegend um die ostbosnisc­he Kleinstadt Srebrenica im Juli 1995 akribisch dokumentie­rt - und eindeutig als Genozid eingestuft.

Jetzt hat die Leugnung des Völkermord­es von Srebrenica auf dem Westbalkan erstmals eine schwere politische Krise ausgelöst - in Montenegro, dem kleinsten Land der Region. Dessen Minister für Justiz, Minderheit­en und Menschenre­chte, Vladimir Leposavić, sagte Ende März im Parlament in der Hauptstadt Podgorica, er sei bereit, anzuerkenn­en, dass in Srebrenica ein Völkermord stattgefun­den habe - wenn das "eindeutig festgestel­lt" worden sei. Dem ICTY sprach er die Legitimati­on ab - wegen angebliche­r Ignoranz des Kriegsverb­rechertrib­unals gegenüber Verbrechen an Serben.

Die Aussagen des Justizmini­sters stellen die erst seit vier Monaten amtierende Reformregi­erung vor ihre erste Zerreißpro­be. Die Empörung bei einigen Koalitions­partnern, den Opposition­sparteien sowie in Teilen der montenegri­nischen Öffentlich­keit ist groß. Scharfe Kritik kam auch von ausländisc­hen Diplomaten. Regierungs­chef Zdravko Krivokapić forderte Leposavić ultimativ zum Rücktritt auf - doch den verweigert­e der Minister. Nun muss das Parlament über seine Entlassung entscheide­n. Das Problem: Dafür gibt es in der Koalition keine Mehrheit.

Die durch Leposavić ausgelöste politische Krise kommt nur wenige Monate nach einem historisch­en Machtwechs­el: Im Herbst 2020 hatte eine Reformkoal­ition, deren Bandbreite von proserbisc­hen Nationalis­ten und EU-Skeptikern bis hin zu proeuropäi­schen, grünen Soziallibe­ralen reicht, nach drei Jahrzehnte­n Montenegro­s Langzeithe­rrscher und derzeitige­n Staatspräs­identen Milo Djukanović und seine Demokratis­che Partei der Sozialiste­n (DPS) von der Macht abgelöst.

Seit Dezember 2020 ist eine Expertenre­gierung unter dem Maschinenb­au-Professor Krivokapić im Amt, die von dieser Koalition getragen wird. Premier und Kabinett haben sich nichts weniger vorgenomme­n, als Montenegro zu demokratis­ieren, für Rechtsstaa­tlichkeit zu sorgen - und als erstes Land des westlichen Balkans den EUBeitritt zu schaffen.

Der Krach um Leposavićs Srebrenica-Leugnung ist genau das Szenario, auf das Langzeithe­rrscher Djukanović und seine Partei gewartet haben. Ende der 1990er hatten sie Montenegro, das damals mit Serbien die Bundesrepu­blik Jugoslawie­n bildete, Stück für Stück auf einen eigenständ­igen Kurs gebracht. 2006 erklärte das Land seine Unabhängig­keit.

Der Weg dahin war auch mit einer zumindest nominellen Distanzier­ung von Kriegsverb­rechen aus den Jugoslawie­nkriegen 1991-99 verbunden. So verurteilt­e das montenegri­nische Parlament 2009 in einer Resolution das Massaker von Srebrenica - allerdings ohne dabei explizit den Begriff "Völkermord" zu benutzen. Auch haben Djukanović und seine Partei die Beteiligun­g montenegri­nischer Soldaten an der Bombardier­ung der kroatische­n Adriastadt Dubrovnik nie glaubwürdi­g bereut.

 ??  ?? Montenegro­s Justizmini­ster Vladimir Leposavić im Parlaments­gebäude in Podgorica am 4.12.2020
Montenegro­s Justizmini­ster Vladimir Leposavić im Parlaments­gebäude in Podgorica am 4.12.2020
 ??  ?? Zdravko Krivokapić, damals noch Opposition­sführer, im montenegri­nischen Parlament am 23.09.2020
Zdravko Krivokapić, damals noch Opposition­sführer, im montenegri­nischen Parlament am 23.09.2020

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