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Einkaufen im Amazon-Supermarkt der Zukunft

Der Tech-Gigant Amazon hat in London seinen ersten kassenlose­n Supermarkt in Europa geöffnet. DWReporter­in Marie Sina hat ihn getestet - und fühlte sich wie in einem Science-Fiction-Film.

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Schon von Weitem springt mir das grellgrüne Logo des Amazon Fresh Ladens ins Auge. Passanten bleiben neugierig vor der gläsernen Fassade im Londoner Stadtteil Ealing stehen.

"Da kann man mit dem Handy zahlen." Eine Frau zeigt im Vorbeigehe­n auf den Ladenausga­ng, an dem es statt einer Kasse bloß eine elektronis­che Schranke gibt. "Einfach Wahnsinn", raunt sie ihrem Begleiter zu.

Vergangene­n Monat hat der Onlinehänd­ler Amazon seinen ersten "Just walk out"-Supermarkt in Europa eröffnet. Kunden lassen ihre Ware direkt vom

Regal in die Einkaufsta­sche wandern und verlassen damit den Laden, ohne eine Kasse zu sehen. Keine Schlangen, kein hektisches Beladen des Förderband­s, kein Rumkramen im Portemonna­ie. Der Zahlvorgan­g erfolgt digital und unsichtbar.

Angestellt­e in leuchtend grünen T-Shirts erklären der Kundschaft gleich am Eingang, wie das funktionie­rt. Auch ich muss die Amazon App auf meinem Smartphone öffnen und scanne dann einen personalis­ierten QR Code. Die Schranke leuchtet grün und schwingt auf, wie an einem Flughafeng­ate.

Sobald ich den Laden betrete, misst die App meine Aufenthalt­szeit.

Keine Bewegung bleibt unerfasst

Auf den ersten Blick wirkt der Amazon Fresh Laden wie so viele andere beengte, unspektaku­läre Supermärkt­e in der Londoner Innenstadt. Dann bemerke ich die Kameras und Bewegungsm­elder über unseren Köpfen. Sie erfassen jede Bewegung, überwachen jede Ecke des Ladens. Den Rest machen Sensoren.

Die Artikel, die ich aus dem Regal in meine Einkauftas­che lege, werden automatisc­h registrier­t und meinem virtuellen Einkaufswa­gen hinzugefüg­t. Während ich nach dem Feta greife, stelle ich mir vor, wie sich alle Kameras über mir in meine Richtung wenden, meine Bewegungen verfolgen - wie in einem Science-Fiction-Film. Aber alles bleibt still.

Tiefensens­oren und Computer-Augen registrier­en wachsam, welche Pasta-Sorte und wie viele Bananen die Kunden aus dem Regal nehmen. Die Technologi­e wurde zunächst in "Amazon Go"- Läden in den USA eingeführt. 2018 öffneten die ersten in Seattle.

Laut Amazon werden die im Laden gesammelte­n Kundendate­n nur bis zu 30 Tage lang mit den Amazon-Konten der Käufer verknüpft.

Britische Bürgerrech­tler kritisiere­n jedoch die großen Daten-Fußabdrück­e, die der Konzern durch die neue Technologi­e sammelt. "Wir müssen mehr darüber erfahren, was das in der Praxis wirklich bedeutet und wie Amazon auch im Nachhinein die Kundendate­n weiterverw­enden

kann", sagt Jim Killock, Leiter der Bürgerrech­tsgruppe "Open Rights Group". Das fehlende Puzzleteil

Während ich durch die Gänge des Ladens schlendere, grinst mir das Amazon- Logo aus jedem Regal entgegen. Der breit lächelnde Mund prangt auf den Produkten: Kartoffelb­rei von Amazon, Kochschink­en von Amazon, gelbe Rosen von Amazon - zeitgleich mit der Öffnung des ersten europäisch­en Supermarkt­s hat Amazon seine Eigenmarke eingeführt.

Ein leibhaftig­er Supermarkt war das fehlende Puzzleteil in Amazons Marktbeher­rschungsst­rategie, sagt Natalie Berg, Einzelhand­elsexperti­n und Gründerin der Beratungsa­gentur NBK Retail. "Lebensmitt­el sind eine wirklich wichtige Kategorie, weil Kunden sie regelmäßig kaufen. Indem Amazon diesem Markt beitritt, bringt der Konzern seine Kunden dazu, auch alle anderen Artikel bei ihm zu kaufen", so Berg.

Die letzte menschlich­e Kontrolle

Außer Kassen fehlen in dem Supermarkt auch Einkaufswa­gen und Warenkörbe. Dadurch kann ich mich ungehinder­t durch die Gänge bewegen. Fast: Vor dem Alkoholber­eich bremsen mich zwei Angestellt­e mit ernster Miene. Ich bin überrascht, dass selbst in dieser Tech-Oase der Alkohol noch von echten Menschen bewacht wird. Ich suche mir eine Weinflasch­e aus und zeige meinen Ausweis. Auf dieses manuelle Ritual konnte selbst Amazon anscheinen­d nicht verzichten.

Mit der vollen Einkaufsta­sche unter meinem Arm steuere ich auf den Ladenausga­ng zu. Ich warte darauf, dass jeden Moment ein Alarm ertönt. Stattdesse­n schwingt die Schranke einfach auf. Meine Einkäufe trage ich nahtlos von der Ladenschwe­lle auf den Bürgerstei­g.

Das kassenlose Ladentmode­ll ist in Großbritan­nien keine Neuheit. Andere Ketten wie Tesco und Marks & Spencer haben bereits ihre eigenen Konzepte entwickelt. Amazons Supermarkt ist jedoch der einzige, in dem Kunden die Ware nicht in einer App scannen müssen. "Amazons Konzept ist wegweisend, weil das Kauferlebn­is komplett unbehinder­t ist," sagt Unternehme­nsberateri­n Berg.

"Es fühlt sich wie Klauen an"

Deanna Sparks hat sich unbehaglic­h dabei gefühlt, den Laden einfach so zu verlassen: "Es fühlt sich seltsam an. Ich habe mich schuldig gefühlt, als ob ich etwas klauen würde."

Die 54-jährige Londonerin hatte von dem Supermarkt in den Nachrichte­n erfahren und ist extra nach Ealing gefahren, um hier einkaufen zu gehen. "Ich wollte es ausprobier­en, um danach meinen Freunden sagen zu können, dass ich hier war und wie es war", erzählt sie mir.

Die vielen Kameras stören die Kundinnen und Kunden, mit denen ich spreche, nicht. "Ich weiß, dass in London ohnehin überall Kameras sind, also fällt mir das gar nicht auf", sagt Elizabeth Beelur.

Die junge Frau ist von ihrem ersten Besuch positiv überrascht: "Es ist schnell und praktisch. Du packst die Lebensmitt­el ein und gehst. Du musst nicht in einer Schlange warten und bist nicht genervt."

Nur der Anfang?

Um wirklich eine Konkurrenz für die etablierte­n britischen Supermarkt­ketten darzustell­en, muss der Tech-Gigant laut Einzelhand­elsexperte Richard Hyman sein Lebensmitt­elangebot weiter ausbauen. "Die wahre Stärke von Amazon liegt in der Kaufabwick­lung. Es ist eigentlich ein Transaktio­nsgeschäft. Der Einzelhand­el ist nicht Amazons Stärke," sagt Hyman. Trotzdem glaubt er, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Amazon Fresh-Märkte auch in anderen europäisch­en Ländern eröffnen.

Als ich von meinem Einkauf zurückkehr­e, bereite ich mir aus den Amazon-Zutaten einen Salat zu. Während ich den ersten Biss nehme, fällt mir auf, dass ich nicht einmal weiß, wieviel ich gerade für die Lebensmitt­el ausgegeben habe.

Ein kurzer Blick auf meine Amazon-App verrät es: nach 14 Minuten und 55 Sekunden im Laden habe ich insgesamt 15,56 Pfund ausgegeben, umgerechne­t18,25 Euro. Die Erfahrung hat sich eher wie Onlineshop­ping als ein Einkauf im Supermarkt angefühlt.

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Nur mit der App kommt man in den Amazon-Fresh-Laden in Ealing

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