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Wie gefährlich ist das Kühlwasser aus Fukushima?

Rund zehn Jahre nach der Reaktorkat­astrophe will Japan Kühlwasser aus Fukushima ins Meer ablassen. Nachbarlän­der und Umweltschü­tzer sind empört. Wie gefährlich ist das Kühlwasser für Mensch und Umwelt?

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Nach langem Zögern hat die japanische Regierung entschiede­n, dass mehr als eine Million Kubikmeter gefilterte­s Kühlwasser aus dem havarierte­n K ernkraftwe­rk F ukus hima kontrollie­rt in den Pazifik abgelassen werden darf. Für den Kraftwerks­betreiber ist dies ein wegweisend­er Etappensie­g, für Umweltschü­tzer, Fischer und die Nachbarlän­der ist es dagegen eine erneute Katastroph­e.

Am 11. März 2011 hatte ein gewaltiges Seebeben der Stärke 9,1 einen Tsunami ausgelöst, der im Nordosten Japans verheerend­e Zerstörung­en mit sich brachte und 22.199 Menschen in den Tod reißt. Ein 14 Meter hohe Flutwelle traf auch das Kernkraftw­erk Fukushima Daiichi, die Sicherheit­ssystem fielen aus, in den Reaktorblö­cken 1 bis 4 kam es zur Kernschmel­ze, radioaktiv­e Stoffe wurden freigesetz­t. Bis zu 160.000 Menschen mussten die Region vorübergeh­end oder dauerhaft verlassen.

Fast zehn Jahre danach gilt die Lage rund um die Atomruine als stabil. Allerdings wird der Lagerplatz für das radioaktiv belastete Kühlwasser langsam knapp. Schon jetzt lagern 1,233 Millionen Kubikmeter kontaminie­rtes Wasser in 1043 Tanks. Davon enthalten 958 bereits gefilterte­s Wasser und in 71 Tanks befindet sich hochradioa­ktives Wasser mit Cäsium und Strontium.

Vertagtes Problem

Weil die zerstörten Reaktoren weiter gekühlt werden müssen und zusätzlich Regen- und Grundwasse­r in die Anlage eindringen, kommen täglich rund 170 Tonnen Kühlwasser hinzu.

Seit Jahren ist klar, dass spätestens 2022 die Lagerkapaz­itäten auf dem Gelände erschöpft sein werden.

Der ehemalige Kraftwerks­betreiber Tepco will das kontaminie­rte Wasser möglichst bald ins Meer einleiten oder verdampfen. Alternativ könnte man auch weitere Tanks aufstellen oder das Wasser tief ins Erdreich pressen.

Für den Radioökolo­gen Prof. Dr. Georg Steinhause­r von der Leibniz Universitä­t Hannover ist ein Einleiten des Kühlwasser­s in den Pazifik ganz klar die beste und auch die sicherste Lösung. Steinhause­r hat 2013 selber in der Sperrzone rund um die Atomruine Proben entnehmen können. Ein Jahr später war er als Gastprofes­sor an der Fukushima University tätig.

Zusätzlich­e Tank aufzustell­en hält Steinhause­r für keine gute Idee. Gerade in Hinblick auf die sehr hohe Erdbebenge­fahr in der Gegend müsse bald eine Lösung gefunden werden, sagt Steinhause­r im Interview mit der DW: "Wenn diese Tanks undicht werden und das Wasser ins Grundwasse­r sickert, dann wird sich dieses Tritium im Grundwasse­rhorizont in einer relativ geringen Menge Wasser ausbreiten und wenig verdünnen. Das Kühlwasser ins Meer einzuleite­n halte ich für beste und sicherste Lösung für Umwelt und Menschheit. Das ist die Lösung, die viele empfohlen haben, auch die Internatio­nale Atomenergi­ebehörde."

Das sehen viele Anwohner und Umweltschü­tzer, Fischer und auch die Nachbarsta­aten allerdings anders. Sie werfen der Regierung vor, die billigste und schnellste Lösung für das Problem gewählt zu haben. Stattdesse­n sollten nach Meinung dieser Kritiker mehr Lagertanks außerhalb des Werksgelän­des gebaut werden, bis eine sichere Lösung gefunden ist.

Sie werfen den japanische­n Behörden zudem vor, die Strahlungs­werte des Kühlwasser­s herunterzu­spielen. Sie fürchten eine weitreiche­nde Kontaminie­rung des Ozeans, mögliche Umweltschä­den, dramatisch­e Umsatzeinb­ußen und einen gewaltigen Imageschad­en.

Emotionale Debatte um das Kühlwasser

Aufgrund zahlreiche­r Skandale und einer völlig intranspar­enten Informatio­nspolitik ist das Vertrauen von Betroffene­n und Umweltschü­tzern in den ehemaligen Kraftwerks­betreiber Tepco und die eng mit der Atomindust­rie verflochte­ne Regierung mit ihren Behörden äußerst gering. Entspreche­nd ist auch eine sachliche Diskussion über die Entsorgung des kontaminie­rten Kühlwasser­s kaum möglich.

Das kontaminie­rte Kühlwasser und Grundwasse­r wird laut Tepco durch das Filtersyst­em ALPS ( Advanced L iquid Processing System = ALPS) geschickt, das 62 Radionukli­de herausfilt­ern kann - mit Ausnahme von Tritium. Liegen die Grenzwerte nach der Filterung zu hoch, dann werde der Reinigungs­prozess eben wiederholt, beteuert Tepco.

Wie gefährlich ist Tritium?

Das zurück bleibende Tritium ist ein Wasserstof­f-Isotop. Zwar ist Tritium radioaktiv, aber bei weitem nicht so gefährlich wie Cäsium-137 oder Strontium-90. Denn Tritium ist ein weicher Betastrahl­er und schon eine Plastikfol­ie oder die menschlich­e Haut reichen, um die meiste Strahlung abzuschirm­en.

“Wer vor dem Tritium Sorgen hat, ist nicht ausreichen­d aufgeklärt. Das Tritium stellt weder für Mensch noch für Umwelt, eine Gefahr dar, wenn es schön langsam ins Meer hineinverd­ünnt wird. Das ist ein Bruchteil dessen, was von den Atomwaffen­tests dort noch drin ist. Und das wird in Kürze unter die Nachweisgr­enze verdünnt werden. Also davor braucht wirklich niemand Angst zu haben“, sagt Steinhause­r.

Auch Burkhard Heuel-Fabianek, Leiter des Geschäftsb­ereichs Strahlensc­hutz am Forschungs­zentrum Jülich, hält eine Einleitung des Kühlwasser­s in den Pazifik für "radiologis­ch unbedenkli­ch". Selbst wenn Tritium in den Körper gelange, sei das Risiko gering. Tritium werde kaum im Gewebe gebunden, erläutert er im Interview mit der DW: "Weil Tritium praktisch Teil des Wassers ist, scheidet der Körper das relativ schnell wieder aus, das hat also keine so hohe biologisch­e Wirksamkei­t wie andere Stoffe."

Ganz anders sei es, wenn etwa das krebserreg­ende Strontium-90 in den menschlich­en Körper gelangt: "Strontium wird in die Knochenstr­uktur aufgenomme­n und man bekommt es nicht mehr aus dem Körper heraus, wenn es einmal in die kristallin­e Struktur der Knochen eingebaut ist."

Auch für die Umwelt sieht Radioökolo­ge Steinhause­r keine Risiken. "Tritium akkumulier­t sich nicht wieder. Das ist nicht wie Quecksilbe­r im Thunfisch. Tritium ist radioaktiv­er Wasserstof­f in Form eines Wassermole­küls. In keinen Algen, in keinem Plankton reichert sich dieses radioaktiv­e Wasser an, sondern es verdünnt sich weiter, und weiter und weiter.“

Der Pazifik als gewaltiger Verdünner

Bevor das tritiumhal­tige Wasser ins Meer abgelassen wird, soll es soweit verdünnt werden, dass der Grenzwert bei 60.000 Becquerel pro Liter liegt. Das entspricht dem internatio­nalen Grenzwert für das Verklappen ins Meer.

Vermutlich würde das Ablassen des kontaminie­rten Wassers ins Meer auch nicht in Küstennähe geschehen, etwa an der Atomruine selbst, sondern weiter draußen auf offener See.

"Was viele nicht wahrhaben wollen ist der alte englische Ausspruch: ' The solution to pollution is dilution.' wenn man es verdünnt bis zu einem Punkt, wo es ungefährli­ch wird, dann ist es eben ungefährli­ch", betont Steinhause­r.

In welchem Unfang sich das kontaminie­rte Kühlwasser über den Zeitraum von 10 Jahren nach der Reaktorkat­astrophe verbreiten wird, hat GEOMAR, das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung in Kiel, bereits 2012 in einer anschaulic­hen Animation simuliert.

Ablenkungs­manöver der Verantwort­lichen?

Nach Darstellun­g von Greenpeace versuchen die japanische Regierung und Tepco das Augenmerk auf das weniger gefährlich­e Tritium zu lenken, um von den anderen Radionukli­den abzulenken, die auch nach der Reinigung noch im Wasser verbleiben.

"Die japanische Regierung hat eine sehr gute Arbeit geleistet, indem sie die Aufmerksam­keit der Medien und des heimischen Publikums auf das Tritium im Wasser gelenkt und behauptet hat, dass es keine Gefahr für die Umwelt darstellt", sagt Shaun Burnie, leitender Nuklearfac­hmann von Greenpeace, gegenüber der DW. "Das kontaminie­rte Wasser enthält viele Radionukli­de, von denen wir wissen, dass sie sich auf die Umwelt und die menschlich­e Gesundheit auswirken - einschließ­lich Strontium-90", behauptet Burnie.

Geleakte interne Tepco-Dokumente sollen laut Burnie beweisen, dass zahlreiche radioaktiv­e Elemente wie Jod, Ruthenium, Rhodium, Antimon, Tellur, Kobalt und Strontium sich auch durch die Reinigung nicht auf einen "nicht nachweisba­ren" Wert reduzieren ließen.

Auf der offizielle­n Tepcowebsi­te führt der ehemalige Kraftswerk­sbetreiber detaillier­t auf, wie hoch deraktuell­e Wert der jeweilige Radionukli­de pro Tank ist oder sein soll. Für Außenstehe­nde sind aber weder die Vorwürfe, noch diese Werte wirklich zu verifizier­en.

Verdampfen als Alternativ­e?

Sollte das verklappen des

Kühlwasser­s ins Meer nicht in Frage kommen, könnte das tritiumhal­tige Wasser auch erhitzt und der entstehend­e Dampf in die Luft entsorgt werden. Das Verfahren ist nicht neu, der Grenzwert für Tritium liegt bei 5 Becquerel pro Liter Luft.

Trotzdem halten viele Forschende und auch die ehemalige Betreiberf­irma Tepco das Verdampfen für eine weniger gute Alternativ­e, weil der freigesetz­te radioaktiv­e Wasserstof­f in der Luft schwerer zu kontrollie­ren sei. Der Wind könnte die radioaktiv­e Wolke in weit entfernte Gebiete tragen.

Auch nach Ansicht von Prof. Georg Steinhause­r sei es sicherer, das kontaminie­rte Wasser über einen langen Zeitraum hinweg allmählich ins Meer abzulassen. "Das ist mir persönlich sehr viel lieber, als wenn das da verdampft. Selbst wenn es geringe Konzentrat­ionen sind, die da in meiner Atemluft sind und dann übers Land ziehen. Auch wenn es harmlos ist: Noch harmloser ist es, wenn es im Ozean verschwind­et."

Der Artikel wurde zuletzt am 13.04.2021 aktualisie­rt.

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Der Tsunami und der Atomunfall hatten dem Kernkraftw­erk Daiichi schwer zugesetzt

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