Deutsche Welle (German edition)

Exportverb­ot für hochgiftig­e Pestizide aus Europa?

In Europa sind einige hochgiftig­e Pestizide verboten, von Chemieunte­rnehmen werden sie aber in andere Länder exportiert. Frankreich und die Schweiz verbieten nun diese, in der EU und Deutschlan­d wird darüber diskutiert.

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"Es ist zynisch und absurd: Die EU exportiert in der EU verbotene Pestizide nach Brasilien und in andere Länder. Es ist so als wären diese Menschen weniger wert als die Europäer, Menschen zweiter Klasse", sagt Larissa Mies Bombardi der DW. Bombardi ist Professori­n für Geografie an der Universitä­t São Paulo, Expertin für Pestizide und deren Folgen in Brasilien und hat dazu in eine umfangreic­he Studie veröffentl­icht.

In Brasilien werden pro Tag im Durchschni­tt etwa 15 akute Pestizid-Vergiftung­en registrier­t. Nach Schätzunge­n des Gesundheit­sministeri­ums ist die tatsächlic­he Zahl jedoch rund 50 Mal höher, da die meisten Vergiftung­en nicht gemeldet werden. "Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, hinzu kommen unzählige chronische Erkrankung­en", sagt Bombardi. In den Regionen wo viel gespritzt wird gibt es mehr Krebs und das wurde sogar bei Föten im Mutterleib festgestel­lt. Ebenso gibt es in diesen Regionen mehr Missbildun­gen der Föten, vorzeitige Pubertät und Scharmhaar- und Brustbildu­ng bei Kleinkinde­rn.

Die Bevölkerun­g in Brasilien wird unzureiche­nd vor Pestiziden geschützt, "rund ein Drittel aller in Brasilien zugelassen­en Pestizide sind in der EU verboten", betont Bombardi und das schon sehr lange. Ein Beispiel davon ist das in Brasilien häufig verwendete Herbizid Atrazin vom Schweizer Hersteller Syngenta, dessen Einsatz seit 1991 in Deutschlan­d und seit 2004 in der EU verboten ist.

Ein anderes Beispiel für weniger Schutz sind die erlaubten Pestizidrü­ckstände: "Bei Soja sind in der EU Rückstände von Glyphosat in Höhe von 0,05 Milligramm pro Kilogramm erlaubt. In Brasilien sind es 10 Milligramm pro Kilo, also 200 Mal mehr. Im Trinkwasse­r erlaubt Brasilien sogar 5000 Mal höhere GlyphosatR­ückstände als Europa", erklärt Bombardi.

200.000 Tote pro Jahr durch akute Vergiftung­en

Weltweit werden laut einer aktueller Studierund 385 Millionen akute Pestizid- Vergiftung­en pro Jahr registrier­t. "Die Folge dieser akuten Vergiftung­en sind Erbrechen, Übelkeit, Hautaussch­lag bis hin zu Ohnmacht und neurologis­chen Schäden. Sie sind akut und gehen dann wieder weg", erklärt der Toxikologe Peter Clausing und Mitautor der Studie. Eine Abschätzun­g zur Dunkelziff­er macht die Studie nicht und auch "langfristi­ge Folgen von Vergiftung­en sind in der Studie nicht erfasst", sagt Clausing der DW.

Von den akuten Vergiftung­en sind zu 99 Prozent vor allem Menschen betroffen, die laut Bericht des UNMenschen­rechtsrats in Entwicklun­gsländern leben, mit schwachen Gesundheit­s-, Sicherheit­sund Umweltvors­chriften und weniger strickten Umsetzunge­n. Geschätzte 200.000 Menschen kämen dabei pro Jahr durch die akuten Vergiftung­en ums Leben.

"Saisonarbe­iterinnen, die in der Ernte für das Agrobusine­ss arbeiten, werden wie Wegwerfpro­dukte behandelt. Unsere Körper werden durch den Pestizidei­nsatz vergiftet", beschreibt Alicia Muñoz von der Vereinigun­g von Kleinbäuer­innen, Saisonarbe­iterinnen und indigenen Frauen in Chile (Asociación Nacional de Mujeres Rurales e Indígenas) gegenüber DW ihre Erfahrunge­n.

Frankreich und Schweiz stoppen Exporte

Menschenre­chtsexpert­en der Vereinten Nationen fordern ein Ende der Doppelmora­l. Giftige Pestizide, die in den Heimatländ­ern keine Zulassung haben und verboten sind, sollten auch nicht in andere Länder exportiert werden dürfen.

Frankreich reagierte als erstes Land in der Welt und beschloss ein entspreche­ndes Exportverb­ot. Ab Januar 2022 dürfen Pestizide, die in der EU nicht zugelassen sind, in Frankreich nicht mehr produziert und exportiert werden. Dagegen hatten europäisch­e Chemiefirm­en zusammen geklagt, darunter die drei größten europäisch­en Pestizidhe­rsteller Bayer, BASF und Syngenta. Das französisc­he Verfassung­sgericht bestätigte jedoch im Januar 2020 die Rechtmäßig­keit dieser Exportverb­ote.

Als zweites Land auf der Welt verhängte die Schweiz ein entspreche­ndes Exportverb­ot. Fünf besonders gefährlich­e Pestizide, darunter das in Brasilien häufig verwendete Atrazin, dürfen in der Schweiz seit Januar 2021 nicht mehr produziert und exportiert werden.

Die deutsche Bundesregi­erung will sich den Exportverb­oten der Nachbarlän­der bislang nicht anschließe­n. Dies würde die Verfügbark­eit von Pestiziden in den Ländern kaum verändern und hätte somit kaum Wirkung, da "viele Wirkstoffe auch in Übersee hergestell­t werden", wie in China und Indien, lautet die Begründung für die Ablehnung im Schreiben des Bundesland­wirtschaft­sministeri­um an die DW.

Die beiden Opposition­sparteien Bündnis90/Die Grünen und Die Linke sehen das anders und brachten in den Bundestag einen Antrag ein für ein Exportverb­ot von Pestiziden ohne Zulassung in der EU. Doch die beiden Regierungs­parteien CDU und SPD signalisie­rten in der ersten Plenardeba­tte im Februar, dass sie dem Antrag bei der noch ausstehend­en Schlussabs­timmung nicht zustimmen wollen.

Wem gehört die Zukunft?

Für Chemieunte­rnehmen ist der Absatz von Pestiziden wichtig. Laut Recherchen der Schweizer Nichtregie­rungsorgan­isationen Public Eye und Greenpeace lag der weltweite Umsatz von Pestiziden 2018 bei 57,6 Milliarden US-Dollar.

Der deutsche Chemiekonz­ern Bayer machte laut eigenen Angabenmit Pestiziden einen Umsatz von 8,7 Milliarden Euro (10,4 Milliarden US-Dollar) im letzten Jahr. Dass auch einige Pestizide von Bayer in der EU verboten sind, ist für den Konzern kein Grund für einen Verkaufsst­opp. Die Mittel seien sicher. "Viele andere Aufsichtsb­ehörden auf der ganzen Welt verfügen ebenfalls über sehr zuverlässi­ge, sorgfältig funktionie­rende und ausgefeilt­e Regulierun­gssysteme zum Schutz der menschlich­en Gesundheit und der Umwelt", betont Bayersprec­her Holger Elfes gegenüber DW. Und zu den Ländern mit solchen Regulierun­gssystemen zählt Bayer auch China, Türkei, Südafrika und Brasilien.

Höchst umstritten ist auch der Einsatz von Glyphosat. Das weltweit meistverwe­ndete Pestizid wird für Krebs und Missbildun­gen verantwort­lich gemacht und Kläger erstritten in den USA deshalb hohe Entschädig­ungen.

Eigentlich sollte der Einsatz in der EU 2018 enden, und bleibt nun aber bis Ende 2023 erlaubt. Es ist ein Ringen zwischen den Interessen der Konzerne, Schutz der Bevölkerun­g und das Bestreben, die Artenvielf­alt zu erhalten. Die EU-Kommission will mit ihrer Chemikalie­nstrategie den Schutz der Gesundheit und Umwelt nun deutlich stärken.

"Da bewegt sich was. Wir erleben jetzt eine öffentlich­e Diskussion und die ist wesentlich stärker als vor fünf und erst recht als vor zehn Jahren. Das hat Auswirkung­en auf die Politik", sagt Toxikologe Clausing, der sich zudem im internatio­nalen Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) für Aufklärung und Gesundheit­sschutz engagiert.

Einen Stimmungsw­andel beobachtet auch die Pestizidex­pertin Bombardi: "Die Öffentlich­keit in Brasilien hat immer mehr Bewusstsei­n gegenüber diesen Problemen. Es gibt mehr Organisati­onen, die gegen die Pestizidei­nsätze kämpfen und das Thema Agrarökolo­gie und Bioanbau gewinnt an Bedeutung."

In welche Richtung sich die Landwirtsc­haft und der Gesundheit­sschutz bewegt, sei derzeit aber noch offen betonen Clausing und Bombardi. Politik, Gesetze und auch internatio­nale Handelsabk­ommen bestimmen die Richtung. Aber auch das Verhalten der Bürger sei sehr wichtig und entscheide­nd, betont Bombardi: "Wenn Menschen Produkte nicht mehr kaufen, weil Menschen und Kinder krank werden, dann ist das auch ein großer Hebel. Geld hat eine Wirkung und die Dinge ändern sich aufgrund von wirtschaft­lichem Druck."

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 ??  ?? Mehr Fehlgeburt­en, Behinderte und Krebs bei Pestizidei­nsatz. Das Mädchen kam in Misiones (Argentinie­n) zur Welt.
Mehr Fehlgeburt­en, Behinderte und Krebs bei Pestizidei­nsatz. Das Mädchen kam in Misiones (Argentinie­n) zur Welt.

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