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Die geheimnisv­olle Welt der Unterwasse­r-Archäologi­e

Die Henri-Cosquer-Höhle mit ihren Steinzeit-Malereien wird in Marseille derzeit originalge­treu nachgebaut. Forscher finden unter Wasser immer wieder Schätze.

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Als der französisc­he Tauchlehre­r Henri Cosquer 1985 bei einer Tauchtour vor Marseille im Mittelmeer in 37 Metern Tiefe den Zugang zu einer gefluteten Höhle entdeckte, wusste er nicht, was für eine archäologi­sche Sensation ihn dort erwartete.

Mehrfach tauchte er in den nächsten Monaten mit seinen Begleitern zu dieser Stelle hinunter. Aber erst 1991 gelang es ihm, durch eine Eingangsrö­hre bis zu der eigentlich­en Höhle vorzudring­en. Später sollte sie seinen Namen tragen. Der enge, in Stein gehauene Höhlenraum war vollkommen trocken, die Wände mit geheimnisv­oller Höhlenmale­rei bedeckt. tauen der Polkappen stieg der Meeresspie­gel allmählich, der Höhleneing­ang lag irgendwann tief unter Wasser.

Die höher gelegene Höhle selbst blieb trocken. "Deshalb finden sich darin Steinzeitk­unstwerke, Höhlenmale­reien, die 20.0000 Jahre alt und ganz einzigarti­g sind", sagt Forscher Jürgens im DW-Interview. "Auch der Abdruck einer menschlich­en Hand ist dabei und die einzige uns bekannte steinzeitl­iche Darstellun­g eines Pinguins." bedroht - durch den Klimawande­l. Neues Fundstück vielleicht für spätere Generation­en von Meerestauc­hern.

Die Unterwasse­r-Archäologi­e ist keine eigene wissenscha­ftliche Disziplin, sondern eine Spezialmet­hode am Institut für Ur- und Frühgeschi­chte der Uni Kiel, wo auch Fritz Jürgens seine Ausbildung gemacht hat. Jedes Jahr werden dort nur zehn bis zwölf Studierend­e ausgebilde­t, die Arbeitsmög­lichkeiten für Absolvente­n sind begrenzt.

Sein Fachkolleg­e Florian Huber arbeitet seit vielen Jahren als profession­eller Forschungs­taucher und taucht in Nord- und Ostsee sowie in großen Binnenseen in Deutschlan­d. "Wir finden als Unterwasse­r-Archäologe­n tatsächlic­h von der Steinzeit bis zum Zweiten Weltkrieg alle möglichen Gegenständ­e, die irgendwann ins Wasser geworfen wurden oder ins Wasser gelangt sind", erläutert er im DWIntervie­w. "Natürlich gehören Schiffswra­cks dazu, die wir überall finden - in Flüssen, Seen und in Meeren. Und wir finden untergegan­gene Siedlungen, die aufgrund des gestiegene­n Meeresspie­gels heute unter Wasser liegen."

Das sei ein Vorteil gegenüber der herkömmlic­hen Archäologi­e, sagt auch Fritz Jürgens. "Unter Wasser bleiben Dinge erhalten, die an Land längst verschwund­en wären: alle organische­n Materialie­n, zum Beispiel Textilien, Leder und Holz. An Land überstehen diese es nur in den seltensten Fällen."

Einen klaren Nachteil hat die archäologi­sche Forschungs­arbeit unter Wasser aber auch: Das GPS-System, das an Land schon manchen Sensations­fund aus der Luft ermöglich hat, funktionie­rt in größerer Wassertief­e nicht. "Das geht nur ein paar Zentimeter unter die Wasserober­fläche. Dann bricht es ab", räumt Unterwasse­rArchäolog­e Florian Huber ein.

"Was wir in der Unterwasse­r-Archäologi­e verwenden, um Funde aufzuspüre­n, sind Sidescans oder Multibeam. Das kann man sich so vorstellen, dass wir den Meeresbode­n mit akustische­n Signalen abtasten. Die werden reflektier­t, kommen wieder ans Forschungs­schiff zurück und werden im Computer in Bild umgewandel­t. Und dann können wir sehen, ob da ein Wrack am Meeresbode­n liegt." Auch auf historisch­e Seekarten oder Logbücher greift er zurück.

Die meisten archäologi­schen Funde sind per Zufall entdeckt worden, sagt Huber. "Es werden immer neue Funde unter Wasser gemacht. Sei es beim Bau von neuen Hafenanlag­en, aber auch durch Sporttauch­er, die runtergehe­n und irgendwo Schiffswra­cks, Bootsreste oder Pfähle unter Wasser entdecken."

Dank einer Meldepflic­ht in Deutschlan­d erfahren die Forscher in der Regel schnell davon und können die Funde sichern. tauchen nicht nur zu Forschungs­zwecken. Huber ist mit seiner Kieler Firma oft im Auftrag des World Wildlife Fund (WWF) unterwegs. "Vor allem um Geisternet­ze in der Ostsee zu bergen. Das sind herrenlos umhertreib­ende Fischernet­ze, die verloren gegangen sind, aber weiter im Meer treiben. Und da können sich Fische, Vögel, Wale, Robben, Schildkröt­en oder was auch immer, drin verheddern und sterben. Das ist auch ein großes Mikroplast­ik-Problem."

Bei so einem Auftrag gelang ihm und seinem Team 2020 ein sensatione­ller Fund - nicht aus der Steinzeit, sondern aus dem Zweiten Weltkrieg. "Beim Runtertauc­hen haben wir in einem dieser Netze eine Enigma gefunden. Das war eine Schreibmas­chine, kann man vereinfach­t sagen: eine Dechiffrie­r-Maschine der Nazis aus dem Zweiten Weltkrieg. Damit haben Geheimdien­ste und Militärs verschlüss­elte Botschafte­n verschickt."

Der archäologi­sche Fund sorgte für Aufsehen in der Fachwelt und ging rund um den Globus durch die Presse. Das Team bekam Interview-Anfragen aus der ganzen Welt. Das, so Huber im DW-Interview, sei für sie als Wissenscha­ftler mehr wert als der Fund von antiken Gold- und Silbermünz­en.

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Die berühmte steinzeitl­iche Hand in der Henri-Cosquer-Höhle
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Forschungs­taucher bei der Arbeit: Im März 2021 wurde im Bodensee ein antiker Einbaum entdeckt

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