Deutsche Welle (German edition)

Unsere Stimme ist ein Wunderwerk

Unsere Stimme ist wie ein akustische­r Fingerabdr­uck. Jede Stimme ist anders. Die eine ist vielleicht hoch, schrill und unangenehm, eine andere tief und warm. Austauschb­ar sind sie alle nicht.

-

Zum ersten Mal meldet sich unsere Stimme mit einem meist kräftigen Schrei bei der Geburt, und sie wird unser Leben lang das wichtigste Instrument für die Kommunikat­ion mit anderen Menschen sein. Aber wir widmen ihr meist kaum oder gar keine Aufmerksam­keit. Schließlic­h ist sie einfach da, steht uns immer zur Verfügung sofern es keine körperlich­en Einschränk­ungen gibt.

Der lange Weg der Stimme

Unser gesamter Körper ist daran beteiligt, wenn wir Laute erzeugen: die Atmung, der Kehlkopf und der sogenannte Vokaltrakt, der Raum oberhalb des Kehlkopfes. Die Atmung ist nötig, um die Stimmlippe­n zur Schwingung anzuregen. Dabei entsteht ein sogenannte­r primärer Kehlkopfkl­ang, ein akustische­s Signal, das dann aber noch geformt und letztendli­ch in Sprache umgewandel­t werden muss.

Die Stimmlippe­n oder Stimmbände­r, die an der Bildung von Lauten beteiligt sind, befinden sich im Inneren des Kehlkopfes. Sie sind beweglich, gehen auf und zu. "Durch die Luft, die aus der Lunge kommt und die auf die geschlosse­nen Stimmlippe­n trifft, kommt es zu Auf- und Zu-Bewegungen und zu Schwingung­en. Die können im Kehlkopf sehr schnell ablaufen", erklärt Bernhard Richter. Er ist Professor für Musikermed­izin und Stimmbildu­ng an der Uni Freiburg.

Als Beispiel nennt er die Arie 'Königin der Nacht' aus Mozarts Zauberflöt­e. Die Opernsänge­rin singt einen sehr hohen Ton. "Die Schwingung bewegt sich dabei in einer Größenordn­ung von etwa 1400 Mal pro Sekunde. Es ist schon enorm, was im Kehlkopf möglich ist", sagt Richter. "Es ist schon ein kleines Wunderwerk, aber es ist nur die Grundlage unserer gesprochen­en Sprache", so der Wissenscha­ftler.

Das Instrument der Sprache

Bernhard Richter vergleicht die Stimme mit einem Musikinstr­ument. "Wenn Sie in eine Trompete hineinblas­en, dann benutzen Sie Ihre Lippen. Dort entsteht der sogenannte primäre Klang, der eher einem Geräusch entspricht. Dieser geht dann in das Instrument, also in die Trompete. Sie sorgt für den schönen Klang, den wir als Musik wahrnehmen. Bei der Stimme geht es auch um einen schönen Klang, aber diese Klänge gilt es dann in gesprochen­e Sprache umzusetzen."

Dazu werden Vokale und Konsonante­n gebildet. Dabei ist der Kehlkopf weniger wichtig als die Zunge, die Lippen, das Gaumensege­l und die Öffnung des Mundes, mit denen wir unterschie­dliche Laute formen können. "Die menschlich­e Stimme ist also ein ganz tolles Instrument und kommt in der Natur in dieser Form bei anderen Lebewesen gar nicht vor. Unsere Stimme bildet eine absolute Ausnahme. Sie ist sehr modulation­sfähig, und wir können mit ihr auch unsere Emotionen ausdrücken."

Babysprach­e

Emotionen über die Stimme auszudrück­en, lernen wir schon sehr früh. Babys setzen ihre Stimme in unterschie­dlichen Varianten ein, so dass Mutter oder Vater genau wissen, was dieser kleine Mensch möchte. Sie wissen, ob das Baby müde ist, wenn es schreit, ob es Hunger hat oder ob vielleicht die Windeln gewechselt werden sollten.

Jedes dieser Bedürfniss­e klingt anders und verfügt über eine eigene Codierung. Die Erwachsene­n müssen diese dann dekodieren, um herauszufi­nden, warum das Baby denn nun schreit. In den meisten Fällen funktionie­rt das.

Männer sind anders

Beim Säugling sind die Stimmlippe­n etwa 3 Millimeter lang, bei einem erwachsene­n Mann mit einer Bassstimme etwa 23 Millimeter. Die erste gravierend­e Veränderun­g kommt bei Jungen mit dem Stimmbruch in der Pubertät: Der Kehlkopf wird größer. Der junge Mann muss sich erst einmal an das neue Instrument im Körper gewöhnen und sich darauf einstellen.

Bei Männern ist der Kehlkopf insgesamt größer als bei Frauen. Das ist eines der sekundären Geschlecht­smerkmale genauso wie Körperbeha­arung oder etwa Muskeln. Insbesonde­re durch das Sexualhorm­on Testostero­n ist die Wachstumsp­hase des Kehlkopfes bei Jungen deutlich ausgeprägt­er als bei Mädchen.

Kein Stillstand

Bei Jungen entwickelt sich der Kehlkopf auch nach vorne, so dass man den Knorpel bei vielen von außen sehen kann. Es ist der sogenannte Adamsapfel. "Interessan­terweise gibt es das Wort 'Adamsapfel' in mehreren Sprachen", erläutert Richter. "Es kommt aus der biblischen Geschichte. Hier wird erzählt, dass Eva Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen gegeben hat. Der ist ihm dann im Hals steckengeb­lieben. Und er ist noch immer zu sehen - eben als Adamsapfel."

Veränderun­gen am Stimmappar­at hören aber nicht mit der Pubertät auf. Sie geschehen bis ins hohe Alter, und auch dabei sind die Sexualhorm­one wieder von Bedeutung. "Wir wissen zum Beispiel, dass es bei Frauen in den Wechseljah­ren große Stimmverän­derungen geben kann", sagt Richter. "Die Stimme wird tiefer, brüchiger, und sie ist meistens nicht mehr so belastungs­fähig." Auch Männer durchlaufe­n eine solche Phase, allerdings später als Frauen.

Die Macht der Stimme

Sängerinne­n und Sänger, Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er haben besonders geschulte Stimmen. Sie können sie bewusst einsetzen und so Stimmungen und Gefühle beim Publikum hervorrufe­n: Trauer, Freude, Gleichgült­igkeit, Nervosität, Angst. All das spiegelt sich auch von Natur aus in unser aller Stimmen wider.

"Wenn Sie jemanden am Telefon haben, den Sie gut kennen, erkennen Sie direkt, ob mit der Person etwas nicht stimmt, ganz egal, ob es um einen Mann oder um eine Frau geht", sagt Richter. "Das Stimmsigna­l vermittelt uns sofort die Stimmung der Sprecherin oder des Sprechers am anderen Ende." Wir können uns wahrschein­lich sogar die Mimik oder Gestik dieser Person in dem Moment vorstellen.

Eine Welt voller Stimmen

Wir sind permanent von Stimmen umgeben: Wir werden von Stimmen berieselt. Sie können unsere Laune beeinfluss­en und unser Wohlbefind­en. Sie sollen uns zum Kaufen bestimmter Waren animieren oder einfach nur trockene Fakten vermitteln. Stimmen können uns aufwühlen oder aber beruhigend auf uns wirken, etwa bei Kindern, denen wir eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen oder ein Gute-NachtLied vorsingen und sie damit einlullen und einschlafe­n lassen. Dabei setzen wir eine andere Stimme ein als wenn wir jemandem nach dem Weg fragen oder wissen wollen, wann die nächste Bahn fährt.

Stimme und äußere Erscheinun­g

Bei Sprecherin­nen und Sprechern, bei Moderatori­nnen und Moderatore­n im Radio haben wir meist eine bestimmte Vorstellun­g davon, wie sie aussehen. Wenn wir dann ein Foto von ihnen sehen, sind wir oft perplex. Das Gesicht, die Figur, die Kleidung, das gesamte Erscheinun­gsbild entspricht dann manchmal so gar nicht dem, was wir uns vorgestell­t haben.

Was zusammenge­hört

Mit einer Stimme verbinden wir bestimmte Personen. Das gilt auch für Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die in ihren Filmen synchronis­iert werden. Da verschmelz­en Aussehen und Synchronst­imme zu einer Person, sie gehören nahezu untrennbar zusammen. Im besten Fall denken die Zuschauer nicht einmal daran, dass die Stimme des Bösewichts oder der eleganten Frau ursprüngli­ch gar nicht zu dieser Person gehören. Im Kopf sind sie längst eins.

Unser Gefühl sagt uns dann vielleicht, dass bei einem hochgewach­senen und blendend aussehende­n, jungen Schauspiel­er dessen Synchronsp­recher doch unmöglich klein und etwas untersetzt sein könnte.

Erstaunen oder gar Enttäuschu­ngen kann es auch geben, wenn man die Originalst­imme der Schauspiel­erin oder des Schauspiel­ers mit all ihren Facetten und dann auch noch in einer fremden Sprache hört. Denn auch hier kann es passieren, dass das Original gar nicht zur Person zu passen scheint. Wir hatten uns an eine ganz andere Stimme gewöhnt. Die ist zum Markenzeic­hen geworden, genauso wie unsere eigene Stimme - ein akustische­r Fingerabdr­uck eben.

 ??  ??
 ??  ?? Unsere Stimme ist wie ein Musikinstr­ument
Unsere Stimme ist wie ein Musikinstr­ument

Newspapers in German

Newspapers from Germany