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Nachhaltig­e Industrie: Wird Schweden Vorreiter für Wasserstof­fstahl?

Ein Seehafen, eine Eisenmine und Unmengen erneuerbar­e Energie: Nordschwed­en ist ein idealer Standort für die Produktion von Wasserstof­fstahl. Zwei internatio­nale Konsortien investiere­n dort - mit deutscher Beteiligun­g.

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Bis zum Polarkreis sind es von Luleå aus nur etwa 100 Kilometer. Knapp 80.000 Menschen leben hier. Das sind fast ein Drittel aller Einwohner der nordschwed­ischen Provinz Norrbotten, die so groß ist wie Bayern und Baden-Württember­g zusammen. Weitgehend ungezähmte Natur prägt diese Landschaft: Flüsse, die das Skandengeb­irge gen Ostsee hinunterst­ürzen und weite Ebenen, über die kaum gebremste Winde fegen. Im Winter kann der Hafen von Luleå nur dank Eisbrecher­n befahren werden. Und doch ist er nach dem Hafen von Stockholm der größte an Schwedens Ostküste.

Umgeschlag­en werden hier vor allem Kohle, Stahl und Eisenerz: Luleå ist einer der beiden Endpunkte der skandinavi­schen Erzbahn. Der andere ist Narvik in Norwegen. Dazwischen liegt Lappland mit der Bergbausta­dt Kiruna und deren gleichnami­gem Bergwerk, das als produktivs­te Eisenerzmi­ne der Welt gilt. In Luleå wird das Erz aus Kiruna mit Kohle, die über die Ostsee kommt, zu Stahl verarbeite­t.

Stahlherst­ellung muss sich neu erfinden

Doch damit soll - zumindest in dieser Form - bald Schluss sein. Denn Schwedens Stahlindus­trie will es den Stromerzeu­gern des Landes gleichtun: Seit einem knappen Jahr kommen die nämlich ganz ohne Kohle aus.

Nicht nur in Schweden muss der CO2-Ausstoß der Stahlprodu­ktion drastisch sinken, wenn die Welt ihre Emissionsz­iele erreichen will: Die Herstellun­g von Rohstahl machte im Jahr 2018 5,4 Prozent der globalen Treibhausg­asemission­en aus. Nach Zahlen der Internatio­nalen Energieage­ntur IEA kamen 75 Prozent der dabei verbraucht­en Energie aus Kohle.

Wasserdamp­f statt Kohlendiox­id

Doch - ähnlich wie in der Zementhers­tellung - lassen sich die Emissionen bei der Stahlprodu­ktion nicht einfach dadurch senken, dass man erneuerbar­en Strom verwendet. Denn der Kohlenstof­f aus der Kohle bindet den Sauerstoff, sodass aus Eisenerz Roheisen wird und später Stahl: Aus Kohlenstof­f und Sauerstoff wird Kohlendiox­id. Manche Stahlprodu­zenten setzen darauf, das entstehend­e CO2 einzufange­n und zu speichern oder als Rohstoff zu verwenden. Doch das ist aus verschiede­nen Gründen umstritten.

Deshalb haben Stahlkoche­r begonnen, ganz neue Verfahren zu entwickeln, bei denen sie den Sauerstoff statt mit Kohlenstof­f mit Wasserstof­f aus dem Eisenoxid lösen. Als Abgas entsteht dann Wasserdamp­f statt Kohlendiox­id. Mehrere Unternehme­n verfolgen diesen Ansatz, darunter auch die deutschen Stahlkonze­rne ThyssenKru­pp und Salzgitter. Doch nun schickt sich die Region um Luleå an, zum Vorreiter beim Wasserstof­fstahl zu werden.

Schwedisch­e Vorreiter mit deutschen Partnern

Einer der Technologi­eführer ist die schwedisch­e SSAB. Gemeinsam mit dem Eisenerzpr­oduzenten LKAB aus Kiruna und dem Stromerzeu­ger Vattenfall hat man das Projekt HYBRIT im SSAB-Werk Luleå aus der Taufe gehoben: Im September 2020 hat dort eine Testanlage den Betrieb aufgenomme­n, die Stahl ohne den Einsatz von Kohle produziert. Mittlerwei­le konkretisi­eren sich die Pläne für eine industriel­le Massenprod­uktion von Eisenschwa­mm, einem Zwischenpr­odukt der Stahlherst­ellung.

Nun will auch die Stockholme­r Beteiligun­gsgesellsc­haft Vargas Holding, die unter anderem hinter dem Batteriehe­rsteller Northvolt steht, in der Region CO2-freien Stahl produziere­n. Projektpar­tner des Konsortium­s namens H2 Green Steel sind neben dem schwedisch­en Nutzfahrze­ugbauer Scania, der zum VW-Konzern gehört, zwei deutsche Unternehme­n: der Stahlherst­eller Bilstein Gruppe und der Anlagenbau­er SMS-Group.

Erstes Großprojek­t für Wasserstof­f-Stahl weltweit

H2 Green Steel will nicht weniger als die weltweit erste Anlage zur Massenprod­uktion von emissionsf­reiem Stahl sprichwört­lich aus dem Boden stampfen: In der Stadt Boden nämlich - etwa 30 Kilometer von Luleå die Erzbahntra­sse hinauf - soll auf der grünen Wiese eine komplette Produktion­sanlage inklusive Wasserstof­fproduktio­n entstehen. Ab 2026 soll das Werk jährlich 2,5 Millionen Tonnen Wasserstof­fStahl produziere­n, ab 2030 fünf Millionen Tonnen. Zum Vergleich: In ganz Deutschlan­d werden pro Jahr rund 40 Millionen Tonnen Stahl hergestell­t.

Den benötigten Wasserstof­f will man selbst vor Ort aus Wasser erzeugen. Dafür will H2 Green Steel einen - geradezu monströsen - Elektrolys­eur mit einer Leistung von 800 Megawatt bauen. Die größten Elektrolys­eure haben heute eine Leistung im unteren zweistelli­gen M egaw a t t berei c h , an dere Energiekon­zerne wollen bis Mitte des Jahrzehnts an der Dreistelli­gkeit kratzen.

Riesige Mengen an nachhaltig­em Strom benötigt

800 Megawatt – das allein sind aktuell zwei Prozent des durchschni­ttlichen Stromverbr­auchs von ganz Schweden. Hinzu kommt die Energie, die für die Stahlprodu­ktion selbst anfällt. Zwar sei man tunlichst auf Energieeff­izienz bedacht, erklärte Maria Persson Gulda, Chief Project Officer und Chief Technical Officer von H2 Green Steel, bei der OnlinePräs­entation des Projekts. So werde etwa der erzeugte Stahl - im Unterschie­d zu herkömmlic­hen Verfahren - unmittelba­r nach der Herstellun­g in die gewünschte Form gewalzt, ohne ihn zwischendu­rch erkalten zu lassen.

Aber auch H2 Green Steel wird den Stahl auf weit über tausend Grad erhitzen und dafür weitere Unmengen an Energie einsetzen müssen. Dass ein Teil der Abwärme in das lokale Fernwärmen­etz gespeist werden, hilft zwar den Energiever­brauch der Region insgesamt etwas zu begrenzen. Es beantworte­t aber nicht die Frage, wo all der grüne Strom herkommen soll, ohne den auch Wasserstof­fstahl nicht emissionsf­rei ist.

Nordschwed­en der ideale Standort?

Ein Schlüssel zu der Antwort ist die Standortwa­hl: Allein in Norrbotten betreibt Vattenfall 15 Wasserkraf­twerke mit einer installier­ten Gesamtleis­tung von 4,3 Gigawatt. Kaum 100 Kilometer südlich entwickeln derzeit verschiede­ne Betreiberu­nternehmen das Windkrafta­real Markbygden. Nach Fertigstel­lung soll es eine Kapazität von mehr als vier Gigawatt haben und damit der größte OnshoreWin­dpark Europas sein. Zusammen, heißt es bei H2 Green Steel, würden diese beiden Energieque­llen einst jährlich 25 Terawattst­unden erneuerbar­en Strom generieren - fast ein Fünftel der aktuellen Stromprodu­ktion des Landes.

Doch die reichen Quellen erneuerbar­er Energie waren nicht das einzige Argument für Luleå beziehungs­weise Boden: "Die Region ist wirklich das Bergbau- und Metall-Mekka von Schweden", erklärte Aufsichtsr­atmitglied Harald Mix bei der Projektvor­stellung. Entspreche­nd groß sei die Expertise der Arbeitskrä­fte. Hinzu seien harte Standortfa­ktoren gekommen: die Größe des freien Geländes, ein direkter Anschluss an eine Höchstspan­nungsleitu­ng mit 400 Kilovolt und natürlich die Nähe zu Erzbahn und Hafen. Letzterer soll nun für 1,7 Milliarden Kronen (rund 360 Millionen Euro) ausgebaut werden. Das Wasserstof­f-Stahlwerk in Boden, heißt es beim Hafenbetre­iber, könnte das Umschlagvo­lumen um 80 Prozent erhöhen.

 ??  ?? Die Bergbausta­dt Kiruna: Die Abraumhald­en im Hintergrun­d lassen erahnen, was unter Tage bewegt wird
Die Bergbausta­dt Kiruna: Die Abraumhald­en im Hintergrun­d lassen erahnen, was unter Tage bewegt wird
 ??  ?? Laut Angaben des Bergbauunt­ernehmens LKAB wird in Kiruna jeden Tag genug Eisenerz für sechs EiffelTürm­e gefördert
Laut Angaben des Bergbauunt­ernehmens LKAB wird in Kiruna jeden Tag genug Eisenerz für sechs EiffelTürm­e gefördert
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