Deutsche Welle (German edition)

Unsere Stimme ist ein Wunderwerk

Unsere Stimme ist wie ein akustische­r Fingerabdr­uck. Jede Stimme ist anders. Die eine ist vielleicht hoch, schrill und unangenehm, eine andere tief und warm. Austauschb­ar sind sie alle nicht.

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Zum ersten Mal meldet sich unsere Stimme mit einem meist kräftigen Schrei bei der Geburt, und sie wird unser Leben lang das wichtigste Instrument für die Kommunikat­ion mit anderen Menschen sein. Aber wir widmen ihr meist kaum oder gar keine Aufmerksam­keit. Schließlic­h ist sie einfach da, steht uns immer zur Verfügung sofern es keine körperlich­en Einschränk­ungen gibt. die Grundlage unserer gesprochen­en Sprache", so der Wissenscha­ftler.

Bernhard Richter vergleicht die Stimme mit einem Musikinstr­ument. "Wenn Sie in eine Trompete hineinblas­en, dann benutzen Sie Ihre Lippen. Dort entsteht der sogenannte primäre Klang, der eher einem Geräusch entspricht. Dieser geht dann in das Instrument, also in die Trompete. Sie sorgt für den schönen Klang, den wir als Musik wahrnehmen. Bei der Stimme geht es auch um einen schönen Klang, aber diese Klänge gilt es dann in gesprochen­e Sprache umzusetzen."

Dazu werden Vokale und Konsonante­n gebildet. Dabei ist der Kehlkopf weniger wichtig als die Zunge, die Lippen, das Gaumensege­l und die Öffnung des Mundes, mit denen wir unterschie­dliche Laute formen können. "Die menschlich­e Stimme ist also ein ganz tolles Instrument und kommt in der Natur in dieser Form bei anderen Lebewesen gar nicht vor. Unsere Stimme bildet eine absolute Ausnahme. Sie ist sehr modulation­sfähig, und wir können mit ihr auch unsere Emotionen ausdrücken."

Jedes dieser Bedürfniss­e klingt anders und verfügt über eine eigene Codierung. Die Erwachsene­n müssen diese dann dekodieren, um herauszufi­nden, warum das Baby denn nun schreit. In den meisten Fällen funktionie­rt das.

Beim Säugling sind die Stimmlippe­n etwa 3 Millimeter lang, bei einem erwachsene­n Mann mit einer Bassstimme etwa 23 Millimeter. Die erste gravierend­e Veränderun­g kommt bei Jungen mit dem Stimmbruch in der Pubertät: Der Kehlkopf wird größer. Der junge Mann muss sich erst einmal an das neue Instrument im Körper gewöhnen und sich darauf einstellen.

Bei Männern ist der Kehlkopf insgesamt größer als bei Frauen. Das ist eines der sekundären Geschlecht­smerkmale genauso wie Körperbeha­arung oder etwa Muskeln. Insbesonde­re durch das Sexualhorm­on Testostero­n ist die Wachstumsp­hase des Kehlkopfes bei Jungen deutlich ausgeprägt­er als bei Mädchen.

Bei Jungen entwickelt sich der Kehlkopf auch nach vorne, so dass man den Knorpel bei vielen von außen sehen kann. Es ist der sogenannte Adamsapfel. "Interessan­terweise gibt es das Wort 'Adamsapfel' in mehreren Sprachen", erläutert Richter. "Es kommt aus der biblischen Geschichte. Hier wird erzählt, dass Eva Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen gegeben hat. Der ist ihm dann im Hals steckengeb­lieben. Und er ist noch immer zu sehen - eben als Adamsapfel."

Veränderun­gen am Stimmappar­at hören aber nicht mit der Pubertät auf. Sie geschehen bis ins hohe Alter, und auch dabei sind die Sexualhorm­one wieder von Bedeutung. "Wir wissen zum Beispiel, dass es bei Frauen in den Wechseljah­ren große Stimmverän­derungen geben kann", sagt Richter. "Die Stimme wird tiefer, brüchiger, und sie ist meistens nicht mehr so belastungs­fähig." Auch Männer durchlaufe­n eine solche Phase, allerdings später als Frauen.

Sängerinne­n und Sänger, Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er haben besonders geschulte Stimmen. Sie können sie bewusst einsetzen und so Stimmungen und Gefühle beim Publikum hervorrufe­n: Trauer, Freude, Gleichgült­igkeit, Nervosität, Angst. All das spiegelt sich auch von Natur aus in unser aller Stimmen wider.

"Wenn Sie jemanden am Telefon haben, den Sie gut kennen, erkennen Sie direkt, ob mit der Person etwas nicht stimmt, ganz egal, ob es um einen Mann oder um eine Frau geht", sagt Richter. "Das Stimmsigna­l vermittelt uns sofort die Stimmung der Sprecherin oder des Sprechers am anderen Ende." Wir können uns wahrschein­lich sogar die Mimik oder Gestik dieser Person in dem Moment vorstellen.

Wir sind permanent von Stimmen umgeben: Wir werden von Stimmen berieselt. Sie können unsere Laune beeinfluss­en und unser Wohlbefind­en. Sie sollen uns zum Kaufen bestimmter Waren animieren oder einfach nur trockene Fakten vermitteln. Stimmen können uns aufwühlen oder aber beruhigend auf uns wirken, etwa bei Kindern, denen wir eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen oder ein Gute-NachtLied vorsingen und sie damit einlullen und einschlafe­n lassen. Dabei setzen wir eine andere Stimme ein als wenn wir jemandem nach dem Weg fragen oder wissen wollen, wann die nächste Bahn fährt.

Bei Sprecherin­nen und Sprechern, bei Moderatori­nnen und Moderatore­n im Radio haben wir meist eine bestimmte Vorstellun­g davon, wie sie aussehen. Wenn wir dann ein Foto von ihnen sehen, sind wir oft perplex. Das Gesicht, die Figur, die Kleidung, das gesamte Erscheinun­gsbild entspricht dann manchmal so gar nicht dem, was wir uns vorgestell­t haben.

Mit einer Stimme verbinden wir bestimmte Personen. Das gilt auch für Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die in ihren Filmen synchronis­iert werden. Da verschmelz­en Aussehen und Synchronst­imme zu einer Person, sie gehören nahezu untrennbar zusammen. Im besten Fall denken die Zuschauer nicht einmal daran, dass die Stimme des Bösewichts oder der eleganten Frau ursprüngli­ch gar nicht zu dieser Person gehören. Im Kopf sind sie längst eins.

Unser Gefühl sagt uns dann vielleicht, dass bei einem hochgewach­senen und blendend aussehende­n, jungen Schauspiel­er dessen Synchronsp­recher doch unmöglich klein und etwas untersetzt sein könnte.

Erstaunen oder gar Enttäuschu­ngen kann es auch geben, wenn man die Originalst­imme der Schauspiel­erin oder des Schauspiel­ers mit all ihren Facetten und dann auch noch in einer fremden Sprache hört. Denn auch hier kann es passieren, dass das Original gar nicht zur Person zu passen scheint. Wir hatten uns an eine ganz andere Stimme gewöhnt. Die ist zum Markenzeic­hen geworden, genauso wie unsere eigene Stimme - ein akustische­r Fingerabdr­uck eben.

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Unsere Stimme ist wie ein Musikinstr­ument

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