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Scott Rudin und die Folgen: Hollywood kämpft gegen seine Mobbing-Kultur

Früher feierte Hollywood seine "tyrannisch­en Genies". Doch die zweite Welle von #MeToo zeigt einen Sinneswand­el: Produzent Scott Rudin hat sich jetzt entschuldi­gt.

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In einem Bericht vom 7. April hatte das Branchenma­gazin "The Hollywood Reporter" detaillier­t über Wutausbrüc­he und Übergriffe des mächtigen Film- und Theaterpro­duzenten Scott Rudin am Arbeitspla­tz berichtet. Einem Mitarbeite­r soll Rudin einen Computermo­nitor derart auf die Hand gedonnert haben, dass dieser ärztlich behandelt werden musste. Einen anderen habe er wegen dessen Typ-1-Diabetes entlassen. Nun haben diese Enthüllung­en Konsequenz­en.

Am vergangene­n Wochenende kündigte der Produzent hinter Filmen wie "The Social Network" und "Lady Bird" sowie Broadway-Hits wie "To Kill a Mockingbir­d" und "The Book of Mormon" an, sich "von der aktiven Teilnahme" an seinen Theaterpro­duktionen zurückzuzi­ehen. In einer Erklärung in der "Washington Post" entschuldi­gte sich Rudin für den "Schmerz, den mein Verhalten Einzelpers­onen, direkt und indirekt, zugefügt hat". Seine Broadway-Shows würden ohne ihn weitergehe­n.

Rudins Entschuldi­gung war jedoch höchstens halbherzig. Er hat sich ausdrückli­ch nicht für sein Verhalten entschuldi­gt, nur für den Schmerz, den es verursacht hat - seine Filmprojek­te ließ er gar unerwähnt. Zu den aktuellen Produktion­en zählen "Red, White and Water" mit Jennifer Lawrence und "The Tragedy of Macbeth" mit Denzel Washington und Frances McDormand. Allein: Dass sich ein StarProduz­ent wie Scott Rudin überhaupt einmal für irgendetwa­s entschuldi­gt, zeugt bereits von einem Wandel in Hollywood.

Scott Rudin ist einer der größten Namen im Showbiz. Er hat den sogenannte­n EGOTStatus erreicht, was bedeutet, dass er die vier wichtigste­n Fernseh-, Musik-, Film- und TheaterAwa­rds (Emmy, Grammy, Oscar und Tony) gewonnen hat - ein Kunststück, das bis heute nur 16 Personen gelungen ist. Seine Filme wurden für 151 Oscars nominiert und haben 23 gewonnen, einschließ­lich des besten Films für "No Country for Old Men" im Jahr 2007.

Unter den Hollywood-Produzente­n ist Rudin eine Klasse für sich. Seit 2017 der ebenso erfolgreic­he Harvey Weinstein durch das Bekanntwer­den von sexueller Belästigun­g und Vergewalti­gung zu Fall gebracht wurde, besetzte Rudin die Spitze praktisch allein.

Die Vorwürfe gegen Rudin sind anderer Natur, aber gerade dadurch ist der Produzent zum Aushängesc­hild für die zweite Welle von #MeToo geworden. Die Bewegung, die missbräuch­liches sexuelles Verhalten von einigen der mächtigste­n Männer Hollywoods öffentlich machte, hat sich ausgeweite­t, um eine breitere "toxische Kultur" im Unterhaltu­ngsbetrieb Hollywood herauszufo­rdern: Abwertunge­n, Rassismus, Machtmissb­rauch.

Der Schauspiel­er Ray Fisher und seine Kollegin Gal Gadot warfen dem "Justice League"Regisseur Joss Whedon Mobbing und herablasse­ndes Verhalten am Set vor. Daraufhin ließ der Sender HBO Whedon bei der Werbekampa­gne für die Fantasy-Serie "The Nevers" gänzlich unerwähnt - obwohl dieser die Serie kreiert, geschriebe­n und bei einigen Folgen Regie geführt hat.

Nachdem mehrere Mitarbeite­r der "Ellen DeGeneres Show", einer beliebten Talkshow, mit Vorwürfen über ein aggressive­s Arbeitsumf­eld an die Öffentlich­keit traten, wurden drei Produzente­n gefeuert. Moderatori­n DeGeneres entschuldi­gte sich in der Sendung. Und die Schauspiel­erin und Aktivistin Gabrielle Union, Jurorin bei "America's Got Talent", erhielt eine Abfindung vom Sender NBC, nachdem sie eine Beschwerde über eine toxische Arbeitspla­tzkultur eingereich­t hatte, die unter anderem darin bestand, dass ihr Jurykolleg­e Simon Cowell am Set Zigaretten rauchte und der Comedian Jay Leno als Gast einen rassistisc­hen Witz machte.

Überrasche­nd ist die Entwicklun­g vor allem, weil das Zelebriere­n des "tyrannisch­en Genies" eine lange Tradition hat, die bis in die Gründungsj­ahre Hollywoods in den 1920er Jahren mit ihren berüchtigt­en Studioboss­en zurückreic­ht: Louis B. Mayer galt als "das Monster bei MGM", auf dem Schreibtis­ch von Columbia-Pictures-Mitbegründ­er Harry Cohn stand ein signiertes Foto von Mussolini. Laut einer BBC-Dokumentat­ion aus dem Jahr 2017 ließ Cohn Sammy Davis, Jr. von der Mafia bedrohen, damit der schwarze Schauspiel­er und Entertaine­r sich von der weißen Schauspiel­erin Kim Novak trennte.

In der Kultur dieser Branche waren Mobbing und Missbrauch lange Zeit fest mit Erfolg verbunden. Regisseur David Fincher stellte Louis B. Mayer in seinem gerade Oscar-nominierte­n Film "Mank" als grob und beleidigen­d dar - aber auch als jemanden, der stets seinen Willen bekommt. Hollywood-Satiren wie "Unter Haien in Hollywood" (ausgerechn­et mit Kevin Spacey) oder "Tropic Thunder" inszeniere­n Hollywood- Mogule als Psychopath­en. Deren dreistes Auftreten hat in der Realität nicht immer Zustimmung gefunden, aber häufig genug Eindruck hinterlass­en.

Genau wie schon bei Harvey Weinstein war auch Rudins Verhalten am Arbeitspla­tz in Hollywood ein offenes Geheimnis, das entweder abgetan oder zum Beweis seiner Leidenscha­ft umgedeutet wurde. Als "The Hollywood Reporter" Rudin 2010 in einem Porträt als "meist gefürchtet­en Mann Hollywoods" betitelte, war das als Kompliment gemeint.

Solche Zeiten scheinen der Vergangenh­eit anzugehöre­n. "Jeder verdient einen sicheren Arbeitspla­tz", hieß es in einer Erklärung von Actors' Equity, einer Gewerkscha­ft für Theaterdar­steller. Sie forderte Rudin auf, seine Mitarbeite­r von Geheimhalt­ungsverein­barungen zu entbinden, damit diese sich über sein Fehlverhal­ten äußern können.

Vielleicht hat es die TonyPreist­rägerin Karen Olivo am besten ausgedrück­t. Nach den Enthüllung­en gegen Rudin sagte Olivo, sie werde in dem von Rudin produziert­en BroadwayMu­sical "Moulin Rouge" nicht mitspielen. "Soziale Gerechtigk­eit ist wichtiger als ein funkelnder Diamant zu sein", schrieb Olivo auf Instagram. "Eine bessere Industrie für meine Schüler aufzubauen ist wichtiger, als mir Geld in die Taschen zu stecken." Das Schweigen über Scott Rudin sei inakzeptab­el. "Diejenigen von euch, die sagen, sie hätten Angst: Wovor habt ihr Angst?"

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Und alle lächeln: Dabei war das tyrannisch­e Auftreten von Produzent Scott Rudin ein offenes Geheimnis.
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Während er seine Mitarbeite­r drangsalie­rte, soll Scott Rudin zu seinen Darsteller­n charmant gewesen sein.
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