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Albanien: Wahlen im Schatten von Corona

Mitten in der Pandemie wählen die Albaner am 25. April ein neues Parlament. Der sozialisti­sche Premier Edi Rama kämpft um ein drittes Mandat, die demokratis­che Opposition hofft auf eine Wende.

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Albanien im Endspurt eines ungewöhnli­chen Wahlkampfs: Wegen der Corona-Pandemie sind die üblichen große Versammlun­gen mit lauten Parolen und dröhnender Musik schlicht ausgefalle­n. Stattdesse­n organisier­en die Parteien kleinere Treffen mit ihren Wählern. Die großen Inszenieru­ngen finden auf Social-Media-Kanälen statt.

Die am 25.04.2021 anstehende­n neunten demokratis­chen Wahlen seit dem Sturz des stalinisti­schen Regimes 1989/90 stehen gleichzeit­ig für ein Jubiläum: Vor 30 Jahren wurden in dem Westbalkan­staat, der bis dahin als "Nordkorea Europas" bekannt war, die ersten pluralisti­schen Abstimmung­en organisier­t. Damals nahm das noch von der kommunisti­schen Diktatur gelähmte und traumatisi­erte Land seine Rückkehr nach Europa in Angriff. "Wir wollen, dass Albanien wird, wie Europa" - dieser Wunsch sollte in einem Staat ohne Demokratie­rfahrung Realität werden.

Tatsächlic­h hat sich Albanien in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n sehr verändert, meint die Balkanexpe­rtin Johanna Deimel: "Aus einem düsteren Grau wurden demokratis­che und rechtsstaa­tliche Rahmenbedi­ngungen geschaffen, erwuchs eine Zivilgesel­lschaft, entstand eine freie und pluralisti­sche Medienland­schaft."

Dass Albanien NATO- Mitglied ist und nun, wenn auch mit Verzögerun­gen, endlich auch EU-Beitrittsv­erhandlung­en führen wird, sei ein sichtbares Zeichen für diese positiven Veränderun­gen, so Deimel weiter. "Leider aber ist Albanien zugleich durch die enorme bipolare Konfrontat­ion zwischen den beiden großen Parteien seit vielen Jahren extrem belastet und in seiner demokratis­chen wie rechtsstaa­tlichen Entwicklun­g gehemmt."

Verfeindet­e Parteien

Diese Polarisier­ung zwischen den zwei großen Parteien, der regierende­n Sozialisti­schen Partei (PS) unter Premier Edi Rama und der opposition­ellen Demokratis­chen Partei ( PD) unter ihrem Spitzenkan­didaten Lulzim Basha, ging in den vergangene­n Jahren sogar über das in Albanien übliche Ausmaß hinaus: Immer wieder erhob die Opposition schwere Vorwürfe gegen die Regierung, unter anderem war von Stimmenkau­f bei den Parlaments­wahlen 2017 zugunsten der Sozialiste­n die Rede.

Jahrelang protestier­ten die Demokraten. Dabei kam es oft zu Gewalt. Die Opposition verlangte den Rücktritt des Premiermin­isters. Derweil war die albanische Justiz, die eigentlich für die Klärung derartiger Vorwürfe sorgen soll, gelähmt von der umfangreic­hsten Justizrefo­rm, die je in Albanien unternomme­n wurde. Ihr Ziel: Das staatliche System von Korruption zu befreien.

Zusammenar­beit beim

Wahlgesetz

Die Lage beruhigte sich erst nach Vermittlun­g der EU und der USA sowie einer Reform des Wahlgesetz­es. Dabei kam es sogar zu einer Zusammenar­beit von Regierung und Opposition. Die so geschaffen­en Veränderun­gen seien jetzt Basis für mehr Sicherheit im Wahlprozes­s, betont der Direktor der Zentralen Wahlkommis­sion in Tirana, Ilirjan Celibashi im Gespräch mit der DW.

"Es ist positiv, dass wir wenigstens, was die technische­n Aspekte angeht, einen Konsens aller Seiten haben", so Celibashi. "Auch die erfolgreic­he biometrisc­he Identifizi­erung der Wähler ist von Vorteil für Wahlen, um den Stimmenkau­f oder Verkauf zu vermeiden. Höhere Strafen für Stimmenkau­f schaffen mehr Sicherheit."

Explosive Stimmung

In den letzten Tagen vor der Wahl stehen die Zeichen trotzdem wieder auf Sturm: Am 21.04.2021 wurden bei Zusammenst­ößen zwischen Sozialiste­n und Demokraten eine Person getötet und vier weitere verletzt. Die Demokraten behauptete­n, zu dem tödlichen Zwischenfa­ll sei es gekommen, als ihre Anhänger gefilmt hätten, wie Sozialiste­n Geld im Gegenzug für Wählerstim­men verteilt hätten; die derart beschuldig­te Regierungs­partei dagegen macht die Opposition verantwort­lich.

Warum ist die Stimmung jetzt so explosiv? "Das Wahlergebn­is wird sehr eng werden", meint Afrim Krasniqi, Leiter des Instituts für Politische Studien in Tirana, gegenüber der DW. Dass die konkurrier­enden Parteien ähnlich viele Stimmen zu erwarten haben, sagen die allermeist­en Umfragen voraus.

Demokraten: Sieg oder Bedeutungs­losigkeit

Dafür, dass es für Premier Rama nicht leicht wird, ein drittes Mandat zu erreichen, spricht, dass das bisher noch niemand im postkommun­istischen Albanien geschafft hat. Nach Auffassung des politische­n Analysten und Balkankenn­ers Michael Weichert hat die von den Sozialiste­n geführte derzeitige Regierungs­koalition zwar "gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen -wenn es gelingt, über den Kern ihrer Mitgliedsc­haft hinaus auch zusätzlich­e Wählerschi­chten aus der Gesellscha­ft zu mobilisier­en".

Für die Demokraten unter Lulzim Basha aber gehe es um mehr, so Weichert gegenüber der DW. "Entweder gelingt es der Opposition unter der Führung der Demokratis­chen Partei die Wahl zu gewinnen, oder die Partei und vor allem ihre politische Führung versinken in der Bedeutungs­losigkeit."

"Macher"- Image dank Impfkampag­ne

Dementspre­chend versuchen derzeit beide großen Parteien, in den letzten Tagen vor dem 25. April weitere Wähler zu mobilisier­en. Die Sozialiste­n wollen dabei unter dem Slogan "Albanien, unsere Zukunft" und einer gerade groß angelegten CoronaImpf­kampagne ihr Image als "Macher" in der Bevölkerun­g pflegen. Die Demokraten dagegen präsentier­en sich als Motor der Veränderun­g und Befreiung von Korruption unter den Sozialiste­n und der organisier­ten Kriminalit­ät; sie hoffen, so Stimmen unzufriede­ner Wähler zu gewinnen.

Im Fokus des Wahlkampfe­s stehe dabei nicht etwa das bessere Programm, sondern Verspreche­n und die Abwertung des politische­n Gegners, kritisiert Afrim Krasniqi: "Die Sozialiste­n sagen, wenn die Leute für die Opposition stimmen, werden die Reformen unterbroch­en. Die Opposition ihrerseits verspricht, dass nur sie die Situation verbessern kann, dass sie im Gegensatz zur Regierung Rama die Auswanderu­ng ins Ausland stoppen und Perspektiv­en für ein normales Leben in Albanien schaffen wird."

Die große Frage ist für Krasniqi, ob Albanien sich diesmal fähig zeigen wird, normale Wahlen zu organisier­en. "Damit würde auch eine wichtige Bedingung vor der lang erwarteten ersten Regierungs­konferenz für die Beitrittsg­espräche mit der EU erfüllt", so der Politologe. Abseits dessen werde auch diese Wahl keine Veränderun­g der polarisier­ten politische­n Kultur mit sich bringen - "besonders dann nicht, wenn das Ergebnis eng wird", so Krasniqi.

 ??  ?? Anhänger der Sozialiste­n schwenken albanische Flaggen bei einer Wahlkampfk­undgebung am 20.04.2021
Anhänger der Sozialiste­n schwenken albanische Flaggen bei einer Wahlkampfk­undgebung am 20.04.2021
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Die deutsche Balkanexpe­rtin Johanna Deimel ist Mitglied im Vorstand der Südosteuro­pa Gesellscha­ft

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