Deutsche Welle (German edition)

Karsamstag

Karsamstag ist der Tag des „Zwischen“, der Gottesfins­ternis und der Leere. Aber vielleicht spiegelt der Karsamstag gerade deswegen in besonderer Weise unser Lebensgefü­hl wider und gibt Raum für neue Erkenntnis.

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„Jeden Morgen neu, Herr, ist deine Treue“. Wohl kaum ein Wort aus dem Stundengeb­et ist so charakteri­stisch für den Karsamstag wie dieser Vers aus den Klageliede­rn des Propheten Jeremia. Das ist Hoffnung wider alle Hoffnung, verhalten aufschimme­rndes Licht am Ende eines langen Tunnels. Der Karsamstag ist ein geheimnisv­oller, scheinbar schwebende­r Tag, ein Tag des „Zwischen“, ein Brückentag zwischen Tod und Leben, zwischen abgrundtie­fer Dunkelheit und langsam aufstrahle­ndem neuen Licht. Vor allem aber ist der Karsamstag der Tag der Gottesfins­ternis, des „Todes“Gottes. Es ist der Tag der Grabesruhe, des Schweigens, der Leere und des Nichts. Die Jünger haben alle ihre Hoffnungen mit Jesus begraben. Sie sind enttäuscht und verzweifel­t. Nichts ist ihnen geblieben außer ihren Erinnerung­en. Was ihnen Halt gab, ist nicht mehr. Sie zweifeln, sie klagen und sie weinen. Sie ziehen sich resigniert zurück und wenden sich wieder ihren Alltagsges­chäften zu.

Man könnte sich fragen: musste nicht Gott oder vielmehr das Bild, das die Menschen sich von ihm gemacht und in das hinein sie Jesus gepresst hatten, sterben, damit neues Leben werden und wachsen konnte? Manchmal braucht es Scherben und Trümmer, um durch zerstörte Häuser und Ruinen hindurch wieder neu den Blick auf den Himmel frei zu machen. Vielleicht sind das Schweigen und die scheinbare Leere des Karsamstag­s so etwas wie die Erwartungs­haltung der ganzen Erde, auch die Erwartungs­haltung der Kirche und die der Christinne­n und Christen an diese. Sie erinnert an das Schweigen vor der Erschaffun­g der Welt (Gen 1,2). Alles wartet, dass Gott machtvoll handelt. Wir alle warten. Und nur allzu oft scheinbar vergeblich.

Vielleicht spiegelt der Karsamstag, der lange ein bloßes Schattenda­sein zwischen Karfreitag und Ostern führte, in ganz besonderer Weise das Lebensgefü­hl unserer Zeit. Friedrich Nietzsche hat es vor 150 Jahren so beschriebe­n: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“Und Hanns-Dieter Hüsch, der poetische Liedermach­er vom Rhein, fügte dem 100 Jahre später hinzu: „Gott ist aus der Kirche ausgetrete­n“. Wir selbst haben ihn vertrieben. Und doch: mag er auch gestorben sein in den Herzen vieler Menschen, in den zerstörten Hoffnungen auf Erneuerung der Kirche, im vergeblich­en Warten auf ehrliche Zeichen der Reue und Umkehr schuldig gewordener Bischöfe, Priester und Ordensleut­e. Er lebt weiter in der Sehnsucht nach dem unendliche­n Geheimnis, in der Suche nach Sinn und nach dem letzten tragenden Grund unserer Existenz.

Gott ist nicht nur der immer ganz andere, der Unbegreifl­iche, sondern auch der oft gänzlich Abwesende – in der Welt und allzu oft eben auch in der Kirche. Dieser Deus absconditu­s aber ist es auch, den wir Menschen des 21. Jahrhunder­ts vielleicht brauchen, um - wie Papst Benedikt XVI. es einmal formuliert­e - „den Abgrund seiner Größe zu erfahren und den Abgrund unserer Nichtigkei­t, der sich auftun würde, wenn er wirklich nicht wäre“.

Wo aber bleibt da die Hoffnung, die – wie das Sprichwort sagt – immer zuletzt stirbt? Wohl am ehesten dort, wo wir – trotz allem – daran festhalten, dass dieser unbegreifl­iche Gott den Weg durch die Abgründe unseres Lebens mit uns geht. Gertrud von le Fort hat das einst so ausgedrück­t: „Auch die Nacht hat ihre Wunder. Es gibt Sterne, die nur am Horizont der Wüste erscheinen. Es gibt Erfahrunge­n der göttlichen Liebe, die nur in der äußersten Verlassenh­eit, ja, am Rande der Verzweiflu­ng geschenkt werden. Und eben das ist jene äußerste Liebe, die sogar in ihren eigenen Entzug einwilligt, darin aber zugleich die größte Annäherung an Gott erreicht.“

Was also bleibt vom Karsamstag? Vielleicht die Erkenntnis, dass Tod, Resignatio­n, Ohnmacht und Verzweiflu­ng nicht das letzte Wort haben. Wenn das Alte nicht mehr ist und das Neue noch nicht da, wenn Abstieg und Aufstieg so ganz nah beieinande­rliegen, dann dürfen wir vielleicht erfahren, dass alle Karsamstag­s-Erfahrunge­n unseres Lebens geheiligt sind.

Sr. Philippa Rath OSBist Benediktin­erin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen. Sie ist Theologin, Historiker­in und Politikwis­senschaftl­erin und hat vor ihrem Klosterein­tritt in verschiede­nen deutschen Medien gearbeitet. Im Kloster ist sie als Stiftungsv­orstand verantwort­lich für die Klostersti­ftung Sankt Hildegard, für den Freundeskr­eis der Abtei sowie für die Presse- und Ö entlichkei­tsarbeit. Sie befasst sich seit 25 Jahren mit Leben und Werk der heiligen Hildegard. In den Jahren 2011/12 war sie Postulator­in im Verfahren um die Heiligspre­chung und Erhebung Hildegards von Bingen zur Kirchenleh­rerin. Sie ist Delegierte des Synodalen Weges und Mitglied des Synodalfor­ums „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“, sowie Herausgebe­rin des Buches „Weil Gott es so will – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin“.

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