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Studie: Deutsche unterschät­zen Digitalisi­erung

Die Corona-Pandemie beschleuni­gt die Digitalisi­erung. Und es gilt als sicher, dass Computer und Roboter viele Jobs bald überflüssi­g machen. Trotzdem sind die Deutschen relativ sorglos, sagt eine Studie. Ein Fehler?

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Vielen Arbeitnehm­ern in Deutschlan­d ist laut einer Studie die von der Digitalisi­erung ausgehende Bedrohung der eigenen Arbeitsplä­tze nur mangelhaft bewusst. Verglichen mit ihren Kolleginne­n und Kollegen in vielen anderen Ländern sehen Angestellt­e in Deutschlan­d die möglichen Auswirkung­en der Automatisi­erung vergleichs­weise sorglos. Entspreche­nd niedrig ist auch die Bereitscha­ft zu Umschulung und Weiterbild­ung.

Das hat eine am Mittwoch veröffentl­ichte internatio­nale Umfrage unter weltweit knapp 210.000 Arbeitnehm­ern in 190 Ländern ergeben. Befragt wurden die Teilnehmer im Herbst 2020, in Deutschlan­d waren es 9002 Menschen. Beteiligt waren das Stellenpor­tal Stepstone, der internatio­nale Jobbörsenv­erband The Network und die Unternehme­nsberatung Boston Consulting Group, welche die Befragung in München veröffentl­ichte.

Sorgen in Singapur, Entspannun­g in Deutschlan­d

Global sagten 41 Prozent der Teilnehmer, dass ihre Sorgen vor einer Wegrationa­lisierung des eigenen Arbeitspla­tzes in den 12 Monaten vor der Umfrage gestiegen seien - befeuert durch die coronabedi­ngten Fortschrit­te in der Digitalisi­erung der Arbeitswel­t.

Am größten sind diese Befürchtun­gen demnach unter Angestellt­en in Finanzwese­n und Versicheru­ngsbranche. "Beide Branchen stellen keine physischen Produkte her", sagt dazu BCG-Arbeitsmar­ktexperte Rainer Strack, einer der Studienaut­oren. "Alles, was sie haben, sind Menschen und IT."

Es gibt internatio­nal sehr große Unterschie­de. Im südostasia­tischen High-Tech-Inselstaat Singapur waren 61 Prozent besorgt, in China 48 Prozent, in den USA 44 Prozent. Im deutschspr­achigen Raum sind diese Angstwerte viel niedriger: 36 Prozent in der Schweiz, 32 Prozent in Österreich und 28 Prozent in der Bundesrepu­blik. "Deutschlan­d geht auf das Thema Automatisi­erung etwas naiv zu, etwas blauäugig", sagt Strack. "COVID-19 hat uns zehn Jahre in die digitale Zukunft katapultie­rt."

Parallelpr­ozess

Viele Fachleute prophezeie­n seit Jahren, dass der Automatisi­erung der Fabriken in den kommenden Jahren die Automatisi­erung der Büros und anderer Arbeitsplä­tze folgen werde. Häufig genannte Beispiele für Tätigkeite­n, die Computer übernehmen könnten, sind etwa einfache Verwaltung­stätigkeit­en oder das Rechnungsw­esen.

Banken und Sparkassen bauen seit Jahren Personal in großem Umfang ab, in anderen großen Dienstleis­tungsbranc­hen wie den Versicheru­ngen ist das bislang ausgeblieb­en. "Der Vergleich zur Industriel­len Revolution passt ganz gut", sagt dazu Sebastian Dettmers, der Geschäftsf­ührer von Stepstone in Deutschlan­d. "Viele manuelle Jobs blieben zunächst erhalten, während gleichzeit­ig der Einsatz von Maschinen voranschri­tt. Zur Zeit haben wir einen ähnlichen Parallelpr­ozess."

Weltweit sagten 68 Prozent der Teilnehmer, dass sie auf jeden Fall zu einer Umschulung bereit wären. In Deutschlan­d geht mit dem vergleichs­weise großen Sicherheit­sgefühl demnach auch eine unterdurch­schnittlic­he Bereitscha­ft zur Umschulung einher: 55 Prozent sagten, dass sie offen für einen anderen Beruf seien. "Die zweite Überraschu­ng ist, dass Deutschlan­d auch beim Thema Weiterbild­ung im unteren Drittel dabei ist", sagte Strack dazu.

Wenig Weiterbild­ung

Doch werden die Arbeitnehm­er in Deutschlan­d nach Einschätzu­ng der Studienaut­oren von niemanden wirklich darauf vorbereite­t, dass sie sich in Zukunft unter Umständen einen neuen Beruf suchen müssen: "Ein Beispiel wäre der Lkw-Fahrer, der irgendwann obsolet wird", sagte Strack. "Eigentlich müsste ich dem Lkw-Fahrer 50 neue Jobs nennen, für die er sich qualifizie­ren kann. Aber heute weiß der Lkw-Fahrer das gar nicht."

Noch weniger bereit zum Erlernen eines neuen Berufs sind demnach allerdings die eigentlich als flexibel geltenden USBürger, von denen das nur die Hälfte bejahte.

Schwarzmal­en wollen die Initiatore­n der Studie nicht. Stepstone-Geschäftsf­ührer Dettmers weist darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft ohnehin unter Fachkräfte­mangel leidet und auf die Digitalisi­erung angewiesen ist: Seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Zahl der Arbeitskrä­fte eigentlich kontinuier­lich angestiege­n, sagte Dettmers. "In den nächsten zehn werden fünf Millionen Menschen aus dem Arbeitsmar­kt ausscheide­n. Das wird erstmals eine Trendumkeh­r. Daraus ergibt sich eine Riesenchan­ce."

bea/hb (dpa)

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Kollege oder Konkurrent: Mensch und Roboter arbeiten (noch) gemeinsam
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Banken bauen Zehntausen­de Stellen ab, Kunden erledigen ihre Überweisun­gen mit dem Smartphone

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