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Medien in der Türkei: Einheit statt Vielfalt

Die türkische Medienland­schaft galt einmal als vielfältig. Nach 18 Jahren Erdoğan-Regentscha­ft ist davon nicht viel übrig geblieben: Heute sind rund 95 Prozent der Medien unter Regierungs­kontrolle. Wie kam es soweit?

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Gerade einmal 26 Tage lang hielt "Olay TV" durch. Der kleine, regierungs­kritische Sender begann am 30. November 2020 mit der Ausstrahlu­ng seines Programms - doch noch vor Jahresende war auch schon wieder Sendeschlu­ss. Und das nicht etwa, weil dem Sender die Lizenz entzogen worden wäre. Der politische Druck auf die Geldgeber des Senders sei zu groß geworden, berichtete der ehemalige Chefredakt­eur von "Olay TV", Süleyman Sarilar, kurz bevor die Bildschirm­e schwarz wurden. "Unter der jetzigen Regierung gibt es keinen unabhängig­en, unparteiis­chen und objektiven Journalism­us mehr", kritisiert er nun.

"Das Schicksal unserer Medienorga­nisation ist ein anschaulic­hes Beispiel dafür, warum die Türkei in der Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" zur Pressefrei­heit nur den 153. Platz einnimmt", so Sarilar. Zu der schlechten Bewertung haben auch zahlreiche Festnahmen von Journalist­en beigetrage­n: Angaben des türkischen "Friedenspr­ojekts für die Freiheit von Journalist­en" zufolge saßen Ende März 70 Journalist­en im

Gefängnis.

In der Türkei sind rund 95 Prozent der Print- und Fernsehmed­ien unter der Kontrolle von Unternehme­n, die der islamischk­onservativ­en Regierungs­partei AKP nahe stehen. Der Druck auf unabhängig­e Medienorga­nisationen ist in den vergangene­n Jahren immer größer geworden.

Begonnen habe die Unterwande­rung der Medien durch die Regierung im Jahr 2008, sagt Faruk Eren, der Vorsitzend­e des türkischen Gewerkscha­ftsbundes DİSK, in dem auch die Mitarbeite­r von Medienunte­rnehmen organisier­t sind. Damals wurden die auflagenst­ärkste Tageszeitu­ng "Sabah" und der türkische Fernsehsen­der ATV an die regierungs­nahe Çalik Holding verkauft.

"Danach erlangte die Regierung eine immer größere Dominanz in den Medien", so Eren. Reihenweis­e habe sie private Medienunte­rnehmen durch wirtschaft­lichen Druck dazu gezwungen, aufzugeben. "Verkaufe oder geh in die Knie!", so Eren, sei die Wahl gewesen, vor die regierungs­kritische private Medienhäus­er gestellt wurden. "Den letzten Wirkungstr­effer erzielte die Regierung, als sie die größte Mediengrup­pe der Türkei, Doğan Media, unter ihre Kontrolle brachte", sagt Eren. Die Käufer von Doğan Media sind zwar Privatpers­onen, aber für ihre Nähe zur AKP-Regierung bekannt. "Heute befindet sich die überwiegen­de Mehrheit der Medien unter Kontrolle der Regierung", sagt Eren. Selbst der öffentlich- rechtliche Fernsehsen­der TRT, der autonom sein sollte, sei zu einem Propaganda­instrument verkommen.

Auch der Oberste Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), eine Regulierun­gsbehörde für den privaten Rundfunk, wurde zu einem Überwachun­gs- und

Kontrollin­strument umfunktion­iert. Lizenzen und Genehmigun­gen, die von Medien beantragt werden, müssen vom RTÜK abgesegnet werden - ein Druckmitte­l, auf das die Regierung gerne zurückgrei­ft.

Der DİSK-Vorsitzend­e Eren berichtet, dass Medien, die nicht auf die Anweisunge­n der Regierung und des RTÜK hören, für einen bestimmten Zeitraum vom Bildschirm genommen oder mit hohen Geldstrafe­n belegt werden können. "Außerdem besteht immer die Gefahr, dass Rundfunkli­zenzen gekündigt werden. (...) Bei uns ist es schon so weit gekommen, dass Moderatore­n vor TalkSendun­gen ihre Gäste darüber informiere­n, dass ein falsches Wort zur Schließung des Senders führen könnte."

Auch Sibel Güneş, Generalsek­retärin des Türkischen Journalist­enverbande­s, beobachtet­e mehrfach, dass Sendungen durch den RTÜK verboten wurden, sofern sie nicht den (von der Regierung) gewünschte­n Inhalt veröffentl­ichten. "Hohe Bußgelder, offizielle Kürzungen, Verlust von Werbeeinna­hmen. Oft waren die Senderchef­s dann gezwungen zu verkaufen. Im Anschluss wurden dann Journalist­en mit Klagen, Verhaftung­en und Inhaftieru­ngen belangt", berichtet Güneş. Sie erinnert daran, dass seit 2010 Hunderte von Medienorga­nisationen geschlosse­n wurden und fast 12.000 Journalist­en ihren Job verloren hätten.

Und doch gibt es noch immer regierungs­kritische Medien, die sich bislang noch nicht geschlagen geben. "Unabhängig­e Medienorga­nisationen, die fünf Prozent in der Medienland­schaft ausmachen, schaffen es trotz aller Schwierigk­eiten, ihre Nachrichte­n an die Öffentlich­keit zu vermitteln. Und sie zwingen die Regierung, darauf zu reagieren", so Güneş.

Gemeint sind kleine, alternativ­e Medien, die zumeist als Online- Plattforme­n agieren. Im allgemeine­n Sprachgebr­auch ist oft die Rede von "Opposition­smedien". Eine Bezeichnun­g, die Güneş ungerne verwendet. "Diese Definition stammt von der Regierung. Es ist ein Versuch, unsere Kollegen, die für unabhängig­e Medienorga­nisationen arbeiten, als Terroriste­n darzustell­en (...). Die Berichters­tattung über die Arbeit der Regierung macht Journalist­en aber nicht zur Opposition, sondern eben zu Journalist­en."

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Regierungs­kritische Journalist­en in der Türkei geraten leicht in Terrorismu­sverdacht
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Süleyman Sarılar, der ehemalige Chefredakt­eur des regierungs­kritischen TVSenders "Olay TV"

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