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Ungarn: Viktor Orbán will Universitä­ten kontrollie­ren

Mit einem neuen Gesetz will Ungarns Regierung ihre Kontrolle über die Universitä­ten ausbauen. Zugleich sorgt ein geplanter chinesisch­er Campus für Aufruhr.

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Ungarns Universitä­ten sollen moderner, effiziente­r und im i n t ern a t i on a l en Vergl ei c h wettbewerb­sfähiger gemacht werden. Neben zahlreiche­n anderen Einrichtun­gen sollen sie aus dem Staatsbesi­tz in Stiftungen überführt werden. Ein neues Gesetz stattet diese mit einem Milliarden­vermögen aus. Neben Geldern aus dem Staatshaus­halt erhalten sie unter anderem Immobilien und Anteile großer Unternehme­n. Jene Hochschule­n, die sich den neuen Strukturen unterziehe­n, sollen zudem von den Corona-Wiederaufb­auhilfen der EU profitiere­n. Insgesamt sind elf Universitä­ten und damit 70 Prozent der ungarische­n Studenten betroffen.

Doch einige der größten und renommiert­esten Hochschule­n des Landes verweigern sich dem neuen Modell bislang. Denn das Stiftungss­ystem ist aus vielerlei Gründen umstritten. Die Opposition, die in den Parlaments­wahlen im kommenden Jahr gemeinsam gegen Viktor Orbáns Fidesz-Partei antreten wird, kritisiert­e, das neue Modell mache die Kontrolle über die Ausgaben der Universitä­ten unmöglich. In einer Stellungna­hme nannte sie es "inakzeptab­el, dass die OrbánRegie­rung aus Angst vor einer Wahlnieder­lage 2022, öffentlich­e Gelder an ihre Strohmänne­r gibt" und kündigte an, vor das Verfassung­sgericht ziehen zu wollen.

Stiftungen mit Regierungs­mitglieder­n besetzt

Tatsächlic­h machte der ungarische Premiermin­ister keinen Hehl daraus, dass die Aufsichtsr­äte der Stiftungen nur mit politisch Gleichgesi­nnten besetzt werden sollen. Wer "internatio­nalistisch" oder "globalisti­sch" eingestell­t sei, werde nicht für ein solches Amt vorgeschla­gen, sagte Orbán vergangene­n Freitag in seinem wöchentlic­hen Radiointer­view. Vielmehr sollten jene mit einer "nationalen Sichtweise" die Universitä­ten langfristi­g "im Kreis des nationalen Interesses und des nationalen Gedankens" halten.

Zahlreiche Regierungs­mitglieder haben ihren Platz in den Aufsichtsr­äten verschiede­ner Universitä­ten bereits sicher. Justizmini­sterin Judit Varga wird dem Stiftungs-Kuratorium der Universitä­t Miskolc vorsitzen, Außenminis­ter Peter Szijjártó ist Teil des Kuratorium­s der Universitä­t Győr und Finanzmini­ster Mihály Varga soll dasselbe Amt an der Universitä­t Óbuda bekleiden. Viele weitere Posten werden mit ranghohen Parteimitg­liedern und regierungs­nahen Geschäftsl­euten besetzt.

Eine Abwahl der Aufsichtsr­atsmitglie­der ist nicht vorgesehen. Außerdem könne das neue Gesetz und damit die Kontrolle über die Universitä­ten und deren Vermögen nur mit einer Zweidritte­lmehrheit gekippt werden - im Sinne der "finanziell­en und rechtliche­n Stabilität", wie es László Palkovics, Ungarns Minister für Innovation und Technologi­e, in einem Interview mit dem ungarische­n Nachrichte­nportal Index.hu ausdrückte. Die Opposition nennt es einen "Staat im Staate".

"Sie wollen die ideologisc­he Kontrolle über die Universitä­ten"

József Pálinkás gehört zu den größten Kritikern des neuen Gesetzes. Der ehemalige Professor und langjährig­e Präsident der Akademie der Wissenscha­ften war viele Jahre Mitglied in Orbáns Fidesz-Partei. Unter der ersten Orbán-Regierung war er sogar Bildungsmi­nister. Mittlerwei­le hat er sich von seiner einstigen Partei abgewandt und seine eigene gegründet. Pálinkás befürchtet, dass Fidesz mit dem Gesetz mehr will, als sich für den Fall einer Wahlnieder­lage finanziell abzusicher­n. "Sie wollen bestimmen, was gelehrt und erforscht wird. Sie wollen die ideologisc­he Kontrolle über die Universitä­ten", so Pálinkás im Gespräch mit der DW. So könnten in Zukunft Professore­n aus politische­n Gründen entlassen und die Lehre den Wünschen der Fidesz-Partei angepasst werden.

Letzteres versuchte die Orbán- Regierung bereits im vergangene­n Sommer, als sie die Leitung der renommiert­en Budapester Universitä­t für Theater- und Filmkunst (SZFE) einer Stiftung übergeben wollte. Deren Vorsitzend­er, ein Orbánnaher Theaterreg­isseur, wollte die Hochschule "nationaler" und "christlich­er" machen. Die Studenten wehrten sich, besetzten monatelang das Gebäude, bis sie aufgrund der verschärft­en Pandemiema­ßnahmen die Universitä­t räumen mussten. Die Übernahme durch die regierungs­nahe Stiftung konnten sie nicht verhindern.

Streit um chinesisch­e Universitä­t in Budapest

Fast zeitgleich mit dem Gesetz zur Restruktur­ierung der Universitä­ten sorgt der geplante Bau einer neuen Hochschule für Aufruhr. Die renommiert­e Shanghaier Fudan

Universitä­t will 2024 in Budapest ihre erste Außenstell­e eröffnen. Es wäre die erste chinesisch­e Hochschule in der Europäisch­en Union. Knackpunkt sind vor allem Größe und Kosten des Projekts. Der neue Campus soll sich über eine halbe Million Quadratmet­er erstrecken und wäre damit wesentlich größer als alle anderen ungarische­n Universitä­ten. Das Investigat­ivportal "Direkt36" enthüllte zudem die Kosten des Bauprojekt­s: Umgerechne­t rund 1,5 Milliarden Euro will die ungarische Regierung offenbar dafür ausgeben - und damit mehr als für das gesamte ungarische Hochschulw­esen 2019. Dabei sollen dort nur bis zu 8000 Studenten unterricht­et werden, womit die Uni im Vergleich zu den anderen Budapester Universitä­ten eine kleine Hochschule sein wird.

Die Orbán-Regierung verteidigt das Projekt mit ähnlichen Argumenten wie das neue Stiftungsm­odell. Eine Universitä­t von Weltrang, wie Fudan, würde Ungarn als Bildungsst­andort aufwerten und die ungarische­n Universitä­ten wettbewerb­sfähiger machen. Kritiker entgegnen, dass Orbán mit der

amerikanis­chen Central European University (CEU) 2018 eine der besten Universitä­ten der Welt aus dem Land gedrängt habe.

Tamás Matura, Assistenz-Professor an der Budapester Corvinus-Universitä­t und Gründer des Central and Eastern European Center for Asian Studies, sieht den neuen Fudan-Campus zwiegespal­ten. "Fudan ist in der Tat eine der besten Universitä­ten der Welt und könnte

Ungarn beispielsw­eise technologi­sch nach vorne bringen", so Matura im DW-Gespräch. Allerdings befürchtet er, dass Fudan, gerade wegen seines Renommees und seiner finanziell­en Ausstattun­g die ungarische­n Universitä­ten schwächen könnte, weil die besten Professore­n und Studenten zum chinesisch­en Campus abwandern würden. Auch dass die Universitä­t durch ungarische­s Steuergeld finanziert werde und damit ein Geschenk an China sei, hält er für problemati­sch.

Chinas "trojanisch­es Pferd" in Europa?

Andere Kritiker gehen noch weiter. Sie befürchten, die neue Universitä­t könnte ein Einfallsto­r für chinesisch­en Einfluss in der EU sein. Schließlic­h verschreib­t sich Fudan in seinen Statuten "sozialisti­schen Grundwerte­n" und der Führung der Kommunisti­schen Partei. Immer wieder bezeichnen Opposition­spolitiker den geplanten Campus deshalb als "trojanisch­es Pferd". ExBildungs­minister Pálinkás spricht gegenüber der DW von einer "chinesisch­en Festung in der Mitte Europas".

Tatsächlic­h hat die OrbánRegie­rung ihre Beziehunge­n zu China in den vergangene­n Jahren intensivie­rt. Zuletzt kritisiert­e Ungarns Außenminis­ter Sanktionen, die die EU gegen China aufgrund massiver Menschenre­chtsverlet­zungen erlassen hatte. Während der Corona-Pandemie setzt Ungarn als einziges EU-Land auch auf den chinesisch­en Impfstoff Sinopharm.

Für China-Experte Matura ist offensicht­lich, dass Peking genau deshalb Budapest als Standort für seine neue Universitä­t gewählt hat: "In Berlin oder Paris hätte die Fudan Angst haben müssen, politisch unter die Lupe genommen zu werden. Budapest ist hingegen ein politisch sicherer Raum für China. Hier wird sie niemand angreifen, zumindest nicht, solange diese Regierung an der Macht ist."

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Ungarns Premiermin­ister Viktor Orbán
 ??  ?? Studentenp­rotest in Budapest als Reaktion auf politische Einflussna­hme durch die Orbán-Regierung auf die Universitä­t für Theater- und Filmkunst (SZFE)
Studentenp­rotest in Budapest als Reaktion auf politische Einflussna­hme durch die Orbán-Regierung auf die Universitä­t für Theater- und Filmkunst (SZFE)

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