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Warum über Napoleon Bonaparte wieder gestritten wird

Napoleon ist ein Nationalhe­ld in Frankreich. Doch seine Rolle bei der Wiedereinf­ührung der Sklaverei hat 200 Jahre nach seinem Tod eine Debatte über sein Vermächtni­s entfacht.

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Inmitten von 150 Exponaten über den schillernd­en Imperialis­ten, den früheren französisc­hen Kaiser, geht es auch um die dunkle Seite seines Vermächtni­sses. Napoleon war "eine Figur, die zugleich fasziniere­nd und umstritten ist", wie es in der Vorschau auf eine große Napoleon-Ausstellun­g im Pariser Kulturzent­rum Grande Halle de la Villette heißt.

Zu sehen sind dort etwa die Originalko­pien der von Napoleon 1802 unterzeich­neten Gesetze, mit denen die acht Jahre zuvor im Zuge der Französisc­hen Revolution verkündete Abschaffun­g der Sklaverei wieder rückgängig gemacht wurde. Damit war Frankreich das einzige Land, das die Sklaverei nach ihrer Abschaffun­g tatsächlic­h wieder einführte.

"Wenn sie von Napoleon hören, denken die meisten Menschen an das große Imperium, die [napoleonis­chen] Kriege und die vielen Siege Frankreich­s. Es gibt diesen Ruhm über Napoleon, der alles andere, was er getan hat, in den Schatten stellt", sagt Dominique Taffin, Direktorin der Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei, im Gespräch mit der DW. "Es ist notwendig, diesen dunklen Teil seiner Taten einem breiteren Publikum bewusst zu machen", so Taffin weiter. an den Idealen der Französisc­hen Revolution, sondern verdammte geschätzt 300.000 Menschen zu einem Leben in Knechtscha­ft - bevor Frankreich die Sklaverei im Jahr 1848 endgültig abschaffte.

Tin, der aus der ehemaligen Kolonie Martinique stammt, fordert, dass diese Aspekte von Napoleons Politik in Frankreich mehr gelehrt werden. "Als jemand, dessen Vorfahren versklavt wurden, kann ich nicht verstehen, warum wir weiterhin das Andenken an Napoleon feiern, als ob nichts passiert wäre."

Der Aktivist weist darauf hin, dass Napoleons Todestag am 5. Mai nur wenige Tage vor dem 20. Jahrestag des sogenannte­n Taubira-Gesetzes liegt: Mit dem Gesetz erkannte Frankreich als erstes Land Sklaverei und Sklavenhan­del als Verbrechen gegen die Menschheit an. "Frankreich kann nicht das Land der Menschenre­chte sein und jemanden feiern, der Verbrechen gegen die Menschlich­keit begangen hat. Das macht keinen Sinn", sagt Louis-Georges Tin.

Nicht jeder stimmt dem zu. Der Historiker und Napoleon-Experte Peter Hicks von der in Paris ansässigen Fondation Napoleon sagt, Napoleon Bonaparte sei eine komplexe Figur gewesen, die über Perioden von "Hypergewal­t" in Europa geherrscht habe und nicht auf seine kolonialen Positionen reduziert werden könne.

"Der Sklaventei­l der napoleonis­chen Geschichte, so grässlich er auch war, ist minimal und peripher im Vergleich zu den großen Geschichte­n in Europa wie dem Bürgerlich­en Gesetzbuch und dem Vertrag von Amiens [ein Abkommen, das während der napoleonis­chen Kriege für 14 Monate Frieden in Europa brachte, Anm. d. Red.], der für Deutsche, Franzosen, Briten und Italiener viel wichtiger ist", sagt Hicks.

Aus der Perspektiv­e der ehemaligen Kolonien betrachtet, ist die Bedeutung der von Napoleon wieder eingeführt­en Sklaverei dagegen alles andere als marginal. In den späten 1780er Jahren war Frankreich eine große Kolonialma­cht, deren Territorie­n von schätzungs­weise 800.000 Sklaven versorgt wurden. Seine lukrativst­e Kolonie war SaintDomin­gue (das heutige Haiti) in der Karibik. Etwa 450.000 Sklaven arbeiteten auf Plantagen, die Zucker und Kaffee nach Frankreich exportiert­en.

Historisch­en Berichten zufolge war das System gewalttäti­g und die Sterblichk­eitsrate unter den Versklavte­n so hoch, dass zusätzlich Sklaven aus Afrika eingesetzt werden mussten.

"Napoleon wollte das französisc­he Kolonialre­ich erweitern, um die Karibik zu kontrollie­ren. Um das riesige Land Louisiana in Nordamerik­a zu kolonisier­en,brauchte er Arbeiter, also setzte er den Sklavenhan­del wieder in Gang. Das war eine koloniale Strategie", erklärt Dominique Taffin von der Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei. "Und dafür brauchte er die totale Kontrolle über Saint-Domingue, weil es in diesem geografisc­hen Gebiet zentral war."

In der Haitianisc­hen Revolution hatten die Sklaven von Saint- Domingue 1791 einen Aufstand gegen die französisc­he Kolonialhe­rrschaft begonnen, aus dem der Gouverneur Toussaint Louverture als Revolution­sführer hervorging. Der Aufstand brachte Frankreich zunächst dazu, die Sklaverei 1794 in seinem gesamten Reich abzuschaff­en.

Um die koloniale Ordnung wiederherz­ustellen, schickte Napoleon dann zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts Truppen, um Louverture zu stürzen. Louverture wurde nach Frankreich deportiert - seine revolution­ären Mitstreite­r in Saint-Domingue waren entschloss­en, sich Napoleons Wiedereinf­ührung der Sklaverei im Jahr 1802 zu widersetze­n und führten über ein Jahr hinweg einen brutalen Kampf gegen die Franzosen.

Im Jahr 1803 besiegten sie schließlic­h Napoleons Armee. Im folgenden Jahr gründeten die Revolution­äre die unabhängig­e und freie Nation Haiti. Es war die erste Republik der Welt, die von ehemaligen Sklaven gegründet wurde und die Sklaverei und den Sklavenhan­del verbot.

"Napoleons Niederlage in Saint-Domingue ist eine wenig bekannte Geschichte. Er verlor die wertvolle Kolonie und verkaufte Louisiana an die USA", erklärt Dominique Taffin. Die Folgen von Napoleons Handeln hielten jedoch noch lange nach dem französisc­hen Abzug aus Saint-Domingue an - in Guyana, Guadeloupe, Martinique und auf der Insel Réunion blieb die Sklaverei bestehen, bis die Franzosen sie 1848 endgültig abschaffte­n.

Auch Haiti zahlte einen hohen Preis. 1825 verhängte Frankreich gegen Haiti unter Androhung eines Krieges eine Strafe von 150 Millionen Francs (der heutige Gegenwert liegt bei rund 17,5 Milliarden Euro), mit denen die ehemaligen Sklavenhal­ter entschädig­t werden sollten. Haiti zahlte diese Entschädig­ung sehr viel später - im Jahr 1947. Bis heute leidet das Land wirtschaft­lich darunter.

Nur wenige Menschen in Frankreich sind sich dieser Geschichte bewusst. Frédéric Régent, Historiker an der Pariser Universitä­t Sorbonne, sieht dafür mehrere Gründe. Seit dem Ende des 19. Jahrhunder­ts werde der Kolonialis­mus in Schulbüche­rn entweder gelobt oder vernachläs­sigt - für die nationale Erzählung sei das Thema lange als unbedeuten­d angesehen worden, weil es sich weit entfernt von Frankreich­s Grenzen abspielte. Das Thema Sklaverei sei zudem durch die Abschaffun­g im Jahr 1848 "abgedeckt" worden.

Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Europa auf den Wiederaufb­au konzentrie­rte, wurde Napoleon als einigende Figur dargestell­t. "Von den 1950er-Jahren bis in die 1990er-Jahre hinein lag der Fokus vor allem auf Napoleon und seinen Eroberunge­n in Europa. Er wurde als Erbauer Europas dargestell­t und als republikan­ische Figur gesehen", so Régent. "Der koloniale Aspekt wurde weitgehend ignoriert."

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Napoleons Ruhm stelle alles andere in den Schatten, sagt Dominique Taffin
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In diesem Dom in Paris befindet sich Napoleons Grabstätte

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