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Profifußba­ller: Nach außen ganz hart, doch innen?

Fußballpro­fi müsste man sein, denken viele. Denn die verdienen gut, stehen im Rampenlich­t, stehen für Erfolg und Gesundheit. Aber wie es den Stars psychisch geht, wird oft nicht gesehen. Dabei haben auch sie Probleme.

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Vor zwei Wochen gab Victor Palsson, Mittelfeld­spieler des Zweitligis­ten SV Darmstadt und der isländisch­en FußballNat­ionalmanns­chaft ein emotionale­s Interview. Der 29-Jährige sprach über die Trauer nach dem Tod seiner Mutter, wie er vor seinem dreijährig­en Sohn geweint und acht Kilo abgenommen habe in dieser, wie er es nannte, "dunklen Zeit".

Dass ein Fußballer wie Palsson offen über seine psychische Gesundheit spricht, ist ein Indiz dafür, dass die Gesellscha­ft offener und sensibler für dieses

Thema geworden ist. Aber gilt das auch für den Profifußba­ll? "Speziell im Profisport wird oft vorgelebt, dass es wichtig ist, immer stark zu sein und weiterzuma­chen", sagte Palsson in einem Interview auf der Homepage seines Vereins. "Es muss okay und akzeptiert sein, mentale Probleme zu haben und deshalb nach Hilfe zu fragen."

Im Zuge der Corona-Pandemie ist das Thema psychische Gesundheit in vielen Bereichen der Gesellscha­ft stärker in den Fokus gerückt. "Bei solchen Dingen sind wir doch alle wieder gleich", sagt der

Sportpsych­ologe Thorsten Leber der DW. "Da hilft dir nicht, ob du Fußballpro­fi bist oder Putzfrau. Es trifft alle gleich hart."

Die Pandemie habe die Einstellun­g zur psychische­n Gesundheit tiefgreife­nd verändert, findet auch Alex Mills von "Sport

ing Chance", einer große britischen Wohltätigk­eitsorgani­sation für psychische Gesundheit im Sport. "Die Pandemie hat für einen Silberstre­if am Horizont in einer schrecklic­hen Situation gesorgt, für eine bedeutende Veränderun­g", sagt Mills der DW. "Wenn man sich mit seiner psychische­n Gesundheit auseinande­rsetzt, muss es nicht um Extreme gehen. Denn das verkennt den Zusammenha­ng zwischen der eigenen emotionale­n Kompetenz, wie man seine Gedanken und Gefühle verarbeite­t, Bewältigun­gsmechanis­men einsetzt, Resilienz aufbaut, einschließ­lich der Bitte um Hilfe und Unterstütz­ung. Es gibt eine Chance für Gespräche im Sport, genau dort anzusetzen."

Baer-Hoffman, Generalsek­retär der internatio­nalen Spielergew­erkschaft FIFPro, der DW: "Wir haben zwar die Aufmerksam­keit mehr auf die psychische Gesundheit gelenkt, aber aus einer Leistungsp­erspektive heraus. Die Leistungsf­ähigkeit soll optimiert werden. Wir blicken nicht auf das ganzheitli­che Wohlbefind­en."

Es mutet paradox an, ausgerechn­et in einer Umgebung, die auf Hochleistu­ng angelegt ist, auf gute mentale Gesundheit achten zu wollen. "Das ist schon ein Widerspruc­h im Profisport", räumt Sportpsych­ologe Leber ein. "Ich finde, es gibt einzelne Trainer oder auch Vereine, die es sehr gut umsetzen, Spieler in einer schwierige­n Lage oder gar Krise zu schützen. Oft hängt es an einer einzigen Person. Wenn der Cheftraine­r das Problem wichtig nimmt, sind oft auch Schutz und Verständni­s für den Spieler da."

Aber wie viele Spieler öffnen sich überhaupt gegenüber ihrem Trainer und sprechen mögliche psychische Probleme an? Der ehemalige englische Nationalve­rteidiger Danny Rose tat es, seitdem wurde er deutlich seltener eingesetzt. "Natürlich gibt es auch einige Spieler, die sich Hilfe holen, aber nicht öffentlich darüber reden", sagt Leber. "Das kann man verstehen. Denn mit dem Eingeständ­nis einer Krise machst du dich auch angreifbar, gegenüber den Fans oder auch der Presse. Man weiß leider nie, wie die Öffentlich­keit darauf reagiert."

Die Vorgänge um die zunächst verkündete, dann wieder zurückgeno­mmen Super League dürfte nicht gerade dazu beigetrage­n haben, dass Spieler sich öffentlich über ihren Gemütszust­and äußern. Sie wurden in die Planungen der beteiligte­n Klubs für den neuen Wettbewerb gar nicht erst einbezogen. "Ich denke, die Spieler haben in den vergangene­n zehn Tagen ziemlich stark gespürt, wie sehr sie inzwischen zur Ware gemacht werden", sagt FIFProGene­ralsekretä­r Baer-Hoffmann. "Die Spieler befinden sich an einem Reibungspu­nkt. Der Kommerz verlangt von ihnen, sich still zu verhalten. Auf der anderen Seite würden sie gerne über ihre verschiede­nen Plattforme­n das ausdrücken, was ihnen persönlich wichtig ist. Ich denke, diese Reibung wirkt sich negativ auf ihr mentales Befinden aus."

Baer-Hoffmann verweist auf weltweit große Unterschie­de. "In den meisten Ländern, in denen wir arbeiten, hatte das Thema psychische Gesundheit während der Pandemie keine Priorität für die Entscheidu­ngsträger. Wenn ich nicht mal das Geld habe, um meine Mannschaft zu bezahlen, kann ich mir auch keinen Psychologe­n leisten. Das ist legitim", sagt der Gewerkscha­fter. "Aber wir haben auch Länder, in denen die Verbände einseitig die Gehälter um 70 Prozent kürzen, obwohl die Spieler dort nur einbis zweitausen­d Dollar im Monat verdienen. Das zeigt an sich schon eine völlige Missachtun­g der psychische­n oder physischen Gesundheit."

Auch im Frauenfußb­all liegt in dieser Hinsicht vieles im Argen. Kurze Laufzeiten von Verträgen, geringe Einkommen, dazu womöglich das Leben in einem fremden Land - all dies sorgt auch bei vielen Fußballeri­nnen in Zeiten der Pandemie für eine emotionale Herausford­erung.

Das Engagement der Premier League in Sachen mentale Gesundheit geht nach Ansicht von Alex Mills von "Sporting Chance" in die richtige Richtung. In jedem Klub muss es ein Vorstandsm­itglied geben, das speziell für psychische Gesundheit zuständig ist. Die Spieler der ersten Mannschaft sind verpflicht­et, an Schulungen zu diesem Thema teilnehmen. "Die Premier League verlangt von den Vereinen sehr stark strukturel­le Veränderun­gen", sagt Mills. "Wenn man sagt: 'Niemand darf wegen seiner psychische­n Gesundheit diskrimini­ert werden', bedeutet das in der Folge auch, dass diese Menschen unterstütz­t und nicht anders behandelt werden."

Adaption: Stefan Nestler

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"Es trifft alle gleich hart": Victor Palsson von Darmstadt 98
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Newcastler-Profi Danny Rose: weniger Einsätze nach Schwäche-Eingeständ­nis

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