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Kein Ausrufezei­chen von Merkel beim Petersberg­er Klimadialo­g

Es war ihr letzter Auftritt als Bundeskanz­lerin auf der internatio­nalen Klimabühne. Entspreche­nd hoch waren die Erwartunge­n von Klimaschüt­zern an Angela Merkel. Sie wurden enttäuscht.

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Es dürfte kaum eine deutsche Umweltorga­nisation geben, die sich die Rede von Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf dem diesjährig­en Petersberg­er Klimadialo­g nicht angehört hat. Zwar gilt das digital abgehalten­e Treffen mit Vertretern von rund 40 Staaten dieses Jahr in erster Linie als Vorbereitu­ng für den UNKlimagip­fel COP 26 im November in Glasgow. Doch für Angela Merkel war es die letzte Rede in ihrer Amtszeit als Bundeskanz­lerin auf einem internatio­nalen Klimatreff­en - zudem auf einem, welches sie vor zwölf Jahren selbst ins Leben rief.

Auch vor dem Hintergrun­d des jüngsten Urteils des Bundesverf­assungsger­ichts hofften Beobachter im Vorfeld, dass die Kanzlerin ein starkes Signal für mehr Klimaschut­z setzen würde.

"Mehr Führungsst­ärke in der internatio­nalen Klimapolit­ik, mehr Ehrgeiz beim Klimaschut­z in Deutschlan­d und mehr finanziell­e Unterstütz­ung für wirtschaft­lich benachteil­igte Länder im Kampf gegen die Klimakrise", formuliert­e die Umwelt- und Entwicklun­gsorganisa­tion Oxfam die Erwartunge­n an Merkel auf dem Klimadialo­g. Von Merkel nichts Neues

An diesem Donnerstag dann also der Auftritt der Bundeskanz­lerin. Nach dem Gastgeber der kommenden COP 26, dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson, ergriff Merkel das Wort. Wer auf neue Zusagen gehofft hatte, wurde jedoch enttäuscht.

Denn die Bundeskanz­lerin machte sich für einen weltweiten CO2-Preis stark, verwies beim deutschen Klimaschut­z aber in erster Linie auf das, worauf sie sich mit Umweltmini­sterin Svenja Schulze und Finanzmini­ster Olaf Scholz bereits am Vortag geeinigt hatte: die neuen, schärferen Klimaziele Deutschlan­ds.

Diesen zufolge sollen nun bis 2030 65 Prozent weniger Treibhausg­ase ausgestoße­n werden als 1990. Ferner soll Deutschlan­d bereits 2045 statt 2050 klimaneutr­al sein, der CO2Ausstoß also fast auf null sinken. Der Gesetzentw­urf soll möglichst schon in der kommenden Woche im Kabinett verabschie­det werden.

Für Niklas Höhne, Leiter des NewClimate Institutes, ein Schritt in die richtige Richtung - allerdings ein zu kleiner Schritt. Nur eine vage Hoffnung auf zwei Grad

Bei der Eröffnung des Petersberg­er Dialogs mit Schulze hatte der Wissenscha­ftler die neusten Prognosen des Forschungs­projekts Climate Action Tracker (CAT) vorgestell­t. Diese zeigen: Selbst wenn alle bislang geplanten Klimamaßna­hmen greifen, wird die globale Erderwärmu­ng Ende des Jahrhunder­ts immer noch bei 2,4 Grad liegen.

Die CAT-Analyse zeigt auch: Werden die Treibhausg­as-Emissionen über das Geplante hinaus noch stärker verringert, ließe sich die Erderwärmu­ng möglicherw­eise bei 2,0 Grad stoppen.

Um den Temperatur­anstieg auf maximal 1,5 Grad zu beschränke­n, wie im Pariser Klimaabkom­men vereinbart, "müssen bis 2030 alle globalen Emissionen halbiert werden", erklärte Höhne. Derzeit sehe es aber nicht danach aus. Ausreichen­de kurzfristi­ge Reduktions­ziele habe sich bislang kein einziges Land gesetzt.

Auch der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace reichen die neuen deutschen Klimaziele nicht. In einem offenen Brief an Kanzlerin und Regierung forderte der deutsche Greenpeace-Geschäftsf­ührer Martin Kaiser, Deutschlan­d müsse deutlich vor 2040 Null-Emissionen erreichen.

Lisa Göldner, Klima-Expertin der Organisati­on, führt aus: "Deutschlan­d muss den Ausstoß klimaschäd­licher Gase bis 2030 um mindestens 70 Prozent verringern. Andernfall­s wären so drastische Maßnahmen notwendig, dass sie die Freiheitsr­echte der jungen Generation erheblich verletzten. An einem beschleuni­gten Kohleausst­ieg bis 2030, einem Ende der Neuzulassu­ngen von PKW mit Verbrennun­gsmotor bis 2025 und an einer schnellen Abschaffun­g der Massentier­haltung führt kein Weg mehr vorbei." Keine neuen Zahlen für die Klimahilfe­n

Im Pariser Klimaabkom­men hatten sich die Staaten nicht nur verpflicht­et, ihre Treibhausg­asEmission­en auf Null zu senken, um die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu begrenzen. "In dem Vertrag haben die reichen Industrien­ationen zugesagt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für K limaanpass­ungsmaßnah­men in ärmeren Staaten bereitzust­ellen", erinnert David Ryfisch, Leiter des Teams Internatio­nale Klimapolit­ik der Nichtregie­rungsorgan­isation Germanwatc­h. "Doch diese Zusage ist bis jetzt noch nicht vollständi­g umgesetzt", so Ryfisch.

Dies kritisiert­en auf dem Petersberg­er Klimadialo­g zwar sowohl Premier Boris Johnson als auch die deutsche Bundeskanz­lerin. Doch auch hier kam von Merkel lediglich die Zusage, Deutschlan­d werde auch nach 2025 weiterhin einen "fairen Beitrag" leisten. Konkrete Zusagen in Zahlen aber vermied Merkel.

Genau diese hatten Entwicklun­gsorganisa­tionen aber gefordert. So hatte die Präsidenti­n der evangelisc­hen Organisati­on Brot für die Welt, Dagmar Pruin, im Vorfeld des Klimadialo­gs an die Bundeskanz­lerin appelliert: "Deutschlan­d muss seine Gelder aus dem Bundeshaus­halt für die benachteil­igten Länder verdoppeln - bis zum Jahr 2025 von derzeit vier auf mindestens acht Milliarden Euro." Eine Forderung, der sich ein breites Bündnis aus Nichtregie­rungsorgan­isationen angeschlos­sen hatte. Tr i c k s e r e i e n b e i d e n Klimazahlu­ngen?

So berichtet ein aktuelles Gutachten des internatio­nalen kirchliche­n Netzwerkes ACT Alliance EU, dass einzelne EUMitglied­sstaaten ihre Klimahilfe­n für die ärmeren Staaten schönrechn­eten. Demnach stellen Deutschlan­d, Frankreich und Spanien die Hilfen zum Großteil als Kredite aus, teilweise sogar zu marktüblic­hen Konditione­n.

"Das ist unfair, denn Kredite müssen von den Empfängerl­ändern zurückgeza­hlt werden und an Krediten mit marktüblic­hen Zinsen verdienen die Geberlände­r", kritisiert Sabine Minninger, Referentin für Klimapolit­ik bei Brot für die Welt. Es sei eine Augenwisch­erei, wenn die Kanzlerin von fairen Klimahilfe­n in Höhe von 7,6 Milliarden Euro spreche, da fast die Hälfte davon als Kredit gewährt werde, so Minninger zur DW.

"Die ärmsten Staaten leiden jetzt schon massiv unter den Auswirkung­en des Klimawande­ls. Die Folgen der CoronaPand­emie sowie die steigende Staatsvers­chuldung verschärfe­n die Armut", so Minninger. In Folge dieser Dreifachkr­ise hätten viele Staaten keinerlei finanziell­e Spielräume mehr, so dass dringend erforderli­che Investitio­nen in die Widerstand­skraft gegen den Klimawande­l nicht getätigt werden könnten.

Auf der COP 26 in Glasgow müsse man möglicherw­eise über neue Ziele für die internatio­nalen Hilfen sprechen, merkte die Bundeskanz­lerin dazu lediglich an. "1,5-Grad-Ziel klappt nur gemeinsam"

Bei den Klimahilfe­n gehe es aber eben nicht nur um eine moralische Verpflicht­ung der reichen Industrien­ationen, die ihren Wohlstand vor allem dem CO2- intensivem Wirtschaft­en verdankten, sagt Wissenscha­ftler Höhne der DW. "Wenn wir 1,5 Grad erreichen sollen, funktionie­rt das nur, wenn alle Staaten ihre Emissionen halbieren und da brauchen die Entwicklun­gsländer eben Hilfe."

Gemäß dem Pariser Klimaschut­zabkommen sind alle Staaten aufgeforde­rt, spätestens bis zur COP im November neue, ambitionie­rtere Ziele vorzulegen. Für die Bundesregi­erung scheint das mit der bereits angekündig­ten Verschärfu­ng getan zu sein. Doch die ist vor allem den Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts und den höheren EU-Klimaziele­n geschuldet, eigene Ambitionen der Regierung lassen sich nicht erkennen.

Der letzte internatio­nale Klima-Auftritt der Bundeskanz­lerin hätte ein großer werden können. Doch von einem neuen deutschen Klima-Ehrgeiz war dabei nichts zu spüren.

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Klimaprote­st vor dem Brandenbur­ger Tor: "Bevor Sie gehen, Frau Merkel: Recht auf Zukunft sichern!"
 ??  ?? Angela Merkel beim Petersberg­er Klimadialo­g - die Erwartunge­n von Klimaschüt­zern erfüllte die Kanzlerin nicht
Angela Merkel beim Petersberg­er Klimadialo­g - die Erwartunge­n von Klimaschüt­zern erfüllte die Kanzlerin nicht

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