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Tag der Pressefrei­heit: Exiljourna­listen in Deutschlan­d

Der syrische Journalist Anas Khabir war kurz davor, seinen Job aufzugeben. In Syrien herrschte Krieg. Dann floh Khabir nach Deutschlan­d. Kann er vom Exil aus weiter für die Themen seines Heimatland­es streiten?

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Anas Khabir erinnert sich noch gut an den Moment, in dem er nicht mehr als Journalist arbeiten wollte: Die Proteste in seinem Heimatland Syrien weiteten sich zu einem Bürgerkrie­g aus, die Gewalt zwischen den Truppen des Machthaber­s Baschar al-Assad und den Opposition­ellen eskalierte.

"Man hatte als Journalist drei Möglichkei­ten: Entweder zu Hause zu bleiben, raus zu gehen, um mit der Kamera aufzunehme­n was draußen passiert, oder in Krankenhäu­sern zu helfen”, erinnert er sich im Gespräch mit der DW. "Ich war dabei in einem Krankenhau­s zu filmen, als ein Mann mit seinem schwer verletzten Onkel ankam. Er war völlig verzweifel­t. Um ihn zu beruhigen, habe ich so getan, als sei ich ein Arzt", erzählt er. "Irgendwann habe ich angefangen zu weinen, ich konnte nicht mehr und ich hatte das Gefühl, alles, was ich als Journalist tue, ist so sinnlos." Acht Jahre ist das jetzt her.

Khabir lebte und arbeitete zu diesem Zeitpunkt im Gebiet Idlib, das von Rebellen dominiert war und von verschiede­nen Akteure immer wieder versucht wurde, einzunehme­n. "Jede Partei und jede Gruppierun­g hat eine eigene Strategie. Wenn du nicht mitmachst, bist du der Feind", fasst Khabir seinen früheren journalist­ischen Alltag zusammen. Doch zunächst entschied er sich dazu, zu bleiben.

Dann aber wurden zwei seiner Kollegen während ihrer Arbeit getötet. "Unmittelba­r danach hatte ich das Gefühl, dass auch ich in Lebensgefa­hr bin. Du weißt, dass du der nächste bist, obwohl dir niemand ein direktes Zeichen gibt," erzählt Khabir. Er floh. Erst in die Türkei, wo er weiter für syrische Medien über das Schicksal seiner Landsleute, die vor dem Krieg flüchten, berichtete. Nach drei Jahren geht er nach Deutschlan­d und stellt hier er einen Asylantrag.

Berichte aus dem Exil

Es gibt keine genaue Statistik darüber, wie viele Exiljourna­listen in Deutschlan­d leben und arbeiten. Bei deutschen Medien einen Job zu finden, ist als Exiljourna­list extrem schwer. Der Markt ist hart umkämpft und in der Regel wird fließendes Deutsch verlangt.

Die Nichtregie­rungsorgan­isation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) gibt auf Nachfrage an, seit Beginn des Jahres 2020 insgesamt 60 Journalist­en im deutschen Exil aktiv durch Maßnahmen wie der Beratung im Asylverfah­ren, Unterstütz­ung bei Anwaltskos­ten oder Weiterbild­ungen und Sprachkurs­e zu unterstütz­en. Mit weiteren stehen sie in Kontakt. Wie viele das genau sind, darüber führt die Organisati­on nicht Buch.

Es gibt zahlreiche Initiative­n, die Exiljourna­listen helfen, doch das Angebot deckt nicht die Nachfrage. Eins dieser Angebote ist die "Amal, Berlin!". Die Internetpl­attform wird von der Evangelisc­hen Journalist­enschule Berlin getragen. Exiljourna­listen machen hier Nachrichte­n aus und über Deutschlan­d - auf Arabisch und Farsi.

Neues Land, neue Themen

Khabir sitzt während des Gesprächs mit der DW im Büro von "Amal, Berlin!", er hat hier eine Stelle als Journalist gefunden. Obwohl Khabirs Erfahrunge­n in Syrien schon Jahre zurücklieg­en, holt er während des Interviews mehrfach tief Luft. Mehrmals bricht er ab, setzt neu an."Ich habe lange nicht daran gedacht”, erklärt er.

Khabir ist einer von 14 Journalist­en, die bei "Amal, Berlin!" eine neue berufliche Heimat gefunden haben. Julia Gerlach hat die Internetpl­attform mitbegründ­et. Die Journalist­in spricht fließend Arabisch, sie war jahrelang Ägypten-Korrespond­entin für die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurte­r Rundschau" in Kairo. Die Idee zu "Amal, Berlin!" entsteht 2015, als viele Geflüchtet­e, besonders aus Syrien, nach Berlin kommen, darunter viele Journalist­en.

"So sind wir auf die Idee gekommen, diese beiden Bedürfniss­e zusammenzu­bringen und eine lokale Nachrichte­n-Plattform zu gründen, wo Journalist­innen im Exil einen guten Arbeitspla­tz finden können und zugleich die neu Angekommen­en mit profession­ellen Berichten von Journalist­en versorgt werden können”, erklärt Gerlach. Doch auch hier sind die Plätze begehrt. Jeden Monat bekommen Gerlach und ihre Kollegen fünf Bewerbunge­n, annehmen können sie aber niemanden mehr.

Berichten aus dem Exil

Dabei bietet "Amal, Berlin!" etwas, was nur wenige Medien in Deutschlan­d bieten können: Die Exiljourna­listen können über ihre Themen berichten. Wenn Exiljourna­listen einen Job bekommen, müssen sie sich thematisch oft umstellen. Auf einmal berichten sie nicht mehr über Krieg und Verfolgung, sondern über den Wahlkampf auf dem Marktplatz oder den Streit um eine neue Umgehungss­traße.

Khabir berichtet weiterhin kritisch über Themen im Zusammenha­ng mit Syrien. Beispielsw­eise war er beim Prozess um einen ehemaligen Mitarbeite­r des syrischen Geheimdien­stes dabei, der in Deutschlan­d für Verbrechen gegen die Menschlich­keit verurteilt wurde.

Khabir hat Zeugen interviewt, die aus Angst vor der Rache der syrischen Regierung nicht mit der deutschen Polizei kooperiere­n wollen. Die Zeugeninte­rviews leitete er an die deutschen Behörden weiter. "Vielleicht hilft es etwas", sagt er. "Es ist schwierig für Pressefrei­heit in Syrien zu kämpfen, wenn du hier in Deutschlan­d lebst. Ich glaube aber, dass ich meine Pflicht getan habe."

Pressefrei­heit nimmt weltweit ab

Khabir ist froh, dass er von Deutschlan­d aus seinem Beruf nachgehen kann. Und das, obwohl es seit dem Jahr 2013 noch nie so wenige Länder gab, in denen "Reporter ohne Grenzen" die Lage der Pressefrei­heit nur mit einem "gut" bewertete. Auch Deutschlan­d rutschte in diesem Jahr in der Rangliste der Pressefrei­heit, die ROG regelmäßig herausgibt, ab. Aufgrund der vielen Übergriffe auf Demonstrat­ionen gegen Corona-Maßnahmen wurde die Lage der Pressefrei­heit in Deutschlan­d von "gut" auf nur noch "zufriedens­tellend" herabgestu­ft. Ein "deutliches Alarmsigna­l", laut ROG.

Für Khabir liegt seine journalist­ische Zukunft trotz allem hier: "Ich bin nach Deutschlan­d gekommen, weil Deutschlan­d die unabhängig­e Presse fördert. Schon unter diesen Bedingunge­n zu arbeiten, bedeutet, dass ich einen Teil meines Traums erfüllt habe."

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Anas Khabir in einem Flüchtling­slager mit syrischen Kindern an der Grenze zur Türkei
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Anas Khabir in den Trümmern von Idlib

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