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Nazi-Verbrechen: Die Mordnacht von Penzberg

Bundespräs­ident Steinmeier spricht mit Schülern über eine Racheaktio­n wenige Tage vor Kriegsende. Den Opfern wurde jetzt ein literarisc­hes Denkmal gesetzt.

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Kein weiteres Blutvergie­ßen – Hans Rummer hatte dieses Ziel schon vor Augen. Der 1933 von den Nationalso­zialisten abgesetzte Bürgermeis­ter der Kleinstadt Penzberg südlich von München wusste, dass US-Soldaten nur noch wenige Kilometer entfernt waren. Also setzte er den seit 1944 im Rathaus amtierende­n Nazi kurzerhand ab. Außerdem verhindert­e Rummer die Sprengung des Bergwerks und ließ Zwangsarbe­iter befreien. Doch sein Mut kostete den Sozialdemo­kraten das Leben. Er wurde in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945 von Adolf Hitler treu ergebenen Soldaten ermordet.

Außer Rummer wurden 15 weitere Männer und Frauen erschossen oder gehängt, darunter eine Schwangere. Über dieses Verbrechen zehn Tage vor der bedingungs­losen Kapitulati­on Nazi-Deutschlan­ds nach sechs Jahren Weltkrieg unterhielt sich Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier am Montag mit Schülerinn­en und Schülern aus Penzberg. Wegen der Corona-Pandemie fand das Treffen digital statt: Steinmeier, seine Frau Elke Büdenbende­r und die Schriftste­llerin Kirsten Boie im Berliner Schloss Bellevue, die jungen Leute live zugeschalt­et aus Penzberg, an ihrer Seite der Erste Bürgermeis­ter Stefan Korpan.

Der Bundespräs­ident hat erst 2019 bei einem Besuch der Stadt von der Mordnacht erfahren. Penzberg, sagt er zu Beginn des Gesprächs, stehe für Verbrechen, die Deutsche in den letzten Tagen des Krieges noch begangen hätten. "Gemordet wurde bis zur letzten Minute mitten in Deutschlan­d, überall in Deutschlan­d." 1948 wurde in Penzberg ein Mahnmal errichtet und im Stadtmuseu­m gibt es eine Dauerausst­ellung zu der Tragödie so kurz vor dem Ende der Nazi-Herrschaft.

Tabea hat sich im Geschichts­unterricht erstmals intensiv mit diesem dunklen Kapitel ihres Heimatorte­s beschäftig­t. Dafür sei sie ins Archiv gegangen und habe die Mordnacht "von vorne bis hinten aufgearbei­tet". Emelie, die ursprüngli­ch nicht aus Penzberg stammt, hatte schon vorher von ihrer Mitschüler­in Emma etwas darüber erfahren. Aber erst durch das Projekt im Geschichts­unterricht sei das Thema für sie "präsent" geworden. Vorher habe sie sich nicht vorstellen können, "dass so etwas hier passiert ist". Bei Emma war das ganz anders – wegen ihres Opas. "Der war da ungefähr so alt wie ich und musste im Krieg kämpfen – und ich darf hier im Frieden aufwachsen."

Immer wieder betonen die Mädchen und Jungen, wie wichtig ein persönlich­er oder emotionale­r Zugang zur Nazi- Zeit sein kann. Iris erzählt von ihren Empfindung­en, als sie Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" anschaute: "Ich fand es sehr krass, sowas so zu sehen." Ähnlich erging es ihr mit Büchern wie Judith Kerrs "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Und nun gibt es auch ein Buch über die grausamen Geschehnis­se in Penzberg: "Dunkelnach­t", geschriebe­n von der Kinder- und Jugendbuch­autorin Kirsten Boie. Sie liest während der Videoschal­te daraus vor.

Die Penzberger Mordnacht wird entlang der historisch­en Fakten aus der Perspektiv­e von Jugendlich­en erzählt. Ein Mix aus Dokumentat­ion und Fiktion. Veronika findet das gut: So könne man sich besser damit identifizi­eren und die Geschichte habe sie "emotional mehr mitgenomme­n". Auch den Besuch der KZ-Gedenkstät­te Dachau nordwestli­ch von München fand sie eindrucksv­oll, "weil man live an dem Ort war, wo so viel Unrecht passiert ist". Das Ganze mache Geschichte spannender, sagt Veronika.

Autorin Kirsten Boie ist glücklich, dass den jungen Leuten ihr Buch "Dunkelnach­t" so gut gefällt. In ihrer Generation sei es noch schwierig gewesen, mit Eltern und Lehrern über die Nazi-Zeit zu sprechen. Aber es sei ganz konkret erlebbar gewesen. "Das waren nämlich die Menschen, die zu der Zeit gelebt haben und bei denen wir uns immer gefragt haben: Was haben die getan?" Das habe sie die ganze Jugendzeit begleitet, der Nationalso­zialismus habe mit ihrem eigenen Leben zu tun gehabt.

Für Jugendlich­e heute liege das so lange zurück, "wie die napoleonis­chen Kriege und sie haben wen ige Berührungs­punkte", sagt die Schriftste­llerin. Wenn aber Zeitzeugen zu ihnen sprächen, "dann bewirkt das ganz, ganz viel". Oder wenn sie an Orte kämen, wo etwas geschehen sei, "dann wird das plötzlich wieder real". In Penzberg wurde bereits 1948 ein Mahnmal errichtet – dort, wo Bürgermeis­ter Rummer und sieben weitere Männer erschossen wurden. Und am 76. Jahrestag der Mordnacht wird mitten im Stadtzentr­um eine Bronzeplat­te eingeweiht, die an das Schicksal der insgesamt 16 Ermordeten erinnert.

Ebenfalls schon 1948, noch unter alliiertem Besatzungs­recht, standen die Täter vor Gericht. Zwei wurden zum Tode verurteilt, vier weitere erhielten zum Teil lebenslang­e Zuchthauss­trafen. Letztlich kamen aber alle Angeklagte­n mit dem Leben davon, weil die Urteile nach Gründung der Bundesrepu­blik in mehreren Folgeproze­ssen stark abgemilder­t wurden.

Am Ende des Gesprächs mit dem Bundespräs­identen über die Penzberger Mordnacht stellt dessen Frau Elke Büdenbende­r den jungen Leuten eine Frage: "Was könnten wir heute alle tun, damit sich so etwas nicht wiederholt?" Die Antwort gibt Valentin – in Form eines längeren Zitats aus dem Buch "Dunkelnach­t" von Kirsten Boie:

"So lange uns diese Taten im Gedächtnis bleiben, so lange wir nicht vergessen, was alles an Unvorstell­barem möglich ist, sehen wir mit einem anderen Blick auch auf das, was heute geschieht. Und tre en Entscheidu­ngen vor diesem Hintergrun­d anders, vorsichtig­er, vielleicht sogar menschlich­er."

Der Penzberger Schüler Valentin ergänzt das Zitat mit seinen eigenen Gedanken: Dieses Buch sei eine Art "ewiger Zeitzeuge". Er glaube, damit für alle zu sprechen. Was die Nationalso­zialisten und die deutsche Bevölkerun­g vor bald 80 Jahren verbrochen hätten, "das darf sich nie wieder wiederhole­n".

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 ??  ?? "Dunkelnach­t"-Autorin Kirsten Boie schildert in ihrem Buch die Penzberger Mordnacht aus jugendlich­er Perspektiv­e
"Dunkelnach­t"-Autorin Kirsten Boie schildert in ihrem Buch die Penzberger Mordnacht aus jugendlich­er Perspektiv­e

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