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Corona: Wann kommt die Impfung für alle?

Es hat lange gedauert, doch nun nimmt das Impfen in Deutschlan­d Fahrt auf. Über 22 Prozent der Bevölkerun­g hat ihre erste Impfdosis erhalten. Dennoch gibt es Probleme - vor allem mit dem Impfstoff von AstraZenec­a.

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Die Geschichte des CoronaImpf­stoffs AstraZenec­a hat in Deutschlan­d schon mehrere Kapitel. Zunächst galt er als guter Impfstoff für Jüngere. Dann folgte eine Impfpause, weil es Todesfälle nach der Impfung gegeben hatte. Danach hieß es von Seiten der Ständigen Impfkommis­sion, einer 18köpfigen Expertengr­uppe: der Impfstoff sei hauptsächl­ich für Leute über 60 Jahre geeignet.

Jetzt schlagen einige Bundesländ­er - bislang Bayern, Berlin, Sachsen und Mecklenbur­g-Vorpommern - einen ganz neuen Weg ein: AstraZenec­a darf nun in den Bundesländ­ern an alle über 18Jährigen, die das wollen und nach einer verpflicht­enden ärztlichen Beratung, verimpft werden.

Damit weichen die Bundesländ­er von der in Deutschlan­d geltenden Impf-Priorisier­ung ab. Die sieht eine streng vorgegeben­e Impfreihen­folge und definierte Prioritäte­ngruppen vor. Die Priorisier­ung war insbesonde­re zum Schutz der am stärksten Gefährdete­n, also vor allem den Älteren, von der Ständigen Impfkommis­sion, dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina skizziert worden. Dass überhaupt priorisier­t wird, hängt damit zusammen, dass in Deutschlan­d noch immer nicht genügend Impfstoff zur Verfügung steht.

AstraZenec­a ist gerade ein Ladenhüter

Das Paradoxe dabei: Trotz zu wenig Impfstoff bleiben Dosen liegen - weil viele sich nicht mit AstraZenec­a impfen lassen wollen. Das teilte beispielsw­eise das Gesundheit­sministeri­um in Mecklenbur­g-Vorpommern mit. Deshalb die Aufhebung der Priorisier­ung: Impfstoff dürfe nicht ungenutzt liegen bleiben.

Bundesweit seien es einige

Hunderttau­send ungenutzte­r AstraZenec­a- Dosen, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn auf einer Pressekonf­erenz. Wie viele Menschen eine Impfung ablehnten, dazu konnte Spahn keine Auskunft geben.

Ein Thrombose- Fall auf 100.000 Impfungen

Hintergrun­d der Skepsis gegenüber AstraZenec­a dürfte sein, dass es auch in Deutschlan­d zu Todesfälle­n nach einer Impfung kam. Zwölf Menschen starben an Hirnthromb­osen, heißt es beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das in Deutschlan­d für die Zulassung von Impfstoffe­n zuständig ist. Alle Verstorben­en seien im Februar/ März geimpft worden. Bis Mitte April wurden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) mehr als 4,2 Millionen Erstdosen und etwas über 4000 Zweitdosen des Impfstoffs von AstraZenec­a verabreich­t.

Die Gefahr einer Hirnthromb­ose bezifferte der PEIChef, Klaus Cichutek, bei einer Pressekonf­erenz mit 1:100.000. Den Impfstoff nun für weitere Altersgrup­pen zu öffnen, nannte Cichutek eine "sehr vernünftig­e Maßnahme".

Andere Staaten reagierten auf die Thrombose-Fälle anders als Deutschlan­d: Das Nachbarlan­d Dänemark hat die Impfung mit AstraZenec­a ganz eingestell­t. 55.000 Impfdosen gingen daraufhin leihweise ins nördliche Bundesland SchleswigH­olstein.

Schwierige Planung vor Ort

Das bevölkerun­gsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen, hat sich gegen eine Aufhebung der Impf-Priorisier­ung entschiede­n. Demnach gebe noch genügend Menschen über 60, die sich gern mit AstraZenec­a impfen lassen würden. Niedersach­sen und Baden-Württember­g lehnen eine Freigabe momentan ebenfalls ab.

Anders in Berlin: Hier ist der Impfstoff nun freigegebe­n. Auch in der Hauptstadt liegen Medienberi­chten zufolge zigtausend­e Dosen auf Halde. Doch vor Ort, in den Praxen, gibt es Organisati­onsschwier­igkeiten. Die Hausarztpr­axen dürfen erst seit wenigen Woche ihre Patienten impfen. Vorher war das allein den Impfzentre­n vorbehalte­n.

"In der ersten Woche wurden 48 Dosen versproche­n, das ist dann in der darauffolg­enden Woche auf die Hälfte runter gekürzt worden. Und es war eine Mischung aus AstraZenec­a und Biontech", erzählt Sybille

Katzenstei­n, die ihre Praxis in Berlin-Kreuzberg hat. Schließlic­h sei zwar mehr Impfstoff eingetroff­en, 250 Dosen, doch die seien auch verimpft worden. Für die Zweit-Impfung fehlten aber bis jetzt klare Informatio­nen. "Es ist immer eine Überraschu­ng für Apotheker und Ärzte, was in der nächsten Woche passiert", sagt Katzenstei­n. Das erschwere, wann sie Patienten für ihre Impfung einplanen könne.

Schwierigk­eiten vermeldet auch das Bundesland Sachsen, das AstraZenec­a ebenfalls freigegebe­n hat. Das werde wohl so schnell mit "AstraZenca für alle" nichts werden, heißt es von der dortigen Kassenärzt­lichen Vereinigun­g. Zunächst erhielten die Praxen nämlich gar kein neues AstraZenec­a mehr, sondern nur Impfstoff von Biontech. Allerdings könnten nun immerhin die Dosen auf Halde weggeimpft werden.

Impfen für alle ab Juni?

T ro t z d e r Organisati­onsschwier­igkeiten zeichnet sich ab, dass bald auch alle anderen Bundesländ­er nachziehen und die Priorisier­ung in absehbarer Zeit aufgeben könnten. Denn: Im zweiten Quartal kann Deutschlan­d laut Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn auf 80 Millionen Impfdosen hoffen, davon allein 50 Millionen von Biontech. Das bedeutet: Ab Juni könnte so viel Impfstoff vorhanden sein, dass die Priorisier­ung ganz aufgegeben werden könne. Vorausgese­tzt, es werde in vollem Umfang und pünktlich geliefert, betont Spahn. Das hieße aber nicht, "dass wir innerhalb einer Woche gleich jedem einen Termin machen".

Für den deutschen Hausärztev­erband kommt das zu spät. Das sei "eine niederschm­etternde Nachricht für alle, die gehofft hatten, schneller aus der Pandemie herauszuko­mmen", sagte der Vize-Vorsitzend­e, Berthold Dietsche den Zeitungen der "Funke Mediengrup­pe". Wäre frühzeitig und vor allem in größeren Mengen Impfstoff bestellt worden, dann hätte Deutschlan­d das "Schneckent­empo beim Impfen" längst hinter sich gelassen. Denn sobald genug Impfstoff vorhanden sei, erledige sich eine Priorisier­ung ohnehin.

Vom Ethikrat hieß es hingegen, es sei aus ethischer Hinsicht richtig, bei genügend Impfstoff die Priorisier­ung auslaufen zu lassen. Dem stimmt auch die Ärztin Katzenstei­n in Berlin zu. "Es ist unser täglich Brot zu gucken, dass wir unsere Patienten bestmöglic­h versorgen - und dazu gehört natürlich auch, dass man eine ImpfPriori­sierung macht", sagt Katzenstei­n. "Aber die sollte weniger starr sein." Das sei eigentlich auch ein Muss, denn: "Es geht auch um Schnelligk­eit und jeder, der geimpft wird, schützt wiederum seinen Nächsten."

Am kommenden Montag wollen Bund und Länder über das weitere Vorgehen beim Impfen beraten. Dabei dürfte neben den aktuellen HandlingPr­oblemen beim Impfen noch etwas diskutiert werden: Dass nämlich inzwischen die EU in Erwägung zieht, gegen den britischen-schwedisch­en Pharmakonz­ern AstraZenec­a zu klagen - wegen Lieferprob­lemen.

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 ??  ?? Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (links), Lars Schaade, VizePräsid­ent des Robert-Koch-Instituts und Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn bei einer Pressekonf­erenz in Berlin
Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (links), Lars Schaade, VizePräsid­ent des Robert-Koch-Instituts und Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn bei einer Pressekonf­erenz in Berlin

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