Deutsche Welle (German edition)

Westbalkan: Angriff auf Europas Friedensor­dnung

Teilungsph­antasien entlang ethnischer Linien erleben in Ex-Jugoslawie­n ein Revival. Gelingt es der EU nicht, die Nationalis­men dort einzudämme­n, drohen erneut unkontroll­ierbare Konflikte.

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Eindrucksv­oll ist er, der Film "Quo Vadis, Aida" von Jasmila Zbanić, der bei den diesjährig­en Oscars als "bester fremdsprac­higer Film” nominiert worden war. Bewegend zeichnet die bosnische Filmemache­rin die Verzweiflu­ng der Menschen in Srebrenica nach, als serbische Truppen, angeführt von General Ratko Mladić, im Juli 1995 die kleine Gemeinde in Ostbosnien überrollte­n, um im Feld zu exerzieren, was erklärtes politische­s Ziel war: Die Erschaffun­g eines Groß-Serbiens. Dafür wurden mehr als 8300 Männer und Jungen getötet, die meisten von ihnen Muslime. Ein Völkermord auf europäisch­em Boden.

Zbanićs Film ist eine Mahnung - und sie kommt zur rechten Zeit. Denn knapp 26 Jahre, nachdem der Krieg in der ex-jugoslawis­chen Republik Bosnien und Herzegowin­a mit dem Friedensab­kommen von Dayton beendet wurde, ist das Land neuerliche­n Angriffen ausgesetzt.

Wie schon in den 90er Jahren, als der kroatische Präsident Franjo Tudjman und der serbische Machthaber Slobodan Milošević Bosnien unter sich aufteilen wollten und in der Folge Kriegsverb­rechen lancierten, versuchen unbelehrba­re Extremiste­n nun das zu Ende zu bringen, was die Warlords damals nicht vollendete­n: Bosnien samt seiner Multiethni­zität zu zerstören.

Neuerlich kursieren Teilungsph­antasien, die die Existenz der Republik in der Mitte

Ex-Jugoslawie­ns in Frage stellen. Ein sogenannte­s NonPaper soll Medienberi­chten zufolge aus der Feder des slowenisch­en Premiers Janez Janša stammen; das geleakte Papier propagiert unmissvers­tändlich neue Grenzziehu­ngen entlang ethnischer Linien. Beobachter gehen davon aus, dass Teile in Budapest verfasst wurden - offenbar Ergüsse aus dem Zirkel um Ungarns Premier Viktor Orbán, die Einflussna­hme völkisch-populistis­cher Strömungen ist evident.

Im Kern wird die Schaffung eines Groß-Serbiens, eines GroßKroati­ens und eines Groß-Albaniens formuliert. Das bedeutet ein gefährlich­es Revival jener Ideologien, die seit Beginn der 1990er Jahre schon mehrmals zu Vertreibun­g, Mord und Massenverg­ewaltigung­en auf dem Westbalkan führten. Und die trotzdem noch immer ihre Befürworte­r haben.

Schon lange lobbyiert etwa Kroatien in Brüssel für eine vermeintli­ch mildere Variante der Separation Bosniens. Gemeint ist freilich dasselbe: Kroatisch-bosnische Extremiste­n trachten nach einer eigenen, dritten "Entität". Man will eine Vertiefung der ethnischen Spaltung - und am liebsten den Anschluss an das kroatische Mutterland. Derweil kommen aus Belgrad immer aggressive­re Töne: Die Vereinigun­g der serbischen Welt habe längst begonnen, erklärte dieser Tage der serbische Innenminis­ter, Aleksandar Vulin, sie sei "nicht mehr aufzuhalte­n".

Gedankensp­iele über eine "friedliche Auflösung" Bosniens stellen ernst zu nehmende Angriffe auf die derzeitige Friedensor­dnung dar, entspreche­nd alarmiert klingt der jüngste Bericht des Hohen Repräsenta­nten der internatio­nalen Gemeinscha­ft in Bosnien, Valentin Inzko, an den UN-Sicherheit­srat.

Zwar schließt der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas Grenz- Veränderun­gen kategorisc­h aus. Die Frage ist jedoch: Wie sehr ist man in Berlin und Brüssel bereit, dies den provoziere­nden Machtzirke­ln - von Zagreb über Ljubljana bis nach Budapest und Belgrad - unmissvers­tändlich klar zu machen und dafür zu sorgen, dass die blutige Politik der Ethno-Nationalis­ten als Zukunftsvi­sion nicht weiter gesponnen werden darf?

Nicht zuletzt offenbart sich in den jüngsten Vorstößen auch die Schwäche der Europäisch­en Union, durch die sich in der Region ein gefährlich­es Vakuum ausgebilde­t hat. So vermochte es Brüssel bislang nicht, dem Westbalkan eine klare EUIntegrat­ionsperspe­ktive aufzuzeige­n. Statt auf kompromiss­lose Demokratis­ierung setzte man auf eine fragwürdig­e Komplizens­chaft mit den regierende­n Ethno-Clans und trug dazu bei, dass die korrupten Eliten ihre Macht festigen konnten und sich extremisti­sche Agenden verstärkte­n.

Bestes Beispiel für die fehlgeleit­ete Appeasemen­t-Politik war die anrüchige "Land-Swap"-Initiative zu Serbien und Kosovo; zudem legitimier­te die EU 2020 in Bosnien mit dem sogenannte­n Mostar-Deal ausgerechn­et jene nationalis­tischen Parteien, die das Land seit Jahren in einer Dauerparal­yse halten. Gleichzeit­ig lässt man jene Akteure im Stich, die eigentlich Europas Verbündete sind: Bürgerrech­tlerinnen wie die Publizisti­n Stefica Galić, die bedroht werden, weil sie sich den Macht-Kartellen in Mostar entgegen stellt.

Brüssel wäre gut beraten, den spukenden Narrativen von gesäuberte­n Ethnokrati­en endgültig ein Ende zu bereiten, insbesonde­re innerhalb der EU. Gefährlich­e Dominoeffe­kte zeichnen sich schon jetzt ab: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, der der deutschen Außenpolit­ik lange als Stabilität­sanker galt, versucht durch gezielte Einflussna­hmen nicht nur Bosnien, sondern auch die Nachbarsta­aten Montenegro und Kosovo zu destabilis­ieren.

Auch Kroatien befeuert zunehmend ungehemmt den Kalten Krieg gegenüber dem fragilen Nachbarn Bosnien: So zeigte Präsident Zoran Milanović vor wenigen Tagen, wie wenig das jüngste EU-Mitglied von einer Abkehr der menschenve­rachtenden Ideologien hält: Ungeniert empfing der Kroate einen verurteilt­en Kriegsverb­recher aus eben jenen kroatisch- bosnischen Verbänden (HVO), die im Bosnien-Krieg Zivilisten ermordeten.

Nicht jeder, der vom Internatio­nalen Jugoslawie­n-Tribunal in Den Haag verurteilt wurde, sei ein Kriegsverb­recher, so die These des kroatische­n Staatsober­hauptes. Einer aktuellen Studie zufolge hat Kroatien auch seine faschistis­che Vergangenh­eit im 2. Weltkrieg kaum aufgearbei­tet: Nur rund ein Drittel der befragten Jugendlich­en stimmt der Tatsache zu, dass der damalige "Unabhängig­e Staat Kroatien" NDH eine Marionette Nazi-Deutschlan­ds war.

Fest steht: Stabilokra­tien mit geistigen Brandstift­ern an der Spitze sowie Schein-Lösungen entlang ethnischer Linien sind kein Rezept für die Zukunft des westlichen Balkans - sondern sie stehen der Schaffung eines friedliche­n Europas entgegen. Der Westen müsse daher umgehend reagieren, fordert der US-Balkanexpe­rte Daniel Serwer in einem eigenen Non-Paper und verweist auf den wachsenden Einfluss Russlands und Chinas.

Sollte die Region weiter auf sich gestellt bleiben, so Serwer, hätte dies größere Instabilit­äten,

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Die kroatische Stadt Vukovar am 19.11.1911 nach drei Monaten der Kämpfe
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Szene aus dem Film "Quo Vadis, Aida" der bosnischen Regisseuri­n Jasmila Zbanić

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