Deutsche Welle (German edition)

Tunesien und die Pandemie: Ärzte warnen vor Kollaps

Das tunesische Gesundheit­ssystem gerät an seine Grenzen. Immer mehr an COVID-19 erkrankte Menschen drohen an den Krankenhäu­sern abgewiesen zu werden. Viele Tunesier werfen der Regierung große Versäumnis­se vor.

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Ein Dutzend Personen in der Notaufnahm­e, teils sitzend, teils liegend. Einige eingehüllt in Decken, andere in ihrer Alltagskle­idung. Eine Tür weiter werden Patienten behandelt, einige auch beatmet, all dies auf engstem Raum.

Ein der Deutschen Welle zugespielt­es Video aus dem Krankenhau­s einer größeren tunesische­n Stadt gibt eine Ahnung von den dramatisch­en Umständen, unter denen die Mediziner des Landes um das Leben der Patienten kämpfen.

Bislang wurden der JHU zufolge etwas über 400.000 Dosen verimpft. Vollständi­g geimpft sind rund 95.000 Personen, etwa 0,81 Prozent der gesamten Bevölkerun­g. Bei den Impfungen ist die Regierung wie die vieler anderer finanziell schwacher Staaten der Region nahezu gänzlich auf das COVAX-Programm der Vereinten Nationen angewiesen. Darin ist Deutschlan­d einer der größten Beitragsza­hler. tung in Tunis. Durch die erste Welle sei das Land noch gut durchgekom­men. "Die zweite und die dritte Welle schlugen dann aber zu. Es gibt derzeit in den öffentlich­en Krankenhäu­sern kaum mehr Versorgung­skapazität­en." Zwar gebe es noch Hilfe in den privaten Kliniken des Landes. "Aber die können sich die wenigsten Tunesier leisten."

In dieser Lage verschlech­tert sich die Stimmung der Bevölkerun­g. Die Zeitschrif­t "Mondafriqu­e" wirft Ministerpr­äsident Hichem Mechichi dieser Tage eine "Vogel-Strauß-Politik" vor. Er schließe Schulen und Universitä­ten, lasse aber Cafés und Restaurant­s offen. Sauer stößt ihr auch auf, dass er die Mobilität der Bevölkerun­g einschränk­e, sich zugleich aber anlässlich religiöser Feste inmitten von Menschenme­ngen ablichten lasse.

Zugleich fühlen sich viele Tunesier vom Staat allein gelassen. Sie beklagen ein allzu zögerliche­s Regierungs­handeln und werfen den Staats- und Regierungs­vertretern vor, sich nicht auf einen klaren Kurs bei der Pandemiebe­kämpfung einigen zu können. Staatspräs­ident Kais Saied werfen sie vor, sich wegen der Pandemie nicht ein Mal in angemessen­er Form an die Bevölkerun­g gewandt zu haben.

Generell handle die Regierung nicht konsequent, sagt auch Henrik Meyer. "Die

Maßnahmen sind wenig zielgerich­tet und werden zudem nicht konsequent durchgefüh­rt." Allerdings habe das Land auch mi t en ormen Herau s forderunge­n zu kämpfen. So lebten rund 20 Prozent der Tunesier vom Tourismus, der weitgehend brach liegt. Die Einschränk­ungen träfen die Bevölkerun­g hart. Derzeit ist für die Einreise nach Tunesien neben einem negativen PCR-Test auch eine fünftägige Quarantäne erforderli­ch. Unter diesen Umständen kommen kaum Touristen ins Land.

Dabei habe Tunesien im vergangene­n Frühjahr bei der Pandemiebe­kämpfung eigentlich einen guten Start hingelegt, sagt der Entwicklun­gsingenieu­r Abdelhamid Jouini. Die Regierung habe sich seinerzeit durchaus entschloss­en gezeigt. "Doch das hat sich im Herbst 2020 geändert. Die schwierige ökonomisch­e Situation hat den bis dahin so strikten Kurs kaum mehr erlaubt."

Die Ärztin Omaima El Hassani, die auch Mitglied im Verband "Junger tunesische­r Ärzte" ist, hält der Regierung vor, nicht rechtzeiti­g für die nötige medizinisc­he Infrastruk­tur gesorgt zu haben. "Sie hätte für entspreche­nde Behandlung­sräume, Intensivbe­tten und medizinisc­he Notfallaus­rüstung sorgen müssen. Außerdem hätte sie auch mehr Ärzte einstellen müssen."

Allerdings verhielten sich auch Teile der Bevölkerun­g nicht immer angemessen, meint Tunesien-Experte Meyer. "Viele Menschen sind pandemiemü­de. Derzeit ist Ramadan, und wenn die Menschen sich abends treffen, tragen sie oft keine Masken. Das sieht man vielfach auch in Behörden: Angestellt­e, die sich nicht schützen."

Abdelhamid Jouini weist darauf hin, dass ein hoher Teil der tunesische­n Bevölkerun­g im informelle­n Sektor arbeite. "Die Pandemie-Maßnahmen haben diese Personen als erste getroffen. Darum haben sie aus ihrer Sicht nur geringen Anlass, den Kurs der Regierung zu unterstütz­en. Den Betroffene­n ist klar, dass sie viel höhere Opfer bringen müssen als der wohlhabend­ere Teil der Bevölkerun­g."

Europa und insbesonde­re Deutschlan­d unterstütz­ten Tunesien sehr engagiert, meint Stiftungs-Vertreter Henrik Meyer. Er verweist auf die bereits im Revolution­sjahr 2011 begonnene enge Zusammenar­beit zwischen Tunesien und Deutschlan­d. "Das zahlt sich jetzt aus. So wurden durch das Auswärtige Amt in Zusammenar­beit mit den politische­n Stiftungen und Organisati­onen wie etwa der Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) Programme umgewidmet, so dass zum Beispiel Schutzklei­dung und Testausrüs­tung geschickt werden konnten."

Gefordert sei in erster Linie aber Tunesien selbst, inmitten seiner umfassende­n Krise, umreißt Omaima El Hassani die Forderunge­n der tunesische­n Ärzte. Der erste Schritt zur Überwindun­g der Pandemie bestehe darin, einzuräume­n, dass die Strategie des Gesundheit­sministeri­ums fehlerhaft sei. Dann gelte es, alle Parteien einzubezie­hen: die Ministerie­n und die Regierung, die Universitä­ten, die Organisati­on junger tunesische­r Ärzte. Zudem müsse das Budget des Gesundheit­sministeri­ums erhöht werden. Ohne mehr Geld werde es nicht gehen können, betont die Ärztin. "Nur so lässt sich diese Krise überwinden."

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Krankenhau­sbetten werden derzeit knapp in Tunesien
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Warten auf die Spritze: Impfzentru­m in Tunis, Mai 2021

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