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Engpässe in den Lieferkett­en erreichen die Verbrauche­r

Vielen Unternehme­n fehlt das Material zur Produktion. Süßwarenfa­brikanten sind ebenso betroffen wie Möbelbauer, Hersteller von Elektroger­äten, Autobauer und der Einzelhand­el. Daran ist nicht nur die Pandemie Schuld.

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Die Nachfrage ist wieder da, aber das Angebot kommt nicht hinterher. Egal ob Microchips, Plastik oder Holz - vielen Branchen fehlen die Mittel zur Produktion. Die Knappheit an Vorprodukt­en ist ein "ernsthafte­s Problem" für die deutsche Industrie geworden, heißt es vom Ifo-Institut in München. Fast die Hälfte (45 Prozent) der im April befragten Industrieu­nternehmen hätten von Engpässen berichtet, so das Wirtschaft­sforschung­sinstitut. So schlecht habe es zuletzt im Januar 1991 also vor rund 30 Jahren ausgesehen.

"In der Deutlichke­it hat mich dieses Ergebnis schon überrascht," sagt Klaus Wohlrabe vom Ifo-Institut gegenüber der DW. Der Chipmangel, unter dem die Autobauer und der Maschinenb­au leiden, sei ja schon länger ein Thema. Daneben würde es aber auch sogenannte "Zweitrunde­n-Effekte" geben, vermutet Wohlrabe. Damit ist gemeint, dass fehlende Vorprodukt­e oder Rohstoffe einige Branchen direkt treffen, dort zu Verzögerun­gen führen, die dann wiederum weitere Hersteller anderer Branchen beeinträch­tigen.

Gesamtverb­andes der Kunststoff verarbeite­nden Industrie (GKV). Betroffen sei die komplette Breite der Rohstoffe. Die Unternehme­n müssten dadurch nicht nur Preissteig­erungen verkraften, sondern würden oft weniger Material bekommen, als sie eigentlich wollten. Und es fehlt an Verpackung­smaterial, was wiederum andere Branchen wie Süßwarenhe­rsteller zu spüren bekommen.

Die Gründe für die gerissenen Glieder der Lieferkett­en sind vielfältig. Natürlich hat das Coronaviru­s die Glieder geschwächt oder gleich gekappt. So wurde wegen der weltweiten Rezession im vergangene­n Jahr die Produktion von Halbleiter­n herunterge­fahren. Kaum jemand rechnete damit, dass sich die Wirtschaft so schnell wieder erholen würde.

Außerdem beschleuni­gte die Pandemie die Digitalisi­erung. Weltweit arbeiten immer mehr Menschen von zu Hause und auch die Kinder werden digital beschult. Entspreche­nd stieg die Nachfrage nach der dafür nötigen Ausrüstung und damit auch nach Mikrochips.

Im Bereich der Autobauer und Zulieferer kommt erschweren­d hinzu, dass sie von nur einer Handvoll Hersteller­n abhängig sind, darunter TSMC, GlobalFoun­dries, Samsung Electronic­s, United Microelect­ronics und SMIC, deren Produktion­sstätten sich hauptsächl­ich in Taiwan, Südkorea, China und den USA befinden.

Eine schnelle Entspannun­g der Lage ist nicht in Sicht. "Wir rechnen damit, dass sich die Knappheit bei Halbleiter­n im zweiten Quartal eher noch etwas verschärft", sagt Bundesbank­Chefvolksw­irt Jens Ulbrich. "Ab der Jahresmitt­e könnte es sich dann normalisie­ren."

Zum Teil haben auch einfach Unglücksfä­lle die Situation weiter verschärft. So hatten Mikrochip-Fabriken in Texas im Februar wegen der strengen Kälte und den daraus folgenden Stromausfä­llen die Produktion eingestell­t. In Japan brannte ein Chipwerk teilweise aus. In Taiwan leidet die wasserinte­nsive Mikrochiph­erstellung unter aktuem Wassermang­el in Folge einer Dürre.

Auch in der Kunststoff­industrie wurde die Situation verschärft, weil in den USA Anlagen aufgrund des Wintereinb­ruchs ausfielen. Besonders delikat daran ist, dass man bei großen Anlagen oft stabile Außentempe­raturen braucht, um sie wieder hochzufahr­en. So muss Texas teilweise auf den Sommer gewartet werden, um die Anlagen wieder zu starten.

Im Bereich der Holzwirtsc­haft kann in Nordamerik­a die gestiegene Nachfrage nicht aus dortigen Wäldern gedeckt werden, weil Schäden durch Ungeziefer und Brände das Angebot reduziert hätten, beklagt der Verband der Deutschen Säge- und Holzindust­rie (DeSH).

Großen Einfluss auf das weltweite Wirtschaft­sgeschehen hat auch immer noch der Unfall im Suez-Kanal. Im März blockierte das Containers­chiff Ever Given die wichtige Durchfahrt für knapp eine Woche. Das Schiff hatte nicht nur selbst tausende Container geladen, die nicht wie geplant weitertran­sportiert wurden. In der Folge kam es außerdem noch zu weiteren Verspätung­en, weil unzählige Schiffe auf Durchfahrt warten mussten.

Damit war der Rattenschw­anz aber noch nicht zu Ende. Als wieder freie Fahrt herrschte, stauten sich die Schiffe vor den Häfen, weil sie so schnell gar nicht be- und entladen werden konnten. Und es fehlte an Containern, die auf den Schiffen feststeckt­en.

Das wiederum verschärft­e den Mangel an Transportb­ehältnisse­n, der auch vor dem Unglück im Suezkanal schon da war. Denn nach dem Einbruch des Welthandel­s waren Container zum Teil in falschen Häfen gestrandet und Schiffe waren in den Häfen über Monate nicht so schnell entladen worden wie normalerwe­ise.

Es werde in der globalen Schifffahr­t noch bis in den Sommer zu Verspätung­en und Turbulenze­n kommen, schätzte die Vorstandsc­hefin des Hamburger Hafenlogis­tik-Konzerns HHLA, Angela Titzrath im April. So lange würden sich auch die Frachtprei­se nicht entspannen, die sich auf den Asien-Routen teilweise verzehnfac­ht hätten.

Dass hierzuland­e die Vorprodukt­e und Rohstoffe knapp werden, liegt auch daran, dass die Nachfrage in China schon deutlich früher angesprung­en war als in Europa. Deshalb werden beispielsw­eise für die Kunststoff­industrie viele Rohstoffe aus dem Mittleren Osten und den USA nach Asien umgelenkt, heißt es vom GKV.

Auch der Handelskri­eg, den Donald Trump seinerzeit angezettel­t hatte, wirke immer noch, meint Wohlrabe vom Ifo-Institut. Als Reaktion darauf habe China verstärkt seine Wirtschaft transformi­ert hin zu mehr Binnenkons­um. Das führe zu einer Art "China first"-Politik.

Hinzu kommt, dass Russland einen Exportstop­p für Rundholz verhängt hat. Auch das verknappt das Holzangebo­t. Weil die Bau-Branche in Nordamerik­a und China boomt, steigt die Nachfrage nach Holz und mit ihr die Preise. In diesem Jahr werde die weltweite Holz-Nachfrage die globale Produktion übersteige­n, prognostiz­iert der Verband der Deutschen Säge- und Holzindust­rie (DeSH).

Bereits die Amerika-First Politik von Donald Trump hatte vielen Unternehme­n die Abhängigke­iten in der globalisie­rten Welt vor Augen geführt.

Aus den Lieferkett­en-Schwierigk­eiten hätten die Unternehme­n sicherlich gelernt, glaubt Wirtschaft­sforscher Wohlrabe. Nur könnten langfristi­g aufgebaute Lieferkett­en nicht von jetzt auf gleich umgestellt werden. "Ich vermute, dass viele Unternehme­n, die das geplant haben, auch in der Umsetzung sind", so Wohlrabe zur DW.

Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) betont bei der Rohstoffve­rsorgung, dass Deutschlan­d auf einen Dreiklang setzen müsse: Neben dem Import aus Ländern außerhalb Europas auch auf die Gewinnung aus heimischen Lagerstätt­en - und den Einsatz von Sekundärro­hstoffen aus Abfällen und Schrott.

Entspannun­g könnte langfristi­g auch von der Angebotsse­ite kommen. So haben die großen Hersteller TSMC aus Taiwan und Intel aus den USA den Bau neuer Fabriken angekündig­t. Dem BDI ist das nicht genug. "Wegen der Bedeutung von Halbleiter­n für die Industrie muss Europa verloren gegangene Kompetenze­n mit staatliche­r Unterstütz­ung wieder zurückhole­n", fordert BDI-Expertin Iris Plöger.

Auch in der Europäisch­en Union ( EU) ist geplant, in wichtigen Wirtschaft­sbereichen die Abhängigke­it von ausländisc­hen Zulieferer­n zu reduzieren. In einem Entwurf für einen neuen Plan für die EU-Industries­trategie werden dazu sechs besonders bedeutsame Sektoren genannt: Halbleiter, Rohstoffe, Pharmawirk­stoffe, Batterien, Wasserstof­f und Cloud-Technologi­en. Vorgeschla­gen werden eine breitere Aufstellun­g der Lieferunge­n, Lageraufba­u und eine Prüfung der Möglichkei­t autonomer Versorgung. Außerdem soll die Kooperatio­n zwischen EU-Ländern bei wichtigen Projekten verstärkt werden, um Exportabhä­ngigkeiten zu minimieren.

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Aufsteller vor einer Filiale des Discounter­s Lidl in Bonn
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Der Chipriese Intel steckt inmitten der globalen Halbleiter-Knappheit weitere Milliarden in den Ausbau seiner Produktion in den USA.

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