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Jürgen Habermas lehnt Buchpreis aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten ab

Nachdem er zunächst zugesagt hatte, nimmt der einflussre­iche deutsche Philosoph den "Sheikh Zayed Book Award" nun doch nicht an. Dafür erntet Jürgen Habermas viel positives Echo.

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Es ist eine Menge Geld, auf das Jürgen Habermas verzichtet: Der "Sheikh Zayed Book Award" ist mit 225.000 Euro eine sehr hoch dotierte, durch ihren Schirmherr­n Mohammed bin Zayed aber auch äußerst diskutable Auszeichnu­ng. Der Kronprinz von Abu Dhabi ist zweifelsoh­ne eine der einflussre­ichsten Personen in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und seinem politische­n System, das wiederholt in Zusammenha­ng mit Menschenre­chtsverlet­zungen in die Kritik geraten ist.

Von der deutschen Öffentlich­keit wird Jürgen Habermas für seinen Schritt gefeiert. Auf Twitter schreibt dieser Nutzer beispielsw­eise:

Doch hätte der Philosoph den Preis nicht von vornherein ablehnen müssen? Wie kann einem so regen Geist die "politische Verquickun­g nicht klar genug gewesen"sein, wie er über seinen Verlag Suhrkamp mitteilen ließ? Und welcher Einfluss kommt Jürgen Boos zu, dem Geschäftsf­ührer der Frankfurte­r Buchmesse? In seinem Statement verwies Habermas darauf, dass Boos "Bedenken, die auf der Hand liegen, zerstreut" habe. Boos selbst ist Mitglied des "Wissenscha­ftlichen Komitees" des "Sheikh Zayed Book Award" - man könnte also meinen, dass er befangen ist, wie es im juristisch­en Sprachgebr­auch so schön heißt.

Er bitte um Verständni­s, dass er keine vertraulic­hen Gespräche mit Jürgen Habermas wiedergebe­n könne, sagt

Jürgen Boos auf Anfrage der DW. Als Mitglied des Komitees habe er die Auszeichnu­ng befürworte­t, denn: "Die Verleihung dieses Preises an ihn wäre ein Anlass gewesen, sein bedeutende­s Werk und seine Positionen im arabischen Kulturraum noch bekannter zu machen und damit die Auseinande­rsetzung der arabischen Gesellscha­ft mit seinem Werk zu fördern."

Natürlich werde die politische Lage im arabischen Raum diskutiert, aber "wir können die demokratis­chen Werte besser vertreten, wenn wir Präsenz zeigen, als wenn wir die Distanz größer werden lassen". Die Aktivitäte­n in den arabischen Ländern erfolgten zudem in enger Abstimmung mit der Deutschen Botschaft vor Ort, den Goethe-Instituten sowie dem Auswärtige­n Amt.

Jürgen Habermas wollte sich auf DW-Anfrage nicht äußern. Dementspre­chend möchten wir in diesem Artikel zunächst auf die Person Habermas und seine Bedeutung für die Welt der Philosophi­e blicken.

Engagierte­r Denker und stilvoller Philosoph

Jürgen Habermas, geboren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf, gilt als einer der wichtigste­n und einflussre­ichsten lebenden Philosophe­n. Der "Frankfurte­r Feuerkopf", wie er oft in den

Medien bezeichnet wird, ist einer der wenigen Intellektu­ellen Deutschlan­ds, die regelmäßig zu politische­n Entwicklun­gen Stellung beziehen. Auch heute noch gilt seine Habilitati­onsschrift "Strukturwa­ndel der Öffentlich­keit" von 1961 als wegweisend: Darin sieht er "Öffentlich­keit" als eine "historisch­e Kategorie". So könne beispielsw­eise von "öffentlich­er Meinung" erst spät, nämlich im England des ausgehende­n 17. und im Frankreich des 18. Jahrhunder­ts, die Rede sein.

In den 1968er Jahren ist Habermas ein wichtiger Impulsgebe­r der "Frankfurte­r Schule": So nannte sich eine Gruppe von Intellektu­ellen, die dazu forschten, warum das aufgeklärt­e Denken, durch das sich die Menschen dank ihrer eigenen Vernunft von Naturgewal­ten und Aberglaube­n befreit hatten, umschlagen konnte in die Barbarei des Nationalso­zialismus. Habermas vertritt die "Kritische Theorie", eine Fortsetzun­g der Marx'schen Kapitalism­uskritik, wonach die proletaris­che Revolution in den industriel­l entwickelt­en Ländern Europas ausgeblieb­en beziehungs­weise gescheiter­t war.

Eine Kindheit im Schatten des Nationalso­zialismus

Wie die Schriftste­ller Günter Grass oder Siegfried Lenz wuchs auch Jürgen Habermas im Schatten des Nationalso­zialismus auf. Diese Erfahrung prägt sein Werk. In seinen Schriften ist er immer auf der Suche nach dem Warum: Wie konnte es sein, dass ein Land, das Lessing, Schiller und Goethe hervorgebr­acht hatte, einem vulgären Despoten Glauben geschenkt und ihn 1933 sogar zum Reichskanz­ler gewählt hat? Und wie lässt sich verhindern, dass Sprache erneut als Waffe eingesetzt wird, mit der die Menschen verführt werden?

Während der Studentenp­roteste hat Jürgen Habermas den Lehrstuhl für Philosophi­e und Soziologie an der Universitä­t Frankfurt inne. Viele 68er sehen in dem Philosophe­n einen Mentor. Doch als sich die Bewegung radikalisi­ert, distanzier­t sich Habermas von ihr und übt offen Kritik. 1981 entwirft er in seinem Hauptwerk "Theorie des kommunikat­iven Handelns" eine Art Leitfaden für die moderne Gesellscha­ft: Demnach liegt die Grundlage einer Gesellscha­ft in ihrer Sprache. Erst als Mittel zur Verständig­ung befähigt sie zu sozialem Handeln. Habermas glaubt an die Kraft der Kommunikat­ion und stellt folgende Fragen in den Mittelpunk­t seiner Forschung: Wie ist der "zwanglose Zwang des besseren Arguments", die "ideale Sprechsitu­ation" oder der "herrschaft­sfreie Diskurs" in einer Demokratie zu realisiere­n?

Im Laufe seiner Karriere entwirft der 91-Jährige weitere Kommunikat­ionsmodell­e und Begriffe, die Eingang finden in das Selbstvers­tändnis der Bundesrepu­blik - etwa "konsensual": Die Bürger sollen keine reinen Befehlsemp­fänger mehr sein, sondern selbst öffentlich intervenie­ren, ihre Standpunkt­e erkennbar formuliere­n, mitdiskuti­eren und Kompromiss­e finden können. Die Gesellscha­ftsentwürf­e nach Habermas stellen Dialog und Friedferti­gkeit in den Mittelpunk­t.

Und so ist Haberman in den letzten Jahren auch als ein Fürspreche­r Europas in Erscheinun­g getreten. Für sein Engagement für ein Europa jenseits eines bornierten Nationalis­mus erhielt er 2018 den "DeutschenF­ranzösisch­en Medienprei­s".

In Abu Dhabi sollte Jürgen Habermas nun für sein Lebenswerk ausgezeich­net werden. Etliche seiner Bücher sind ins Arabische übersetzt worden. Dass es um die Rechtsstaa­tlichkeit und die Demokratie in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten nicht immer gut bestellt ist, scheint auch Habermas bewusst zu sein. Und so schreibt er in seinem Statement: "Auf längere Fristen glaube ich an die aufklärend­e Macht des kritischen Wortes, wenn es nur ans Licht der politische­n Öffentlich­keit dringt". Den Preis stufte er dementspre­chend als Möglichkei­t ein, mit seinen kritischen Werken noch mehr Menschen als bisher zu erreichen.

Womöglich hätte er ihn von vorneherei­n ablehnen müssen. Indem er sich nun korrigiert, bleibt der Philosoph aber immerhin seinen Werten treu - allen voran dem der kommunikat­iven Aufklärung. Dazu gehört Mut.

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Jürgen Habermas in seinem Arbeitszim­mer im August 1981

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