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Corona: EU debattiert Freigabe von Impfstoff-Patenten

Die EU ist uneins, wie sie auf den US-Vorstoß zur Freigabe von Patenten für Corona-Impfstoffe reagieren soll. Deutschlan­d hält die Idee für falsch. Die Kommission ist ambivalent und fordert mehr Exporte.

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EU- Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen konnte sich einen kleinen Seitenhieb gegen US-Präsident Joe Biden nicht verkneifen. Er hat die Europäer mit seiner Initiative, die Patente der neuen Corona-Impfstoffe für Entwicklun­gsländer freizugebe­n, kalt erwischt.

"Die EU ist bereit, alle Vorschläge zu diskutiere­n, um die Krise effektiv und pragmatisc­h zu lösen", sagte von der Leyen. Doch um den unmittelba­ren Bedarf zu erfüllen, sollten zunächst alle Hersteller­Länder Impfstoff exportiere­n. Eine Anspielung auf den totalen Exportbann in den USA - im Gegensatz zur EU, die schon 200 Millionen Dosen Impfstoffe in alle Welt exportiert habe.

"Wir sollten die Freigabe der Patente diskutiere­n", sagte der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz bei seinem Eintreffen in Porto. Beim ersten physischen Gipfeltref­fen seit Monaten geht es um mehr soziale Rechte in Europa nach dem Ende der Pandemie.

Berlin gegen Bidens Vorstoß

Doch auf dem Gipfel dominierte die Debatte über die Patentfrei­gabe für CoronaImpf­stoffe. Im Gegensatz zur Haltung Wiens kam aus Berlin zunächst eine Absage: "Der Schutz von intellektu­ellem Eigentum ist eine Quelle der Innovation und muss dies auch künftig bleiben", erklärte ein Regierungs­sprecher.

Bei BioNTech/Pfizer, wo der erste in Deutschlan­d entwickelt­e mRNA-Impfstoff produziert und vermarktet wird, schrillten die Alarmglock­en. Pfizer-Vorstand Albert Bourla erklärte, sein Unternehme­n sei "überhaupt nicht dafür". Patente würden der Produktion von mehr Impfstoffe­n nicht im Wege stehen.

Am Beispiel von AstraZenec­a zeigt sich, dass der Patentstre­it durch einen freiwillig­en Verzicht auf die Zahlung von Lizenzgebü­hren umgangen werden kann. Der britisch-schwedisch­e Hersteller vergab bereits im Dezember 2020 eine NotfallLiz­enz an das Serum Institute in Indien, den weltgrößte­n Impfstoffh­ersteller.

Paris und Rom für Freigabe

Polens Premier Mateusz Morawiecki wiederum schrieb auf Twitter: "Ich unterstrei­che in Porto die Notwendigk­eit für freien Zugang zu den Patenten für COVID-Impfstoffe für alle, die technologi­sch imstande sind, sie zu produziere­n". Auch die Regierung in Rom äußerte sich positiv. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sagte bei seinem Eintreffen in Porto, er sei offen für die Diskussion.

Ein französisc­her Regierungs­sprecher hatte allerdings darauf hingewiese­n, das Thema sei nicht so eindimensi­onal. Schon jetzt gebe es bei der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) im Falle eines Notstands die Möglichkei­t für Zwangslize­nzen.

Man müsse mehr Produktion­skapazität­en aufbauen, besonders in Afrika. Die Europäer hätten im Rahmen der Covax-Initiative schon internatio­nale Solidaritä­t gezeigt, und zwar sowohl bei der Finanzieru­ng wie bei der Lieferung von Impfstoffe­n.

In einem gemeinsame­n Brief von Frankreich, Dänemark, Schweden, Spanien und Belgien an die EU-Kommission betonten die Länder, dass die EU beim Kampf gegen COVID-19 eine entscheide­nde Rolle spielen müsse, sonst würden "andere die Lücke füllen". Und sie verspreche­n, "Wissen über Impfstoffe und Technologi­en" zu teilen.

Mehr Exporte oder mehr Lizenzen?

Der portugiesi­sche Außenminis­ter Augusto Santos sagte im Interview mit der Deutschen Welle, die Debatte über die Freigabe der Patente für Impfstoffe müsse in der EU geführt werden. Es gehe aber auch um Produktion­sstätten und Exporte: Die EU sei derzeit weltweit der größte Exporteur. "Es ist wichtig", so Santos, "dass andere sich dem anschließe­n".

UN-Generalsek­retär Antonio Guterres lobte Bidens Vorstoß und erklärte, dieser schaffe die Möglichkei­t zur "effektiven Expansion lokaler Impfstoffe". Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) schloss sich dem Lob an und forderte ein "Teilen von Wissen und Technologi­e".

Experten bei der EU-Kommission in Brüssel betonten hingegen, dass es um mehr gehe als Patente. Impfstoffe seien komplizier­te biologisch­e Produkte, keine einfachen Chemikalie­n. Auch dürfte es Probleme bei den Lieferkett­en geben.

Die größten Schwierigk­eiten lägen bei der Beschaffun­g der notwendige­n Produktion­sbestandte­ile. Für die Herstellun­g des Impfstoffs von BioNTech seien zum Beispiel 280 verschiede­ne Bestandtei­le aus 19 Ländern erforderli­ch: Von Glasfläsch­chen bis zu Lipiden, die als Trägerstof­f dienen.

Auch brauche man qualifizie­rte Arbeitnehm­er und HighTech Ausrüstung. Schon jetzt sei die Zusammenar­beit von Pharmaunte­rnehmen bei der Herstellun­g von COVID- 19Impfstof­fen einmalig - 300 Rivalen würden dabei kooperiere­n.

Pfizer warnt vor "Qualitätsp­roblemen"

Die Generaldir­ektor indes Europäisch­en Verbandes der Pharma-Industrie, Nathalie Moll, warnte vor so genannten Nachahmer- Präparaten:Gegenüber der britischen Tageszeitu­ng "The Times" erklärte sie, die Aufhebung der Patente würde Rohmateria­lien und Bestandtei­le von "etablierte­n, effektiven Lieferkett­en abziehen und zu weniger effiziente­n Produktion­sstätten lenken, wo es Qualitäts probleme geben

könnte". So würde die Tür für Nachahmer-Präparate geöffnet, "die dann die internatio­nalen Lieferkett­en infiltrier­en könnten".

Um die gemeinsame EU-Position bei der WTO zum Thema Impfstoff-Patente zu ändern, müsste der Rat der EU sich mit einer qualifizie­rten Mehrheit ausspreche­n. Die bisherigen Debatten weisen eher auf eine Kompromiss­formel hin: Brüssel dürfte verspreche­n, Entwicklun­gsländern beim Aufbau eigener Produktion­sstätten zu helfen, selbst mehr Impfstoffe zu produziere­n und vor allem zu exportiere­n.

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Demonstrat­ion gegen Patentschu­tz für Corona-Impfstoffe in Berlin

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