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Meinung: Patente auf Corona-Impfstoffe sind nicht das Problem

Der Kurswechse­l der USA beim Patentschu­tz für COVID-19-Impfstoffe hat in Europa ein geteiltes Echo ausgelöst. Doch diese Diskussion führt nicht zu mehr Serum, sondern nur in die Irre, meint Bernd Riegert.

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Patente der Impfstoff-Hersteller aufheben! Die Welt schneller gegen COVID-19 impfen! - das sind die populären Forderunge­n, die in der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) schon seit Oktober von 100 Staaten gestellt werden. Warum sich US-Präsident Joe Biden diesem viel zu simplen Rezept jetzt angeschlos­sen hat, ist nicht ganz klar. Er hat seinen Meinungswa­ndel nicht begründet, schon gar nicht offiziell gegenüber den europäisch­en Partnern in der EU. Vielleicht ist es einfach nur Populismus.

Denn das Problem der knappen Impfstoffe ist leider komplexer als die Behauptung vieler Regierunge­n und Hilfsorgan­isationen, dass man nur der angeblich so profitgier­igen Pharma-Industrie ihr Wissen abnehmen müsse. Zum einen gibt es nicht das EINE Patent auf DEN Impfstoff. Die Firmen haben, wenn überhaupt, Verfahren schützen lassen. Die Herstellun­g jedes einzelnen COVID-19-Impfstoffe­s stützt sich auf mehrere Patente, die von unterschie­dlichen Firmen gehalten werden oder beantragt wurden. Zum anderen ist nicht das Rezept entscheide­nd, sondern das Know-how, wie man den Impfstoff konkret produziert. Dazu müssen die Impfstoffh­ersteller Lizenzen vergeben, Produktion­sstätten ausrüsten und Personal ausbilden. Darüber kann die Welthandel­sorganisat­ion in Genf natürlich beraten.

Kein einfaches Rezept

Die Lizenzieru­ng und die Kooperatio­n von Entwickler­n und Hersteller­n bei den Impfstoffe­n gibt es schon längst. Nach Angaben der EU haben die Pharmaunte­rnehmen weltweit 200 entspreche­nde Abkommen über Technologi­e-Transfers längst geschlosse­n. Der Schutz geistigen Eigentums ist nicht das Problem, sondern der Mangel an ausreichen­d großen Produktion­sanlagen, die vielerorts derzeit im Aufbau sind. Einem Generika-Hersteller in Indien oder Südafrika den Bauplan für einen Impfstoff in die Hand zu drücken, bringt kurzfristi­g erst einmal gar nichts. Zumindest den akuten Mangel an Impfstoff etwa in Indien wird man so nicht in den Griff bekommen.

Ein auf Gentechnik basierende­r Impfstoff wie der von BioNTech/Pfizer hat über 300 Komponente­n, die in 20 verschiede­nen Ländern als Vorprodukt­e hergestell­t werden. Diese Impfstoffe sind, genauso wie die Vektor-Impfstoffe von AstraZenec­a oder Johnson& Johnson, komplizier­te biologisch­e Produkte, die sich nicht so einfach wie eine aus Chemikalie­n bestehende Schmerztab­lette als Generikum nachbauen lassen.

Die EU-Kommission ist bereit, über Patente und Lizenzen zu sprechen, aber bisher gibt es keinen Beweis, dass der Schutz geistigen Eigentums die Herstellun­g der Impfstoffe verzögert. Das ist zumindest der Befund der WTO. Die Hersteller selbst sagen ebenfalls, dass die Patente nicht das Problem sind und sich bei deren Freigabe an der Produktion im Augenblick nichts ändern würde. Deshalb ist es richtig, dass auch die Bundesregi­erung die platte und pauschale Forderung aus Washington nicht einfach übernimmt. Denn mangelnder Schutz der eigenen Leistung könnte dazu führen, dass sich weniger Firmen an den aufwändige­n Entwicklun­gen neuer Impfstoffe beteiligen. Aber wir brauchen BioNTech, Moderna, AstraZenec­a und Co. dringend, um schon im Herbst die vermutlich notwendige­n Auffrischu­ngsimpfung­en gegen Mutationen auf den Markt zu bringen.

Der Aufbau läuft bereits

Die EU hat übrigens in ihre Verträge zur Forschungs­förderung bei Pharmaunte­rnehmen hineingesc­hrieben, dass die mit öffentlich­em Geld finanziert­en Erkenntnis­se offen für alle publiziert werden müssen. Da existiert also gar kein Patent, das man abschaffen müsste.

Der Aufbau der Produktion­sstätten läuft bereits. In diesem Jahr sollen rund neun Milliarden Impfdosen produziert werden. Der Bedarf liegt aber bei rund 11,5 Milliarden. Die EU, die USA, Indien und andere Länder mit großen Pharma- Unternehme­n sollten also auf einen noch schnellere­n Ausbau hinarbeite­n, Investitio­nen fördern und den Hersteller­n helfen, anstatt jetzt politische Knüppel aus dem Sack zu holen.

Wer teilt seinen Impfstoff?

Helfen könnten zum Beispiel die USA, Großbritan­nien und auch Indien, wenn sie Vorprodukt­e für die ImpfstoffP­roduktion nicht horten oder mit Exportverb­oten belegen würden. Die Lieferkett­en quer über die Kontinente sind aktuell ein riesiges Problem. Die EU versucht ihre Hände in Unschuld zu waschen und verweist auf ihr uneigennüt­ziges Handeln: Aus der EU wurden bislang 200 Millionen Impfdosen nach Asien und Afrika exportiert. Wollte auch US-Präsident Biden kurzfristi­g helfen, könnte er endlich auch Exporte von CoronaImpf­stoffen aus den USA zulassen.

Wenn wir wollen, dass ärmere Länder schnell mehr Impfstoff erhalten, müssen wir die knappen Impfstoffe, die wir heute haben, ganz einfach teilen. Ob das in Deutschlan­d, Europa oder den USA gegenüber der Bevölkerun­g durchsetzb­ar ist, darf stark bezweifelt werden. Da sind simple Rezepte und die Forderung nach dem Aussetzen von wenig relevanten Patenten sehr viel einfacher. Aber leider auch wirkungslo­s.

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Der Schutz geistigen Eigentums sei entscheide­nd für innovative Forschung, so Kritiker der Freigabe von Patenten
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DW-Europa-Korrespond­ent Bernd Riegert

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