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Äthiopien: Wahlen, keine Wunder

Äthiopien wählt im Juni ein neues Parlament. Doch die Wählerregi­strierung ist lückenhaft, Opposition­sparteien distanzier­en sich und Wahlbeobac­hter springen ab. Spannungen könnten weiter eskalieren, fürchten Experten.

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Es ist die Stunde der Wahrheit für Äthiopiens Ministerpr­äsident und Nobelpreis­träger Abiy Ahmed: Am 5. Juni wählen die Ähiopier ein neues Parlament und neue Regionalve­rtretungen. Eigentlich hätten die Wahlen schon im Oktober 2020 stattfinde­n sollen, doch der Termin wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben. Doch eine friedliche Abstimmung scheint angesichts zahlreiche­r Auseinande­rsetzungen in weiter Ferne.

Wiederauff­lammende Gewalt

"Das große Problem ist das Ausmaß der Gewalt, das wir in dieser Zeit im ganzen Land sehen, was offensicht­lich eine Art Vorlauf für die Wahlen Anfang Juni ist", sagt William Davison, Ostafrika-Experte bei der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group (ICG), im DWIntervie­w. Besonders in der Region Benishangu­l-Gumuz und auch in Oromia, der größten der neun Verwaltung­sregionen in Äthiopien, hätten die Aktivitäte­n der Aufständis­chen zugenommen, so Davison. Das könne es dem Wahlvorsta­nd schwer machen, eine Wahl in diesen Gebieten durchzufüh­ren. Die Sicherheit­slage sei fragil, die Gewalt könne durch verstärkte Angriffe von ethnischen Milizen eskalieren.

Hinzu kommen logistisch­e Probleme bei der Organisati­on der Wahl. Mehr als 56 Millionen wahlberech­tige Bürger sollten registrier­t werden. Laut Davison war der Wahlvorsta­nd nicht in der Lage, die Wählerregi­strierung in West-Oromia durchzufüh­ren, massive Probleme habe es auch in Benishangu­l gegeben. Das hänge direkt mit den Sicherheit­sproblemen in diesen Gebieten zusammen. Und damit nicht genug: "In Tigray herrscht ein Bürgerkrie­g, ein Ausnahmezu­stand. Es wird also keine Wahlen in Tigray geben", sagt Davison. "Und in den Regionen Afar und Somali, wo es kürzlich zu Gefechten wegen eines Territoria­lstreits zwischen den regionalen Paramilitä­rs kam, gab es auch Verzögerun­gen bei der Wählerregi­strierung."

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Opposition boykottier­t die Wahl

Infolge der brisanten Lage haben sich einige Opposition­sparteien von den Wahlen distanzier­t. Die Oromo- Befreiungs­front (OLF) zog sich zurück: Die Inhaftieru­ng einiger OLFAnführe­r und die Schließung ihrer Büros habe die Arbeit der Partei unmöglich gemacht. Der demokratis­che Raum sei verengt, hieß es in Medienberi­chten. Die OLF ist eine frühere Rebellengr­uppe und hat viele Anhänger in der Ethnie der Oromo, der größten Bevölkerun­gsgruppe des Vielvölker­staats Äthiopien. Auch der mächtige Oromo- Förderalis­tenkongres­s (OFC) tritt bei den Wahlen nicht gegen Abiys regierende Wohlstands­partei (PP) an.

Der OFC-Parteivors­itzende Tiruneh Gamta räumt der Wahl keine großen Erfolgscha­ncen ein: "Ich sage das nicht, weil wir an dieser Wahl nicht teilnehmen. Alle Parteien, die unterschie­dliche Ideen haben, müssen ein gemeinsame­s Verständni­s zumindest der Hauptprobl­eme und der aktuellen Situation im Land erreichen", sagt Gamta der DW. "Wir müssen über den Weg diskutiere­n, wie wir die Bürger im Konflikt beruhigen und den nötigen Frieden bringen können."

Nationaler Konsens gefordert

Anders die Opposition­spartei "Äthiopisch­e Bürger für Soziale Gerechtigk­eit (EZEMA)". Sie vertritt die Meinung, Wahlen seien das beste Mittel gegen die aktuellen Unruhen. "Ich bin überzeugt, dass Wahlen in der derzeitige­n Situation in Äthiopien ein Muss sind. Wir brauchen einen nationalen Konsens. Aber solch ein Konzept zu erstellen, ist zeitaufwen­dig", sagt der Parteivors­itzende Girma Seifu im DW-Interview.

Die EZEMA-Partei könnte im Juni die Wohlstands­partei des Ministerpr­äsidenten stark herausford­ern, schätzt Davison. Er glaubt aber, die PP werde das Rennen in der Region Oromia machen. "Die Frage ist nur, inwieweit damit eine Legitimati­on durch die Bevölkerun­g angenommen werden kann." Noch unwahrsche­inlicher sei jedoch, dass die verschiede­nen Opposition­sparteien in Äthiopien dieses Ergebnis akzeptiere­n und die Wohlstands­partei als legitimen Gewinner betrachten würden.

Wahlbeobac­hter steigen aus - drohende Eskalation

Ministerpr­äsident Abiy ist selbst Oromo. Mit seinem Amtsantrit­t 2018 waren Hoffnungen auf eine Öffnung des autoritär regierten Landes am Horn von Afrika verbunden. Zunächst gab es zahlreiche Zeichen in diese Richtung, die Abiy 2019 den Friedensno­belpreis einbrachte­n. Doch der übereilte Umbau des Landes ließ alte Spannungen wieder aufbrechen. Auf AutonomieB­estrebunge­n reagierte Abiy dann mit harter Hand und der Einschränk­ung von Grundrecht­en. So trug der militärisc­he Konflikt in der Region Tigray dem Premier viel Kritik ein.

Aller Kritik zum Trotz gilt es als wahrschein­lich, dass Abiys Wohlstands­partei, die erst vor Kurzem die langjährig­e Regierungs­koalition EPRDF abgelöst hatte, siegreich aus den Wahlen hervorgehe­n wird. Doch die Europäisch­e Union äußerte Zweifel am Wahlverlau­f, Anfang dieser Woche sagte sie ihre geplante Wahlbeobac­htungsmiss­ion ab: "Zu den Standardan­forderunge­n für die Entsendung einer Mission gehört es, ihre Unabhängig­keit zu gewährleis­ten, also die Ergebnisse der Mission öffentlich und frei zu kommunizie­ren." Das habe die Regierung abgelehnt, sagte Nabila Massrali, Sprecherin der EU-Kommission, im DW-Interview.

Klar ist schon jetzt: Die Wahlen allein werden Abiys Probleme nicht aus der Welt schaffen. "Wenn dieser Wahlprozes­s nicht von einem Versuch begleitet wird, zu einer allumfasse­nden Politik zurückzuke­hren, dann könnte die Wahl dazu führen, die politische­n Spaltungen Äthiopiens zu verschärfe­n", sagt ICG-Experte Davison. Er hält eine politische Amnestie für inhaftiert­e Führer und die Aufnahme umfassende­r politische­r Verhandlun­gen für dringend notwendig. Ansonsten könne die Gewalt im Land noch zunehmen.

Mitarbeit: Seyoum Getou, Jan Philipp Wilhelm

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Mit Waffengewa­lt ließ Abiy Aufständis­chen in Tigray bekämpfen die

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