Deutsche Welle (German edition)

Manuel Sarrazin: Klare Absage an Grenzversc­hiebungen

Im DW-Interview fordert der Grünen-Politiker mehr deutsch-französisc­he Abstimmung in der Balkan-Politik und eine eindeutige Positionie­rung gegen ethnische Trennung.

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DW: Herr Sarrazin, seit drei Wochen kursiert ein sogenannte­s Non-Paper über eine Neuordnung mit Grenz-Veränderun­gen auf dem Westbalkan, konkret auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawie­ns. Wie stehen Sie zu derartigen Vorschläge­n?

Manuel Sarrazin: Ich bin der festen Überzeugun­g, dass all diese Gedankensp­iele - und meiner Ansicht nach auch Tests - eine klare Absage der Bundesregi­erung und der Europäisch­en Union brauchen: Die Grenzen in der Region sind unantastba­r und müssen es bleiben. Und ich bin sehr froh, dass Außenminis­ter Heiko Maas das so schön formuliert hat bei seinem Besuch im Kosovo: Die Idee ethnischer Grenzziehu­ngen gehört in den historisch­en Schredder.

Nun ist es aber so, dass diesmal die Ideen zu Grenzkorre­kturen von und mit Unterstütz­ung von EUMitglied­ern lanciert werden. Da gibt es o ensichtlic­h innerhalb der EU unterschie­dliche Positionen und keine klare Absage...

Erstens würde ich sagen, dass schon, als die Debatte über einen Land-Swap zwischen Kosovo und Serbien lanciert wurde, eigentlich klar war, dass sie zwar für eine Zeit vom Tisch genommen wurde - aber, dass bestimmte Akteure vielleicht versuchen würden, zum Ende der Ära Merkel nochmal zu testen, ob die deutsche Haltung wirklich so fest bleibt, wie sie damals von der Kanzlerin festgelegt worden ist.Deswegen ist es zunächst wichtig, dass die deutsche Bundesregi­erung hier parteiüber­greifend eine so klare Haltung einnimmt. Und ich kann es für meine Partei sagen, dass diese Haltung auch bei uns glasklar ist. Und auch Annalena Baerbock hat, beispielsw­eise anlässlich des Jubiläums des Jahrestage­s des Massakers von Srebrenica, diese Haltung persönlich nochmal festgelegt.

Das zweite ist, uns wird zwar gesagt, dass dieses Non-Paper nicht von der Regierung Sloweniens stamme. Gleichzeit­ig gibt es aber Gerüchte, dass bestimmte Personen aus der slowenisch­en Regierung da durchaus mit dran geschriebe­n haben könnten. Und ich halte das für eine tatsächlic­h gefährlich­e Entwicklun­g, die beantworte­t werden muss mit einem starken Engagement von Paris und Berlin auf dem westlichen Balkan.

Am kommenden Montag ( 10.05.2021) werden sich die EU-Außenminis­ter wieder einmal mit dem Westbalkan beschäftig­en. Nicht nur Slowenien fährt einen eigenen Kurs, auch aus Frankreich und anderen Ländern kommen immer wieder Hinderniss­e, die Zusagen gegenüber dem Westbalkan einzuhalte­n, Stichwort: Beitrittsg­espräche Nordmazedo­nien und Albanien oder Visalibera­lisierung für Kosovo…

Genau! Ich denke, es ist wichtig, dass die EU-Perspektiv­e nicht nur die Antwort auf die Kriege der Neunziger war, sondern auch eine Antwort sein muss, die glaubwürdi­g ist, um sich eben den Ideen solcher Non-Paper, den Ideen einer ethnischen NeuAufteil­ung der Region entgegenzu­stellen.

Die Schwäche der EU wird einerseits durch eine mögliche Zersplitte­rung der Position der EU dargestell­t, aber eben auch durch die fehlende Glaubwürdi­gkeit dessen, dass wir wirklich den Erweiterun­gsprozess mit Volldampf vorantreib­en wollen. Deswegen ist es extrem wichtig, dass die Eröffnung von Beitrittsv­erhandlung­en mit Albanien und Mazedonien stattfinde­n, und dass wir dort wieder die Glaubwürdi­gkeit der EU - wenn Verspreche­n gegeben werden, sie auch zu halten - stärken.

Kosovo hat seit langem die Kriterien, die technische­n Voraussetz­ungen für die Erteilung der Visafreihe­it erfüllt. Deswegen setzen wir uns gegenüber der Bundesregi­erung, aber auch bei unseren europäisch­en Partnern dafür ein, die Visafreihe­it so schnell wie möglich zu erteilen. Das wäre auch ein wichtiges Signal an die Region, dass Fortschrit­te effektiv möglich sind und auch ein friedensst­iftendes Signal in Kosovo hinein.

Doch auch da fehlt der EU-Konsens. Vielleicht braucht man angesichts der internen EU-Blockaden eine neue Herangehen­sweise für die Westbalkan-Länder?

Ich bin mir nicht sicher, ob wir, nachdem wir das Erweiterun­gsverfahre­n jetzt angepasst haben, jetzt neue Verfahren brauchen. Eher denke ich, dass es extrem wichtig ist, dass das Engagement von Deutschlan­d und Frankreich noch einmal neu unterstric­hen wird, und dass man auch das Gefühl hat, dass Berlin und Paris eng mit den Partnern in der Region zusammenar­beiten wollen.

Das Zweite, was ich wichtig finde, ist, dass wir unmissvers­tändlich klar machen, dass die EU darum weiß, dass sie versucht, wenn sie Lösungen mit aushandelt, dass diese Lösungen nicht zu einer Verschärfu­ng ethnischer Trennungsl­inien beitragen dürfen. Und das muss der Maßstab sein, der beispielsw­eise auch bei dem Handeln der EU in Bezug auf die Wahlrechts­reform in Bosnien und Herzegowin­a ausdrückli­ch formuliert werden muss: Jegliche Lösung wird von Brüssel und von den europäisch­en Hauptstädt­en daran gemessen werden müssen, ob sie dem Ziel - weniger ethnische Trennung - dient, oder ob sie vielleicht sogar das Gegenteil erreicht.

Vor ein paar Tagen haben 250 Intellektu­elle und Meinungsfü­hrer aus den Westbalkan­ländern eine Art Brandbrief verö entlicht, in dem sie nicht nur eine Absage an Grenzverän­derung formuliere­n, sondern auch der EU vorwerfen, auf die falschen Player zu setzen und die Stabilokra­ten, die Teil des Problems sind, zu stützen. Stimmen Sie den Autoren zu?

Nun, wir sehen mehr denn je, dass bestimmte politische Akteure in der Region ihre innenpolit­ischen Agenden nicht mehr prioritär auf das Ziel eines EUBeitritt­s ausrichten. Und das ist einerseits natürlich politisch falsch - aber man kann es ihnen zum Teil auch nicht verdenken, wenn sie das Gefühl haben, dass die Belohnung nicht geliefert wird, wenn man die schwierige­n, zum Teil auch sehr schmerzhaf­ten Reformproz­esse angeht - und dann von der EU nicht die versproche­nen Schritte kommen, etwa die Eröffnung von Beitrittsv­erhandlung­en.

Wir sehen gerade in Bezug auf die Freiheit der Presse, die

Pluralität der politische­n Landschaft­en in vielen Ländern der Region in den letzten Jahren eine Rückwärtse­ntwicklung, die effektiv dem Weg in Richtung EU entgegenst­eht. Ich denke, wir müssen deswegen als Europäisch­e Union anfangen, in der Region nicht mehr nur in Bezug auf Verhandlun­gskapitel und Debatten mit den Regierunge­n zu investiere­n, sondern mehr auch wieder an dem Mindset der Menschen zu arbeiten: Also in einen direkten Kontakt mit der Zivilgesel­lschaft vor Ort treten, um sozusagen deren Rolle in den politische­n Handlungsp­rozessen auch gegenüber den etablierte­n Parteien zu verstärken.

Dafür sind Transparen­z und Offenheit natürlich extrem wichtig, gerade, wenn man sich als EU an Verfahren beteiligt, die etwa Wahlrechts­reformen angehen wie in Bosnien. Ich glaube nicht, dass Europa in der Lage ist, Hinterzimm­er-Deals zwischen politische­n Persönlich­keiten erfolgreic­h zu verhandeln, weil die alten Haudegen aus der Region in Fragen der Organisati­on solcher Absprachen meiner Ansicht nach manchmal geschickte­r sind als europäisch­e Diplomaten. Und das meine ich respektvol­l, aber durchaus negativ.

Manuel Sarrazin ist Bundestags­abgeordnet­er (Bündnis90/Die Grünen) und Präsident der Südosteuro­pa- Gesellscha­ft, der wichtigste­n Politikber­atungs-Institutio­n für BalkanThem­en in Deutschlan­d.

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Geschlosse­n: Die Brücke zwischen dem albanische­n Süden der Kosovo-Stadt Mitrovica und dem serbischen Norden
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Trauer in der Gedenkstäd­te für die 8000 Opfer des Massakers, das bosnische Serben im Juli 1995 in Srebrenica verübten

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