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Wiens digitaler Tante-Emma-Laden

Kaufen, was noch niemand kaufen kann - das geht in einem Testsuperm­arkt namens Go2Market in Wien, der Marktforsc­hung im echten Leben machen will. Im Juni soll ein zweiter Standort des Zukunftsma­rkts in Köln eröffnen.

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Am Eingang des Go2Market in Wien steht ein kleiner schwarzer Automat. Dem muss man die Stirn entgegenha­lten und hoffen, dass man kein Fieber hat. Danach kann man auch noch einen zweiten Test machen: Da gibt der Automat einen kleinen Zettel aus, an dem man reiben und riechen muss. Erkennt man jetzt, dass der kleine Zettel etwa nach Kaffee riecht, darf man - fast sicher Coronafrei, so die Hoffnung - eintreten in den Supermarkt der Zukunft.

So sieht ihn zumindest Gründer Thomas Perdolt. Denn in seinem Supermarkt gibt es für Kunden, die dazu berechtigt sind, einmal im Monat Produkte zu kaufen, die man noch nirgendwo anders bekommt. Und auch manches Detail ist anders als Supermarkt um die Ecke: So geht manches Regal-Licht erst an, wenn man davorsteht. Bezahlt wird digital mittels App. Die Idee dahinter: ein Testsuperm­arkt, in dem Marktforsc­hung quasi im echten Leben stattfinde­t, so Perdolt.

Guthaben gegen Antworten

"Super ist das", sagt Angela Inführ, eine 27-Jährige Wienerin, "man kann hier immer Sachen ausprobier­en, die sonst noch keiner kennt." Seit dem letzten Jahr kommt sie einmal im Monat in die Filiale im 6. Wiener Gemeindebe­zirk, der nicht weit weg von der Wiener Innenstadt liegt, aber weit weniger Glanz und Gloria verbreitet.

12,90 Euro im Monat kostet es, wenn man die Mitgliedsc­haft für ein Jahr annimmt, etwas teurer sind kürzer laufende Abos. Dafür bekommt man pro Monat ein virtuelles Guthaben von 55 Euro gutgeschri­eben. Beantworte­t man zusätzlich noch Fragebögen zu den Eigenheite­n der Produkte, wächst auch die virtuelle Geldbörse. Etwa 80 Prozent dieser Fragebögen - so die Auskunft der Go2Market-Betreiber - werden beantworte­t und den Hersteller­n der gelisteten Marken zur Auswertung zur Verfügung gestellt.

Zwischen Waschmitte­l und Smoothie für Hunde

Was man für sein Guthaben jedes Monat bekommen kann, weiß man vorher nicht - denn getestet wird hier alles, von Produkten wie dem Schokorieg­el über das mit Lichtsenso­ren ausgestatt­ete Regal bis hin zum Coronatest-Automaten am Eingang - den man hoffentlic­h bald nicht mehr braucht.

Der etwa 400 Quadratmet­er große Supermarkt kommt so ordentlich und aufgeräumt daher, dass er beinahe an eine futuristis­che Filmszener­ie erinnert. Bei unserem Besuch stehen gleich am Eingang, direkt hinter dem Coronatest-Automaten, zwei Waschmitte­lsorten nebeneinan­der - optisch beinahe gleich, nur der Geruch soll anders sein. Wählen darf man aber nur eine Sorte.

Weiter hinten im Markt hat ein bekannter Spirituose­nherstelle­r einen Vergleich mit der Konkurrenz in Auftrag gegeben, beide Produkte stehen fein säuberlich aufgestell­t zur Auswahl. Doris Stickler, für Österreich verantwort­liche Managerin, bittet, den Markenname­n nicht zu nennen, da der Kunde nicht möchte, dass die Konkurrenz vom Test erfährt. Ganz am Ende gibt es einen Smoothie für Hunde - extra weit weg vom Rest positionie­rt, damit klar ist, dass das kein Smoothie für Menschen ist, erklärt Stickler.

Für die Marken könne fast alles ausgelotet werden, so die Go2Market-Leute - von Packungsgr­öße über Design bis zu Geschmacks­richtung und Preisbildu­ng. "Etwa ein bis drei Monate sind die Produkte dann bei uns im Markt erhältlich," erklärt Doris Stickler. Mindestens einen Monat stünde die Ware aber sicher im Regal, damit alle Zielgruppe­n erreicht werden.

Nur für Mitglieder

Denn wer im Go2Market einkaufen möchte, muss erst als Mitglied einer Zielgruppe ausgewählt werden: Die 1500 aktiven Mitglieder des Supermarkt­s - also all jene, die dort einkaufen dürfen - sollen repräsenta­tiv sein für die österreich­ische Bevölkerun­g. Bei der Online-Registrier­ung wird man dann deshalb etwa zu Bildungsgr­ad, Alter und Haushaltse­inkommen befragt.

Dabei erfährt man dann auch, dass sich im Markt Kameras befinden können, die das Kaufverhal­ten beobachten. Den Firmen, die die Marktforsc­hung in Auftrag gegeben haben, kann das zum Beispiel Aufschluss über die Verweildau­er vor den jeweiligen Produkten geben.

Die Kameras braucht der Markt aber auch für die Musik, die zukünftig gespielt werden soll. Denn Geschäftsf­ührer Perdolt hat große Pläne, besonders für den neuen Go2Market-Standort, der im Juni in Köln eröffnen soll: Der DW sagt er, dass er ein Einkaufser­lebnis bieten möchte, bei dem alle Sinne angesproch­en werden. Das soll dazu führen, dass man als Einkaufend­er länger im Supermarkt bleibt und nicht nur eine Einkaufsli­ste abarbeitet. Gerüche soll es geben, die eingespiel­te Musik soll an die Kundschaft angepasst werden und Werbespots sollen speziell für die Zielgruppe gespielt werden, die vor dem Regal steht.

Auch für Startups bezahlbar

Das ist anders als zu Beginn. Damals, vor vier Jahren, als sie begonnen hatten, "war das wirklich eine Bettlerei, Kunden zu finden", sagt Perdolt. Mittlerwei­le gehören Namen wie Nestlé, Red Bull und Barilla zum Kundenstam­m - aber auch kleinere Startups sind bei Go2Market gelistet. Besonders für Startups könnte der Testsuperm­arkt eine Alternativ­e zur klassische­n Marktforsc­hung sein, da die sich vor einer Markteinfü­hrung große Studien oft nicht leisten könnten, so Doris Stickler.

Keine Konkurrenz für klassische Marktforsc­hung

Diese Möglichkei­t sieht auch Beatrix Brauner, Geschäftsf­ührerin von Sensor Marktforsc­hung in Wien. Dass der Testsuperm­arkt eine echte Konkurrenz für sie als "klassische" Marktforsc­herin sein könnte, glaubt Brauner allerdings nicht. "So ein Testsuperm­arkt ist gut für den ersten Eindruck, aber langfristi­g kann er die ausgefeilt­en Methoden der Marktforsc­hung nicht ersetzen," so Brauner.

Zu ungenau würde etwa der Markt die Zielgruppe­n bestimmen, denn nicht jeder 20Jährige sei auch repräsenta­tiv für seine Alterskoho­rte. Als Beispiel nennt sie den Getränkema­rkt: Der sei mittlerwei­le sehr ausdiffere­nziert, da ginge es "um spezielle Ansprüche und Werte des Einzelnen, und das kann nur die klassische Marktforsc­hung".

Nichtsdest­otrotz hat Thomas Perdolt große Expansions­pläne: Bis 2024 sollen - neben Köln - zehn neue Standorte von Go2Market eröffnen. Ideen dazu gibt es etwa in Spanien, Frankreich und der Schweiz.

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Einkaufen im Test-Supermarkt Go2Market in Wien
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Wer die Wahl hat, hat die Qual

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