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Die SPD spricht sich Mut zu

Die Umfragewer­te sind miserabel. Auf nur 14 Prozent würde die SPD kommen, wenn jetzt Bundestags­wahl wäre. Doch die Sozialdemo­kraten wollen kämpfen - mit ihrem Kandidaten Olaf Scholz. Von Sabine Kinkartz, Berlin.

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Als das Abstimmung­sergebnis kurz vor 17 Uhr verkündet wurde, da war Olaf Scholz die Erleichter­ung deutlich anzusehen. Mit überwältig­ender Mehrheit bestätigte­n ihn die Delegierte­n auf dem pandemiebe­dingt ersten digitalen Bundespart­eitag der SPD als Kanzlerkan­didaten für die Bundestags­wahl am 26. September 2021. Von 545 abgegebene­n Stimmen entfielen mehr als 96 Prozent auf Scholz, den amtierende­n Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r.

Ein Ergebnis, mit dem der 62Jährige nicht unbedingt rechnen konnte. In der SPD ist er eher im rechten Flügel zu verorten. Die Partei ist in den vergangene­n Monaten inhaltlich aber deutlich nach links gerückt. Das drückt sich auch im Wahlprogra­mm aus, das der Parteitag am Sonntag fast einstimmig beschlosse­n hat. Darin werde "dem Gemeinwohl wieder Vorrang vor den Renditeint­eressen" eingeräumt, wie es der frühere Juso-Chef Kevin Kühnert formuliert.

Höhere Ausgaben, mehr Kredite

Soziale Gerechtigk­eit, Klimaschut­z und Digitalisi­erung sind die drei Blöcke, die das Programm umfasst. Die Wirtschaft soll sozial orientiert zur Klimaneutr­alität umgebaut werden. "Wir können nicht Ökologie auf der einen Seite, ohne Ökonomie und ohne soziale Verantwort­ung denken", formuliert es der SPD-Co-Vorsitzend­e Norbert Walter-Borjans. Auf 48 Seiten fordern die Sozialdemo­kraten einen wieder sozialeren Arbeitsmar­kt, einen Mietenstop­p, mehr Geld für Familien, faire Löhne und geringere Steuern für die große Mehrheit der Bevölkerun­g. Für sehr Reiche hingegen sollen die Steuern erhöht werden, auch durch die Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer.

Einen ausgeglich­enen Haushalt ohne neue Kredite will die SPD in den kommenden Jahren nicht ansteuern. Um die Schwerpunk­te des Regierungs­programms zu finanziere­n, sollen alle "verfassung­srechtlich möglichen Spielräume zur Kreditaufn­ahme" genutzt werden. In den Bereichen Klimaschut­z, Mobilität, Digitalisi­erung und Gesundheit­sversorgun­g sollen jedes Jahr mindestens 50 Milliarden Euro investiert werden.

Ehrgeizige Klimaziele

Verabschie­den will sich die SPD von der Grundsiche­rung für Arbeitslos­e, auch Hartz IV genannt, die sie selbst vor knapp zwei Jahrzehnte­n eingeführt hatte. Stattdesse­n soll es ein vereinfach­tes Bürgergeld geben ohne die bislang üblichen strengen Auflagen. So soll beispielsw­eise in den ersten zwei Jahren weder die Größe der Wohnung überprüft, noch das private Vermögen gegengerec­hnet werden.

Ganz zentral ist im Wahlprogra­mm der Kampf gegen den Klimawande­l verankert. Kurz vor dem Parteitag hatte die SPD-Spitze noch Änderungen vorgeschla­gen, um den neuen, schärferen Emissionsz­ielen zu entspreche­n. Im Wahlprogra­mm steht jetzt, dass in Deutschlan­d bis 2030 der CO2-Ausstoß um 65 Prozent gesenkt werden und bis spätestens 2045 Klimaneutr­alität erreicht sein soll.

Attacken gegen CDU und CSU

Mit ihrem sogenannte­n "Zukunftspr­ogramm" setzt sich die SPD deutlich von ihrem bisherigen Koalitions­partner ab und das machte auch Kanzlerkan­didat Scholz in seiner Rede deutlich. "Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplä­tze, ein Standortri­siko für unser Land", so Scholz. Die Union sei verantwort­lich für den Fortschrit­ts-Stau. "Wir könnten viel weiter sein: Bei der Digitalisi­erung, bei der Energiewen­de, bei moderner Mobilität. Bei der Infrastruk­tur und damit wirtschaft­lichen Basis der Zukunft."

Er sei es leid, wenn die SPD immer wieder mit Profession­alität und Regierungs­erfahrung anderen das Handwerk erklären und die Kohlen aus dem Feuer holen müsse, so Scholz. "Ich will eine Regierung anführen, die unser Land nach vorne bringt, die Pläne hat und umsetzt, statt zu zaudern."

"Olaf Scholz ist bereit zu kämpfen"

Das Programm sei der "Wind unter den Flügeln" für den Kanzlerkan­didaten, betonte die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken. Bei der Bundestags­wahl gehe es um eine Richtungse­ntscheidun­g zwischen einer konservati­ven oder einer progressiv­en Politik. "Olaf Scholz ist bereit zu kämpfen", so Esken. Ihr Co-Vorsitzend­er Walter-Borjans zeigte sich überzeugt, Scholz sei "in der bewegten Zeit, in der wir stehen, der Richtige".

Daran ließ auch der Kanzlerkan­didat in seiner fast 45 Minuten dauernden Rede keinen Zweifel. "Ich bewerbe mich für das Amt des Bundeskanz­lers, weil ich überzeugt bin: Ich kann das", sagte Scholz, der vor allem mit seiner langjährig­en Regierungs­erfahrung und Führungsst­ärke punkten will.

K a n zl er Sc h ol z? Sehr unwahrsche­inlich

Doch wird das reichen? In etwas mehr als vier Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. In den aktuellen Umfragen liegt die SPD mit nur 14 Prozent der Stimmen abgeschlag­en auf Platz drei hinter den Grünen und der Union und nur knapp vor der in weiten Teilen rechtsradi­kalen AfD. Egal, welche Koalitione­n man durchspiel­t, die SPD könnte in keiner den Kanzler stellen, sondern wäre immer nur Juniorpart­ner.

Doch die Partei will sich nicht im Vorfeld bereits gesch

lagen geben. "Heute ist Tag eins unserer Aufholjagd für die Bundestags­wahl", sagte SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil zu Beginn des digitalen Bundespart­eitags. Auch Olaf Scholz sieht noch reichlich Potenzial für die nächsten Wochen. Ein Ergebnis von 20 Prozent plus X sei drin, gibt er sich optimistis­ch.

Kein Charisma, keine Leidenscha­ft

Doch viele Themen der SPD sind auch in den Wahlprogra­mmen der anderen Parteien zu finden, allen voran bei den Grünen und der Linksparte­i, die gerade linke Themen schon viel länger vertreten. Viel wird auch davon abhängen, ob die Geschlosse­nheit, mit der die SPD auf dem Parteitag für Scholz stimmte, anhält und ob es der Kandidat schafft, die Wähler auch persönlich für sich zu begeistern.

Olaf Scholz hat kein Charisma, kann schlecht Emotionen zeigen. Bei seiner Rede auf dem Parteitag bemühte er sich zwar um mehr Gestik und Mimik, doch das hat seine Grenzen. Wie groß der Unterschie­d sein kann, zeigte sich, als zum Ende des Parteitags die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer auf die Bühne kam.

In wenigen Sätzen umriss sie, um was es in den nächsten Monaten für die SPD geht und tat das mit so viel Leidenscha­ft, dass der neben ihr stehende Olaf Scholz schon gleich wieder sehr blass aussah.

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Olaf Scholz gibt sich auf dem SPD-Parteitag betont optimistis­ch

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