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SPD setzt fest auf Scholz als Kanzlerkan­didat

Die Sozialdemo­kraten schicken Finanzmini­ster Olaf Scholz ins Rennen um das Kanzleramt. Für den Kandidaten stimmten 513 Delegierte, es gab 20 Gegenstimm­en und zwölf Enthaltung­en. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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In seiner Rede bekräftigt­e Scholz mit den Worten: "Ich kann das!" seinen Anspruch auf die Regierungs­führung. Regieren wolle er an der Spitze einer "breiten Allianz für neuen Fortschrit­t", kündigte Scholz an, ohne sich auf konkrete Koalitions­optionen festzulege­n.

Seit Wochen kommt von dem Mann, der die SPD in den Bundestags­wahlkampf führen soll, kein Kommentar, wenn sich führende Sozialdemo­kraten bei außen- und sicherheit­spolitisch­en Themen klar links positionie­ren. Wenn sie die Rüstungsau­sgaben und auch die Finanzbeit­räge zur NATO reduzieren wollen, wenn sie sich gegen den Einsatz bewaffnete­r Drohnen bei der Bundeswehr ausspreche­n oder wenn sie fordern, dass die im Westen der Republik stationier­ten USAtomwaff­en abgezogen werden sollen.

Stattdesse­n konzentrie­rt sich der 62-Jährige, der seit 2018 Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r in der Regierungs­koalition mit CDU und CSU ist, auf das, was er für wichtig hält: die Corona-Pandemie bekämpfen und staatsmänn­isch auftreten.

"Ich will dringend ins Kanzleramt, und zwar als Kanzler", sagt er. "Die meisten Bürgerinne­n und Bürger wissen, wer ich bin und dass ich das Land führen kann. Das wird die sozialdemo­kratische Chance unterstütz­en."

Seit Jahren im Umfragetie­f

Die sozialdemo­kratische Chance? Bei den Wählern kann die SPD schon lange nicht mehr punkten. Bei der Bundestags­wahl 2017 fuhr sie mit 20,5 Prozent ihr bis dahin schlechtes­tes Ergebnis ein und seitdem ging es nur noch weiter bergab. Wenn jetzt gewählt würde, käme die SPD laut Infratest-dimap nur noch auf 14 Prozent. Das wäre mit Abstand Platz drei hinter den Grünen und der Union - nur knapp vor der AfD.

Doch Olaf Scholz ficht das nicht an. "Es gibt Mehrheiten diesseits der Union. Es ist möglich, Deutschlan­d zu regieren, ohne dass CDU und CSU an der Regierung beteiligt sind", gibt er sich unbeirrt.

Im August 2020 wurde Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkan­didat nominiert. Offiziell gekürt worden hat ihn jetzt der Bundespart­eitag, der wegen der Corona- Pandemie verschoben wurde.

Zwar hat Scholz in den vergangene­n Jahren Karriere im Namen der Partei gemacht.

Wurde Innensenat­or und Erster Bürgermeis­ter von Hamburg, Bundesarbe­its- und Bundesfina­nzminister. Bei Abstimmung­en für Parteiämte­r fuhr er aber regelmäßig denkbar schlechte Ergebnisse ein. Olaf Scholz, das war der Freund der Wirtschaft, ein Mann, der Sätze sagte, wie: "Wer Führung bestellt, der bekommt sie auch." Er war stets zu wenig links, zu verhalten, zu kontrollie­rt und zu nüchtern, um von der SPD geliebt zu werden.

2019 wollte er Parteivors­itzender werden - und verlor in der Mitglieder­befragung gegen zwei politische Außenseite­r: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Zwei Genossen, die mit explizit linken Forderunge­n antraten und versprache­n, die SPD politisch neu auszuricht­en.

Die Vorsitzend­en brauchen Scholz - und umgekehrt

Das taten sie auch und so war es eine faustdicke Überraschu­ng, als Esken und Walter-Borjans Scholz im August 2020 als Kanzlerkan­didaten vorstellte­n. "Wir haben eigentlich gleich nach der Wahl des SPDVorsitz­enden angefangen, eng miteinande­r zu kooperiere­n und darüber ist ein ganz enges Vertrauen gewachsen", sagte Olaf Scholz später.

Tatsächlic­h hatte die Nominierun­g mehr mit der Erkenntnis zu tun, dass weder Esken noch Walter-Borjans das politische Gewicht haben, um selbst die Kanzlerkan­didatur zu übernehmen. Er sei sich bald sicher gewesen, dass die beiden ihn vorschlage­n würden, erinnert sich Scholz, "und die beiden hatten auch sehr rechtzeiti­g das Gefühl, dass sie mich vorschlage­n werden". Ein bemerkensw­erter Satz, der eine Menge über das Selbstbewu­sstsein des Kandidaten aussagt. Scholz weiß, dass die Partei ihn braucht. Er ist das politische Zugpferd, dem die Wähler Führungsqu­alitäten zutrauen.

Unzufriede­ne Genossen

In der SPD beobachten das viele mit Unmut. "Olaf allein" werde nicht reichen, heißt es insbesonde­re von Seiten der Parteilink­en. Statt den Kandidaten in den Fokus zu stellen müsse das Wahlprogra­mm mit seinen vielfältig­en politische­n Forderunge­n mehr ins Rampenlich­t gerückt und die Themen offensiv besetzt werden.

Es gärt in der SPD, auch wenn sie sich alle Mühe gibt, nach außen ein Bild der Einheit zu vermitteln. Seit Esken und Walter-Borjans an der Spitze der Sozialdemo­kraten stehen, hat es intern tatsächlic­h kaum Streiterei­en gegeben. Ungewöhnli­ch für eine Partei, die es jahrelang nicht schaffte, ihre politische­n Flügel zu befrieden und in Einklang zu bringen.

Angela Merkel 2.0

Aktuell zeigt sich aber, dass der sichtbare Friede nur vordergrün­dig existiert. Für den erstarkten linken Parteiflüg­el soll im Wahlkampf klar ersichtlic­h sein, dass die Sozialdemo­kraten in Zukunft vieles anders machen wollen, dass sie neue politische Ziele vor Augen haben. Doch Scholz, der mit seiner langen Regierungs­erfahrung manchmal wie der natürliche Erbe von Angela Merkel wirkt, der wie kein anderer für ein "Weiter so" steht, ist in dieser Beziehung nicht unbedingt überzeugen­d.

Der SPD-Kanzlerkan­didat hat zwar gesagt, dass er ohne ein sogenannte­s Schattenka­binett in den Wahlkampf ziehen will. In der SPD wird aber trotzdem erwogen, um Scholz herum ein Team führender Sozialdemo­kraten zu installier­en, die jeweils Expertise in verschiede­nen Bereichen haben. So könnten auch Themen offensiv transporti­ert werden, für die Scholz zumindest in der Vergangenh­eit nachweisli­ch wenig Sympathien hatte.

Mit einem Team könnte Scholz aber auch emotional ergänzt werden. Denn dessen größtes Defizit ist nach wie vor seine Leidenscha­ftslosigke­it. Scholz hat kein Charisma, kann Menschen nicht begeistern.

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Olaf Scholz auf dem SPD-Bundespart­eitag im Dezember 2019
 ??  ?? Olaf Scholz verfolgte in Hamburg - hier 2014 mit Lufthansa-Chef Carsten Spohr - stets einen wirtschaft­sfreundlic­hen Kurs
Olaf Scholz verfolgte in Hamburg - hier 2014 mit Lufthansa-Chef Carsten Spohr - stets einen wirtschaft­sfreundlic­hen Kurs

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