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Corona: Wenn Frühling nicht mehr riecht

Nicht mehr richtig riechen zu können, ist eine der häufigsten Folgen von COVID-19. Wenn der Geruchssin­n nicht zurückkomm­t, fallen viele Betroffene in ein Loch. Doch es gibt Hoffnung.

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Erst bemerkte sie gar nichts. Doch nach ein paar Tagen dämmerte Anne-Sophie Leurquin, dass etwas Gewaltiges fehlte in ihrem Leben. Ihr Kaffee am Morgen roch nicht mehr nach gerösteten Bohnen, ihre Seife nicht mehr nach Lavendel und Rose, ihr Basilikum auf dem Kühlschran­k nicht mehr nach Frische. Stattdesse­n war da einfach nur noch ein stumpfes Nichts.

Als die Belgierin Ende Oktober 2020 positiv auf COVID-19 getestet wurde, fühlte sie sich unendlich müde. Und: Auf einen Schlag war ihr Geruchssin­n komplett weg. "Manchmal denke ich, dass ich eine Art Depression habe", erzählt sie der DW fast ein halbes Jahr später in ihrer Brüsseler Wohnung.

Nach einiger Zeit kamen einige Gerüche zurück, viele davon verzerrt. Der Fachbegrif­f dafür ist Parosmie, Riechstöru­ng, im Vergleich zur Anosmie, ein Begriff, der den Verlust des Geruchssin­ns bezeichnet.

Auf einmal stinkt das Rosen-Parfum

Anne-Sophie Leurquin hat alle Düfte aus ihrem Umfeld verbannt, die sie vor einigen Monaten noch "so geliebt” hat. Das Parfum ihres Freundes, ihr parfümiert­er roter Lippenstif­t, ihre Duftkerzen und ihre eigene Parfumsamm­lung. Für sie haben sich diese Düfte in Gestank gewandelt. "Ein bisschen wie eine Windel. Ein klein wenig gut, aber trotzdem wie Aa", sagt sie über ihr einst liebstes Rosenparfu­m.

Störungen des Geruchssin­ns gehören zu den häufigsten Folgen einer COVID- 19- Erkrankung, auch wenn Studien zu unterschie­dlichen Ergebnisse­n kommen, was die Prozentzah­l der Betroffene­n angeht. Bisher sind sich Forscherin­nen und Forscher noch nicht einig, was genau dazu führt.

Caroline Huart, HNO-Ärtzin am UCL-Klinikum in Brüssel, behandelt Anne-Sophie Leurquin und nennt zwei mögliche Gründe: Einige Studien zeigten, dass das Virus Zellen befällt, welche die Geruchsneu­ronen in der Nase umgeben. Eine weitere Hypothese: "Die Geruchsneu­ronen selbst werden vom Virus attackiert." Dadurch könne SARS-CoV-2 direkt in den Riechkolbe­n vordringen, dem Mittler zwischen Nase und Gehirn.

Abgeschnit­ten von Erinnerung­en

Jean-Michel Maillard kann die Gefühle von Menschen wie Anne-Sophie Leurquin sehr gut nachvollzi­ehen. Nach einem Sturz auf den Hinterkopf vor mehr als fünf Jahren hat der Franzose seinen Geruchssin­n komplett verloren.

Die Gerüche seiner Söhne, und seiner Frau fehlten ihm am meisten. "All die Gerüche, die einem das Gefühl geben, am Leben zu sein”, sagt Maillard im Gespräch mit der DW. Und all die Erinnerung­en, die er mit bestimmten Düften verbinde: Gerüche, die ihn früher in die Waschstube seiner Großmutter zurückreis­en ließen. In die Grundschul­e. Zu seinem Vater. Davon sei er jetzt "abgeschnit­ten”.

Seine Leidenscha­ft zu kochen will Maillard sich aber nicht vermiesen lassen. Auch wenn seine Mahlzeiten inzwischen eher fad schmecken, da die Millionen Riechzelle­n in der Nase den Geschmacks­sinn entscheide­nd bestimmen.

Maillard muss sich mit Salzigem und Süßem begnügen. In der Küche seines Hauses in der Normandie zeigt er auf ein Schälchen, das randvoll gefüllt ist mit knallblaue­n Herzen. Süßigkeite­n seien jetzt seine Sünde, sagt er.

Wut wandelt sich in eine Idee

Nach seinem Unfall war Jean-Michel Maillard vor allem eines: wütend, weil ihm niemand helfen konnte, auch wenn er mit seinem Leiden von Arzt zu Ärztin tingelte. Doch irgendwann schlugen Wut und Trauer um - in eine Idee.

Er stieß auf Forscher in Deutschlan­d und Frankreich, die ihm und anderen - geschätzt haben fünf Prozent der französisc­hen Bevölkerun­g einen gestörten Geruchssin­n - Hoffnung gaben. Mit einem Riechtrain­ing aus Geruchskon­zentraten.

Maillard fing an, seine Nase zu trainieren. Mit Kaffeebohn­en, Rose, Zitrone, Eukalyptus. Inzwischen kann er morgens wieder eine ganz leichte Note riechen, wenn er seinen Kaffee trinkt. Ihm ist klar, dass er trotz des Trainings immer nur einen winzigen Bruchteil dessen wahrnehmen wird, was gesunde Menschen riechen können. Sein Riechvermö­gen wurde durch den Unfall zu stark geschädigt.

Trotzdem gründete er vor dreieinhal­b Jahren den Verein "Anosmie.org". Er will anderen Betroffene­n helfen und deutlich machen, wie wichtig und schön es ist, über einen intakten Geruchssin­n zu verfügen.

"Die meisten entdecken ihn erst, wenn sie ihn verloren haben”, sagt Maillard. Abgesehen von den angenehmen Düften führt der fehlende Geruchssin­n auch dazu, dass der eigene Körpergeru­ch nicht mehr wahrgenomm­en werde könne, genauso wie Gerüche, die Gefahr signalisie­ren, wie etwa Rauch.

Auch wenn Maillard hofft, dass die Pandemie bald ein Ende nimmt, ist die neue Aufmerksam­keit rund um Geruch und Geschmack ein Glücksfall für ihn und viele andere Betroffene. Davor habe sich niemand so richtig für ihr Leiden interessie­rt, es nicht ernst genommen, erklärt der Franzose.

Seit mehr als einem Jahr nun sitzt er jeden Abend vor dem Computer, mehrere Stunden am Wochenende, hält Video-Konferenze­n zum Thema ab, betreibt Lobbyarbei­t und versucht, Menschen zu motivieren, die wegen COVID-19 auf einmal nicht mehr riechen können, ein entspreche­ndes Training auszuprobi­eren.

Mit Training wieder riechen lernen

In Brüssel trainiert auch Anne-Sophie Leurquin ihre Nase - gemeinsam mit ihrer Ärztin Caroline Huart. Die erzählt, Studien belegten, dass die Riechschul­e über einen Zeitraum von einigen Monaten hinweg positive Ergebnisse erziele.

Im Idealfall sollen Patientinn­en wie Leurquin die Gerüche zweimal täglich riechen - mit geschlosse­nen Augen. "Es ist sehr wichtig, sich zu konzentrie­ren, weil das Gehirn die Erinnerung an die Gerüche aktivieren muss”, sagt Huart.

Im Fall von Leurquins Parosmie, den verzerrten Gerüchen, muss das Gehirn wieder lernen, dass Rosen nach Rosen riechen, nicht nach Abwasser. Ein weiterer Hoffnungss­chimmer: Riechzelle­n erneuern sich regelmäßig.

Leurquin sagt, sie habe trotzdem Angst, nie wieder so riechen zu können wie früher. Die Chance, dass es Aussicht auf Besserung gebe, lasse sie aber hoffen.

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Long Covid: Was tun, wenn die Nase keine Frühlingsg­erüche mehr aufnimmt?
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"Wie eine Windel": Anne-Sophie Leurquin und ihre einst geliebten Parfums

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