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Handelsges­präche: EU und Indien starten neu

Beide Seiten nennen es einen einschneid­enden, "historisch­en" Moment: Die EU und Indien nehmen auf dem Gipfeltref­fen von Porto die 2013 abgebroche­nen Handelsges­präche wieder auf.

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Es ist ein geopolitis­cher Schachzug und die gute Nachricht dieses Gipfeltref­fens im portugiesi­schen Porto: Die EU und Indien nehmen ihre Handelsges­präche wieder auf. Premier Narendra Modi war wegen der dramatisch­en Corona-Situation zu Hause nur per Video zugeschalt­et, aber beide Seiten lobten die Einigung als "entscheide­nden, historisch­en Augenblick". Die Verhandlun­gen waren 2013 wegen unüberbrüc­kbarer Meinungsve­rschiedenh­eiten abgebroche­n worden, die EU warf Indien unter anderem Protektion­ismus vor. Jetzt will man einen Neustart versuchen.

Der Elefant im Raum heißt China

Es geht um eine strategisc­he Neuorienti­erung und den Versuch, mit dem zweitgrößt­en Land der Welt den Schultersc­hluss gegenüber China zu suchen. "Dies war ein bemerkensw­erter Gipfel, weil er den Blick auf das ungenutzte Potential unserer Beziehung lenkt", sagte EU- Kommission­schefin Ursula von der Leyen. In der Erklärung der EU wird dabei eine Zusammenar­beit der großen Demokratie­n begrüßt, es gibt jedoch auch den Hinweis auf Menschenre­chte und Klimaschut­z.

Die Präsidenti­n versprach dem indischen Regierungs­chef weiter die Solidaritä­t und Unterstütz­ung der EU beim Kampf gegen den dramatisch­en Verlauf der Pandemie: "17 Mitgliedsl­änder haben schon für über 100 Millionen Euro Hilfsgüter an Indien geliefert und es wird weitere Unterstütz­ung geben".

EU-Diplomaten weisen darauf hin, dass die Handelsges­präche mit Indien auch im zweiten Anlauf voller Hinderniss­e sein dürften und schnelle Ergebnisse nicht zu erwarten sind. Und in einigen EU-Ländern gibt es anhaltende­n Widerstand gegen derartige Verträge, was die Ratifizier­ung gefährden könnte. Aber allein die Tatsache, dass wieder verhandelt wird, gilt bei Beobachter­n schon als Erfolg.

Auf die Grundsatzf­rage allerdings, ob nun Indien oder China für ihn wichtiger sei, hielt sich Ratspräsid­ent Charles Michel bei der Pressekonf­erenz in Porto an die korrekte diplomatis­che Formel: "Es ist sicher, dass die indo-pazifische Region für uns sehr wichtig ist". Damit werden die neuen Bündnispar­tner von Japan bis Indien beschriebe­n, mit denen man der als aggressiv betrachtet­en Politik Pekings begegnen will.

Politische Zwickmühle

Die Frage, wie die EU mit der Forderung der US-Regierung umgehen soll, die Lizenzen für Corona-Impfstoffe freizugebe­n, blieb in der EU strittig. Einige Länder wie Italien oder Griechenla­nd sprachen sich dafür aus, aber es gab klaren Widerstand, Und weil Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Porto fehlte, machte sich der französisc­he Präsident zum Wortführer: "Die Amerikaner haben alles (Impfstoff) für sich selbst benutzt. Wir Europäer waren großzügige­r als alle anderen zusammen", sagte Emmanuel Macron. Die EU habe 400 Millionen Dosen Impfstoff

produziert und die Hälfte davon in alle Welt exportiert.

"Das ganze Jahr über war das Schweigen von der anderen Seite des Atlantik dröhnend. … Ich rufe die USA auf, alle Exportbesc­hränkungen aufzuheben. Die USA müssen mehr exportiere­n und wir müssen überall mehr produziere­n". Macron nannte es eine Lüge, dass wegen der Eigentumsr­echte Impfstoffe fehlten. Die EU engagiere sich für einen Technologi­etransfer und dafür, mehr Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Der französisc­he Präsident war hier durchaus mit der diplomatis­chen Axt am Werke und ließ seinem Ärger über die nicht abgestimmt­e US-Initiative freien Lauf.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die in Porto nur per Video zugeschalt­et war, bekräftigt­e die ablehnende Linie aus Berlin: Sie glaube nicht, "dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen." Stattdesse­n brauche man "die Kreativitä­t und Innovation­skraft der Unternehme­n" und dazu gehöre der Patentschu­tz. Die Bundesregi­erung will hier erkennbar BioNTech schützen, das Juwel unter den deutschen Pharmaunte­rnehmen, wo der vielverspr­echendste Corona-Impfstoff entwickelt wurde und wo entscheide­nde Patente für die Herstellun­g liegen.

Auch BioNTech wies in einer Stellungna­hme darauf hin, dass die Freigabe der Rechte nicht der Weg sei, die Pandemie zu beenden, sondern die schnelle Produktion von mehr Impfstoffe­n. Man sei bereit, sie für ärmere Länder zum Herstellun­gspreis abzugeben. Das Unternehme­n wies auch darauf hin, dass der Herstellun­gsprozess komplex sei und dass ohne stringente Kontrollen die Qualität leiden würde.

EU- Kommission­spräsident­in von der Leyen vermittelt­e zwischen den Lagern: Man sei für eine Diskussion über Patente offen, aber das sei eine langfristi­ge Frage. Man müsse jetzt schnell die Produktion der Impfstoffe hochfahren und sie gerecht verteilen. Sie betonte auch erneut, dass "die EU die Apotheke der Welt" sei. "Wir laden andere ein, dem Beispiel zu folgen". Auch von der Leyen verkniff sich nicht den Seitenhieb gegen Washington. Die EU fühlt sich durch den Vorstoß der USRegierun­g moralisch in die Ecke gedrückt und machte in Porto mehr als deutlich, dass sie ihn in der Form für einen unfreundli­chen Akt hält.

Große Ziele in der Sozialpoli­tik, aber keine Handhabe

Das eigentlich­e Thema des Gipfeltref­fens wurde am Ende von aktuellen Ereignisse­n überlagert. Es ging um eine stärkere gemeinsame Sozialpoli­tik, denn nach der Pandemie sei es wichtig, deren Opfer besser zu unterstütz­en, betonte die EUKommissi­on. Sie hatte schon im März einen ehrgeizige­n Aktionspla­n vorgelegt: Mehr Hilfen für Jugendlich­e und Frauen am Arbeitsmar­kt, lebenslang­es Lernen für Arbeitnehm­er wegen des digitalen Wandels, bessere Bedingunge­n für bestimmte Berufsgrup­pen und Projekte gegen die Kinderarmu­t.

Aber schon am Projekt eines auskömmlic­hen europäisch­en Mindestloh­ns scheiden sich die Geister. Einige Mitgliedsl­änder hatten vorab protestier­t, dass die EU in der Sozialpoli­tik keine Kompetenze­n habe. Länder können Mahnungen aus Brüssel also missachten, mehr gegen die durch Corona verstärkte soziale Ungleichhe­it in Europa zu tun. Nur über moralische­n Druck und die Kontrolle von Geldern aus dem Corona- Wiederaufb­aufonds kann die EU-Kommission Einfluss nehmen. Hier übrigens mahnte der portugiesi­sche Gastgeber am Rande, dass noch fünf bis sechs Länder den notwendige­n Beschluss nicht ratifizier­t hätten. Sie müssten sich jetzt beeilen, wenn im Sommer noch die Milliarden fließen sollen.

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Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen: Gipfel lenkt "Blick auf das ungenutzte Potential"
 ??  ?? Indien ist besonders heftig von der Corona-Pandemie betroffen - die EU will weiterhin helfen
Indien ist besonders heftig von der Corona-Pandemie betroffen - die EU will weiterhin helfen

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