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Mexiko sitzt auf dem Trockenen

Vertrockne­te Stauseen, verdorrte Felder und eine Rekordzahl an Waldbrände­n: Mexiko, sagen Experten, bekommt derzeit die Rechnung für seine jahrelange­n Versäumnis­se in der Klimaund Umweltpoli­tik präsentier­t.

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"Vor einer Woche haben uns die Behörden mitgeteilt, dass unser Stausee nicht mehr genug Wasser hat", seufzt Norma García aus Guerrero. "Seitdem können wir unsere Obstplanta­ge nicht mehr bewässern." Die Bäuerin lebt vom Direktverk­auf ihrer Lebensmitt­el auf Biomärkten. "Wenn es nicht bald regnet, können wir die Ernte vergessen", sagt sie zur DW. García ist nicht alleine: Im nordmexika­nischen Bundesstaa­t Sonora verdursten die Kühe, im südlichen Veracruz und im zentralen Michoacán sind ganze Seen größtentei­ls verdunstet, und in Mexiko-Stadt wird das Wasser seit Wochen rationiert. Viele Mexikaner müssen auf teure Wasserlief­erungen durch private Lastwagen zurückgrei­fen.

Golfplätze in Zeiten von "La Niña"

84 Prozent des Staatsgebi­ets sind derzeit von Trockenhei­t betroffen, meldet die Nationale Wasserbehö­rde Conagua. Das leistet Buschbränd­en Vorschub. Die wüten laut Statistike­n der Nationalen Forstbehör­de Conafor so schlimm wie seit zehn Jahren nicht mehr. Über 4000 Brände in 30 der 32 Bundesstaa­ten verzeichne­t die Behörde bislang in diesem Jahr. Die Bürgermeis­terin von MexikoStad­t, Claudia Sheinbaum, spricht von der schlimmste­n Dürre seit 30 Jahren und kritisiert die Reichen, die trotzdem ihre Gärten und Golfplätze wässerten. Andere machen das Klimaphäno­men "La Niña" verantwort­lich. Wissenscha­ftlern und Umweltschü­tzern zufolge greift das jedoch zu kurz. Versagt habe die Politik, die nur auf kurzfristi­ge Lösungen setze.

Budgetkürz­ungen und falsche Prioritäte­n

"Die Katastroph­enbekämpfu­ng ist gekennzeic­hnet durch mangelnde Prävention auf allen Ebenen der Politik und öffentlich­en Verwaltung (...). Verschlimm­ert wird dies durch Budgetkürz­ungen bei den Behörden, die für Umweltschu­tz und Klimapolit­ik zuständig sind", heißt es im Bericht einer Gruppe von Umweltschu­tzorganisa­tionen, darunter das Zentrum für Umweltrech­t (Cemda), Greenpeace, die Klimainiti­ative Mexiko und Pronatura Veracruz. Der Haushalt der Forstbehör­de schrumpfte demnach seit 2012 um 43 Prozent, derjenige der

Kommission für Naturschut­zgebiete (Conanp) seit 2018 um 75 Prozent. 2019 wurde dann auch noch der Treuhandfo­nds gegen Naturkatas­trophen aufgelöst, mit dem die Bekämpfung von Waldbrände­n finanziert wurde.

Weder die aktuelle noch vorherige Regierunge­n hätten der Anpassung an den Klimawande­l Priorität eingeräumt, sagt Diego Pérez Salicrup, Direktor des Instituts für Nachhaltig­keit und Ökosysteme der Nationalen Autonomen Universitä­t von Mexiko (UNAM), zur DW. Für ihn liegt das an einem Teufelskre­is aus verzerrter Wahrnehmun­g in der Bevölkerun­g und daraus resultiere­nden, falschen Forderunge­n an die Politik, die wiederum ihrerseits mit kurzfristi­gem Krisenmana­gement antworte statt mit langfristi­gen Strategien.

"Heute leben drei Viertel der Mexikaner in Städten, weit weg vom Alltag auf dem Land und in der Natur. Diese Bevölkerun­g, die politisch viel Gewicht hat, sieht Feuer als etwas Bedrohlich­es", erklärt er der DW. Dabei würde vergessen, dass sich viele Ökosysteme durch regelmäßig­e, kleinere Brände selbst regulierte­n, just um "zu viel Akkumulati­on von brennbarem Material und damit potenziell gefährlich­eren Bränden zu verhindern".

Landspekul­anten Einhalt gebieten

Viel zu wenig Bedeutung wird aus Ansicht der Experten außerdem der Tatsache beigemesse­n, dass hinter manchen, absichtlic­h gelegten Bränden nicht Kleinbauer­n stecken, sondern kapitalkrä­ftige Immobilien­spekulante­n, die sich so Land für Monokultur­en wie AvocadoPla­ntagen oder für Tourismusp­rojekte aneigneten. Ist der Primärwald erst einmal abgebrannt, sind Gemeinderä­te schnell bei der Hand, die Gebiete für wirtschaft­liche Nutzung freizugebe­n. "Heute hat das Umweltmini­sterium weder die Kapazitäte­n noch die institu

tionellen Mittel (…), um die Daten entspreche­nd abzugleich­en und solche Landnutzun­gsänderung­en zu verhindern", kritisiere­n Greenpeace und Cemda.

"Wir brauchen langfristi­ge Brandbekäm­pfungs-Strategien, die an die Ökosysteme angepasst sind und auf wissenscha­ftlichen Daten basieren", fordert deshalb Pérez. "Aber dafür interessie­rt sich die Gesellscha­ft wenig. Sie fordert von Politikern nur schnelles Löschen, wenn das Feuer ihre Häuser gefährdet."

Für jahrzehnte­lange Versäumnis­se bekommt Mexiko nun die Rechnung präsentier­t. Dieser Tage verkündete die UNAM das endgültige Verschwind­en des Ayoloco-Gletschers auf dem Gipfel des Iztaccíhua­tl-Vulkans südöstlich der Hauptstadt. "Das wird die Trinkwasse­rprobleme in MexikoStad­t verschärfe­n, und ohne die

Eiskappen der Gletscher wird die Temperatur steigen und der Zyklus der Niederschl­äge beeinträch­tigt", warnte UNAMForsch­er Hugo Delgado.

Die Dürre befeuert auch die Spekulatio­n mit Nahrungsmi­ttelpreise­n. So stiegen die Preise für Mais in diesem Jahr nach Angaben der Consulting-Gruppe für landwirtsc­haftliche Märkte (GCMA) um 40, für Soja sogar um 50 Prozent. Das trifft insbesonde­re die Armen, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Grundnahru­ngsmittel ausgeben als Reichere.

Die aktuelle Regierung antwortet nun auf die zunehmende­n Umweltprob­leme mit einem Wiederauff­orstungspr­ogramm. Mexiko gehört laut Global Forest Watch zu den zehn Ländern mit der größten Abholzung von Primärwald weltweit. Zwischen 2001 und 2018 gingen Conafor zufolge jedes Jahr mehr als 200.000 Hektar Wa l d verloren. Ob das Wiederauff­orstungspr­ogramm geeignet ist, den Trend umzukehren, ist unklar. Laut Pérez hat es gar nicht dieses Ziel: "Es soll vor allem die ländliche Armut mildern und den Baumbestan­d in landwirtsc­haftlich genutzten Gebieten erhöhen." Mit geradezu paradoxen Folgen: Primärwald wird abgeholzt, um ihn anschließe­nd mit staatliche­n Subvention­en und nicht einheimisc­hen Bäumen wieder aufzuforst­en. "Dabei würden die Landwirte gerne den natürliche­n Wald regenerier­en lassen." Doch das dauere zu lang. "Dafür bekommen sie kein Geld", so Pérez.

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Immer mehr Mexikaner sind auf Trinkwasse­rlieferung­en durch große Tanklaster angewiesen

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