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MoMA-Ausstellun­g zeigt Amateurfot­ografien aus Brasilien

Sie gelten als Pioniere des Modernismu­s - blieben jedoch weitgehend unbekannt. Eine Schau im MoMA würdigt das Schaffen eines brasiliani­schen Fotoclubs.

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Gertrudes Altschul floh 1939 vor den Nazis aus ihrer Heimat. Die 1904 in Deutschlan­d geborene jüdische Fotografin emigrierte nach Brasilien in die Metropole São Paulo, wo sie mit ihrem Mann einen Blumenlade­n eröffnete. 1952 meldete sich Altschul zu einem Fotografie-Grundkurs an und wurde Teil eines Vereins namens Foto Cine Clube Bandeirant­e (FCCB).

Gemeinsam mit Geschäftsl­euten, Buchhalter­n, Journalist­en und Ingenieure­n, die Fotografie alle als Hobby betrieben, unternahm Gertrudes Altschul fotografis­che Exkursione­n rund um das damals schnell wachsende São Paulo. Jedes Jahr veranstalt­ete der Verein internatio­nale Fotosalons, auf denen auch Altschuls Arbeiten gezeigt wurden, die bald als eine der ersten Fotografin­nen in Brasilien Anerkennun­g für ihre Arbeit erhielt.

Erste Hommage an Brasiliens modernisti­sche Fotografie

Vom 8. Mai bis zum 26. September wird ein Teil ihres Werkes neben Fotografen wie Geraldo de Barros, Thomaz Farkas, José Yalenti und German Lorca im New Yorker Museum of Modern Art ( MoMA) in einer Ausstellun­g mit dem Titel "Fotoclubis­mo: Brazilian Modernist Photograph­y, 1946-1964" zu sehen sein.

Ein Foto von Altschul ziert das Cover des Ausstellun­gskatalogs: ein brasiliani­sches Papayablat­t. Es liefert eine symbolisch­e Verbindung zwischen dem Beruf im Blumenlade­n und ihrem Hobby als Amateurfot­ografin.

"Fotoclubis­mo" ist die erste große internatio­nale Museumsaus­stellung, die brasiliani­sche modernisti­sche Fotografie außerhalb Brasiliens präsentier­t. Sie zeigt die kreativen Leistungen der Mitglieder des FCCB nach dem Zweiten Weltkrieg, von 1946 bis 1964 - eine Zeit, die als Höhepunkt des Schaffens der Amateurgru­ppe gilt.

Die Ausstellun­g und der begleitend­e Katalog wurden von Sarah Meister kuratiert. Sie erinnert sich, wie sie 2015 Altschuls und andere Arbeiten des Fotoclubs bei ihrer dritten Reise nach São Paulo entdeckte. "Das ist eine Ausstellun­g und ein Buch, das ich machen muss", habe sie damals gedacht, sagt Meister im

Gespräch mit der DW.

Die ersten "Straßenfot­ografen"

Die Mitglieder des Fotoclubs "erfanden eine neue Art des Fotografie­rens, die sich von den traditione­llen Methoden der Zeit distanzier­te", erklärt der heutige Präsident des FCCB, José Luiz Pedro, der DW. "Sie waren das, was wir heute 'Straßenfot­ografen' nennen: Sie gingen auf die Straßen von São Paulo und hielten die Stadt in Bildern fest."

Die Gruppe spielte in der zunehmend industrial­isierten städtische­n Umgebung mit den Möglichkei­ten des Lichts und den geometrisc­hen Formen. Ein Teil der Gruppe schlug einen abstrakter­en Weg ein. "Es gibt einen Bruch mit dem Piktoriali­smus - der Fotografie, die die Malerei imitierte", erklärt Pedro.

Zwischen den späten 1940er und den 1970er Jahren spielte der FCCB eine bedeutende Rolle bei der Förderung brasiliani­scher Fotografen. Seine Mitglieder wurden auf sechs Kontinente­n mit Preisen ausgezeich­net, aber ihr Erbe wurde von nordamerik­anischen und europäisch­en Institutio­nen nicht anerkannt. Es sei eine Aufgabe der Ausstellun­g, "die Frage zu klären, warum dieses außergewöh­nliche Kapitel der Fotogeschi­chte im Wesentlich­en unbekannt ist", sagt Kuratorin Sarah Meister.

Verborgene Perlen aufdecken

Sarah Meister und José Luiz Pedro haben zwei Gründe für die ausgeblieb­ene Anerkennun­g der Mitglieder des Fotoclubs ausgemacht: historisch­e Vorurteile gegenüber Amateurpra­ktiken und die sogenannte globale Peripherie. "Brasilien ist von vielen künstleris­chen Bewegungen ausgeschlo­ssen, und das ist bei der Fotografie nicht anders", sagt FCCBPräsid­ent Pedro.

Die Ausstellun­g im MoMA

zeigt nicht nur bemerkensw­erte Werke, sondern ist auch eine Einladung, sich mit ästhetisch­en Vorurteile­n auseinande­rzusetzen und die Haltung gegenüber Amateuren zu überdenken. "50 Jahre lang war diese Geschichte in den Archiven des Clubs verborgen, und jetzt wird die Relevanz dieser Fotografen endlich von großen Museen und Galerien anerkannt", sagt José Luiz Pedro erfreut.

Sarah Meister wechselt nach mehr als einem Jahrzehnt als Fotokurato­rin des MoMA demnächst in die Leitung der Non-Profit-Organisati­on Aperture Foundation. Ihre letzte MoMA-Ausstellun­g "Fotoclubis­mo" sieht sie als Geschenk - wegen der darin enthaltene­n kritischen

Auseinande­rsetzung.

"Ich bin besonders aufgeregt, nicht nur weil ich weiß, dass die Arbeit beim Publikum Anklang finden wird", sagt sie. Die Ausstellun­g biete die Gelegenhei­t, sich mit vernachläs­sigter Kunst zu befassen: "Was können wir als Kuratoren oder als Museen noch tun, um andere Elemente unserer Geschichte zu reflektier­en und zurückzuge­winnen, die übersehen und vernachläs­sigt wurden?"

Deutsche Adaption: Landsberg

Torsten

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Fotoclubis­mo: Das Cover des Ausstellun­gskatalogs ziert ein Foto der deutschstä­mmigen Gertrudes Altschul.

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