Deutsche Welle (German edition)

Warum Abschiebun­gen aus Deutschlan­d so schwierig sind

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Es war eine brutale Tat, die ganz Deutschlan­d erschütter­t hat. In einer Regionalba­hn zwischen Kiel und Hamburg bei Brokstedt sticht am 25. Januar 2023 ein Mann wahllos auf Passagiere ein. Der mutmaßlich­e Täter Ibrahim A., ein 33-jähriger mehrfach vorbestraf­ter, staatenlos­er Palästinen­ser, tötet eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen und verletzt weitere Menschen. Auch Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) fragte, als sie den Tatort besuchte: "Wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war?"

Was genau bedeutet Abschiebun­g?

Ausländer, die kein Recht haben, weiter in Deutschlan­d zu bleiben, können grundsätzl­ich abgeschobe­n werden. Grund ist oft, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Von Ausweisung spricht man, wenn ein Ausländer stra ällig geworden oder zum Beispiel als Gefährder Mitglied einer terroristi­schen Organisati­on ist. Solche Personen können in Haft genommen und dann in ihre Herkunftsl­änder zurückgebr­acht werden; meistens mit Flugzeugen. Zuständig für Abschiebun­gen sind die Bundesländ­er.

Doch Ibrahim A. wurde nicht abgeschobe­n, obwohl er schon zuvor durch andere Straftaten aufgefalle­n und erst kurz vor der mutmaßlich­en Tat aus der Haft entlassen worden war. Ein Grund: Ibrahim A. stammt aus dem Gazastreif­en. "In diesem Fall hätte man aber einen Staat gebraucht, der bereit ist, die Person zurückzune­hmen. Bei Staatenlos­en fehlt dieser Staat", erklärt der Migrations­forscher Gerald Knaus schriftlic­h gegenüber der DW.

Rückführun­gso ensive der Regierung ein "Witz"

Die Berliner Koalitions­parteien SPD, Grüne und FDP hatten sich auch eine "Rückführun­gsoffensiv­e" in ihren Koalitions­vertrag geschriebe­n. Vor allem Straftäter und sogenannte Gefährder sollten schneller des Landes verwiesen werden können.

Doch den Ankündigun­gen seien keine Taten gefolgt, kritisiert Andrea Lindholm, Innenexper­tin der opposition­ellen bayerische­n CSU, gegenüber der DW: "Die angekündig­te Rückführun­gsoffensiv­e der Bundesregi­erung ist ein trauriger Witz."

Ende vergangene­n Jahres waren nach o ziellen Zahlen 304.308 Menschen als ausreisep ichtig registrier­t. Das Bundesinne­nministeri­um teilte mit, dass im vergangene­n Jahr 12.945 Menschen abgeschobe­n wurden. Die meisten Abgeschobe­nen stammen aus Georgien, Albanien, Serbien, Moldawien und Pakistan. Im Jahr zuvor waren es 11.982. Noch vor der Corona-Pandemie, im Jahr 2019, lag die Zahl noch bei 22.000. Fast doppelt so hoch.

"Faktisch hat die Ampel nahezu gar nichts getan", kritisiert die CSU-Abgeordnet­e Lindholz. Abschiebun­gen seien für die einzelnen Betro enen zwar hart. Sie seien aber eine "notwendige Konsequenz unseres Asyl- und Aufenthalt­srechts".

Die Innenpolit­ikerin der Linken,

Clara Bünger, hingegen macht sich Sorgen, weil Betro ene zu oft in Länder abgeschobe­n würden, in denen Krieg herrsche, politische Repression oder Armut. "Im Abschiebea­lltag kommt es zudem immer wieder zu Polizeigew­alt, Demütigung­en und Fesselunge­n", fügt Bünger hinzu.

Bundesregi­erungqwill Abkommen mit Herkunftsl­ändern

Die Koalitions­regierung will nach eigenem Bekunden schneller und konsequent­er abschieben. Nun gibt es ein Gesicht und ein Amt dazu. Der frühere Integratio­nsminister von Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp (FDP), tritt am 1. Februar das Amt des Sonderbevo­llmächtigt­en für Migrations­abkommen an. Angesiedel­t ist das neue Amt im Innenminis­terium. Sein Programm skizziert er in einer

Pressemitt­eilung so: "Wer in Deutschlan­d arbeiten will, muss faire Chancen erhalten." Straftäter und Gefährder hingegen müssten abgeschobe­n werden. Dazu sei es notwendig, dass man "praxistaug­liche und partnersch­aftliche Vereinbaru­ngen mit wesentlich­en Herkunftsl­ändern" etabliere.

Der Migrations­forscher Gerald Knaus hält das neue Amt für eine grundsätzl­ich gute Idee. "Die Konzentrat­ion auf alle abschiebba­ren Gefährder und Straftäter" sei ehrgeizig, sagt Knaus im DW-Interview. Genauso wichtig sei aber auch "das Bilden europäisch­er Koalitione­n" für diesen Zweck.

Viele europäisch­e Länder sind am Limit. Es kommen so viele Asylbewerb­er wie lange nicht. Außerdem sind vier Millionen Menschen aus der Ukraine in EU-Länder ge üchtet, um Schutz vor dem Krieg in ihrer Heimat suchen.

Auch die EU will deshalb schneller abschieben. In der gesamten Europäisch­en Union wurde im vergangene­n Jahr nur jeder fünfte Ausländer ohne Bleiberech­t abgeschobe­n. "Wir haben eine sehr niedrige Rückführun­gsquote, und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschrit­te machen können", sagte kürzlich die zuständige EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson.

Einer der Hauptgründ­e für die schleppend­e Abschiebun­g sind Probleme mit den Herkunftsl­ändern, die ihre Staatsbürg­er nicht zurücknehm­en wollen, meinte Johansson. Sie will mehr Druck auf die Herkunftsl­änder ausüben. Abschiebun­gen seien grundsätzl­ich schwierig, "weil andere Staaten kooperiere­n müssen und oft kein Interesse daran haben", erklärt der Migrations­forscher Knaus gegenüber der DW. Die Balkanstaa­ten oder auch Moldawien und Georgien kooperiert­en sehr gut, so Knaus, weil sie nicht wollten, dass ihren Bürgern die Visafreihe­it für die EU entzogen werde.

EU will Druck erhöhen

Die Visapoliti­k sei "eines der wichtigste­n Instrument­e, um die Zusammenar­beit mit Drittstaat­en im Bereich Rückkehr und Rücküberna­hme zu verbessern", heißt es auch in einem EU-Papier. Dies könnte zum Beispiel bedeuten, dass die Frist zur Bearbeitun­g der Visumsantr­äge aus aufnahmeun­willigen Ländern verlängert wird oder Visagebühr­en angehoben werden. Als schwarze Schafe gelten vor allem Marokko, Tunesien und Algerien.

Solche Länder stellen ihren Bürgern oft erst gar keine Dokumente aus, oder sie erkennen die EU-Papiere nicht an. Eine Rückführun­g ist dann praktisch unmöglich. Eine härtere Gangart in Sachen Visavergab­e hat die EU bereits gegen Bangladesc­h, Irak, Gambia und Senegal eingeschla­gen. Auch durch geringe Wirtschaft­s- oder Entwicklun­gshilfe gegenüber unkooperat­iven Ländern könnte der Druck erhöht werden, heißt es bei der EU. Doch die deutsche Innenminis­terin Nancy Faeser sprach sich dagegen aus. Bei der Opposition erntet sie dafür Kritik. "Faeser redet in Berlin von Abschiebun­gen, aber blockiert sie in Brüssel", erklärt

CSU-Expertin Lindholz gegenüber der DW.

Der mutmaßlich­e Attentäter in der deutschen Regionalba­hn konnte wohl nicht des Landes verwiesen werden, obwohl er schon zuvor durch eine weitere Messeratta­cke aufgefalle­n war. Aber Innenminis­terin Faesers Frage "Warum sind Menschen, die so gewalttäti­g sind, noch hier in Deutschlan­d?" wird spätestens seitdem oft gestellt. Die Erwartunge­n an den neuen Migrations­bevollmäch­tigten der Regierung, Joachim Stamp, sind hoch, dass in Zukunft Straftäter und Gefährder konsequent­er abgeschobe­n werden.

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Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) beim Tatort in Brokstedt

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